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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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daß Preußen sich nicht begnügen wird, der Bundesversammlung einen falten
Dissens zugehn zu lassen, sondern daß Herr v. Bismarck entschlossen ist, diese
Frage zu einem Ableiter für die innere Unzufriedenheit der Preußen zu be¬
nutzen. Preußen wird seinen Austritt aus dem Bunde erklären.

Es ist vorauszusehn, daß diese in der gegenwärtigen Lage unheilvolle
Maßregel nicht mit. ruhigen Worten erfolgen wird, es ist sicher, daß Preußen,
welches nicbt isolirt in Deutschland stehn kann, genöthigt ist, seine Nachbarn
mit sich gegen den Bund zu vereinigen; es ist ebenso sicher, daß kein einziger
deutscher Staat ungezwungen mit der gegenwärtigen Negierung Preußens sich
zu einem Gegenbund vereinigen wird. Und deshalb macht die Sachlage un¬
zweifelhaft, daß Herr v. Bismarck es darauf wagen will, die Nachbarn Preu¬
ßens nöthigenfalls mit Gewalt zu solchem Bündniß zu zwingen.

Nun wäre ziemlich gleichgültig, welche Projecte ein planvoller Minister
Preußens in der gegenwärtigen Situation hegt, wenn er auf verfassungs¬
mäßigen Wege seine Projecte der Majorität des Abgeordnetenhauses an¬
nehmbar machen will; wenn er also vor dem Beginn eines offenen Conflictes
um die nöthige Geldbewilligung nachsucht. -- Aber nicht umsonst ist ein erbitter¬
ter Kampf mit der Majorität der Volksvertretung geführt worden. Was hin¬
dert die Regierung, welche bei fortgesetztem Widerstand der Volksvertreter ohne
Budget zu regieren entschlossen ist, sich auch über diese parlamentarischen Be¬
denken wegzusetzen? Im Nothfall reichen für die erste Mvbilisirung die im
Staatsschatz vorhandenen fast 20 Millionen aus. Steht das Heer in Waffen,
ist der Gegensatz zu den andern Mächten des Bundes bis auf eine Spitze ge¬
trieben, von welcher keine Umkehr möglich ist, dann ist immer noch Zeit, mit
der Volksvertretung zu verhandeln. Beharrt diese auch in solchem Fall bei
unpatriotischer Verweigerung, so ist der äußerste Fall eingetreten, von dem schon
lange die Rede war, man wird auf Grund einer andern Volksvertretung, im
Nothfall vielleicht sogar durch Provinzialstände die Mittel zu einer Macht-
entwicklung nach Außen herbeizuschaffen unternehmen.

Ob das Alles gelingen wird, ist jetzt gleichgültig. In welchem Stadium
der Ausführung ein solcher Plan durch Bedenken der Krone gekreuzt werden
wird, ist ebenfalls nicht vorauszusagen. Ohnzweifclhaft ist man auch an ent¬
scheidender Stelle gegenwärtig zu dem entschlossen, was man gern Action
und Kraftentwickelung nennt. Und die Bedenken werden erst dann eintreten,
wenn es zu spät sein wird, und der Staat in der ungewöhnlichsten Weise in
eine unerhörte Gefahr gebracht ist.

Das sind die trüben Aussichten, mit denen die preußische Partei das neue
Jahr heraufsteigen sieht. Und deshalb drängt sich gebieterisch die Frage auf, was
vermag das preußische Volk, und was vermögen die Einzelnen zu thun, um
solche Gefahr abzuwenden?


daß Preußen sich nicht begnügen wird, der Bundesversammlung einen falten
Dissens zugehn zu lassen, sondern daß Herr v. Bismarck entschlossen ist, diese
Frage zu einem Ableiter für die innere Unzufriedenheit der Preußen zu be¬
nutzen. Preußen wird seinen Austritt aus dem Bunde erklären.

Es ist vorauszusehn, daß diese in der gegenwärtigen Lage unheilvolle
Maßregel nicht mit. ruhigen Worten erfolgen wird, es ist sicher, daß Preußen,
welches nicbt isolirt in Deutschland stehn kann, genöthigt ist, seine Nachbarn
mit sich gegen den Bund zu vereinigen; es ist ebenso sicher, daß kein einziger
deutscher Staat ungezwungen mit der gegenwärtigen Negierung Preußens sich
zu einem Gegenbund vereinigen wird. Und deshalb macht die Sachlage un¬
zweifelhaft, daß Herr v. Bismarck es darauf wagen will, die Nachbarn Preu¬
ßens nöthigenfalls mit Gewalt zu solchem Bündniß zu zwingen.

Nun wäre ziemlich gleichgültig, welche Projecte ein planvoller Minister
Preußens in der gegenwärtigen Situation hegt, wenn er auf verfassungs¬
mäßigen Wege seine Projecte der Majorität des Abgeordnetenhauses an¬
nehmbar machen will; wenn er also vor dem Beginn eines offenen Conflictes
um die nöthige Geldbewilligung nachsucht. — Aber nicht umsonst ist ein erbitter¬
ter Kampf mit der Majorität der Volksvertretung geführt worden. Was hin¬
dert die Regierung, welche bei fortgesetztem Widerstand der Volksvertreter ohne
Budget zu regieren entschlossen ist, sich auch über diese parlamentarischen Be¬
denken wegzusetzen? Im Nothfall reichen für die erste Mvbilisirung die im
Staatsschatz vorhandenen fast 20 Millionen aus. Steht das Heer in Waffen,
ist der Gegensatz zu den andern Mächten des Bundes bis auf eine Spitze ge¬
trieben, von welcher keine Umkehr möglich ist, dann ist immer noch Zeit, mit
der Volksvertretung zu verhandeln. Beharrt diese auch in solchem Fall bei
unpatriotischer Verweigerung, so ist der äußerste Fall eingetreten, von dem schon
lange die Rede war, man wird auf Grund einer andern Volksvertretung, im
Nothfall vielleicht sogar durch Provinzialstände die Mittel zu einer Macht-
entwicklung nach Außen herbeizuschaffen unternehmen.

Ob das Alles gelingen wird, ist jetzt gleichgültig. In welchem Stadium
der Ausführung ein solcher Plan durch Bedenken der Krone gekreuzt werden
wird, ist ebenfalls nicht vorauszusagen. Ohnzweifclhaft ist man auch an ent¬
scheidender Stelle gegenwärtig zu dem entschlossen, was man gern Action
und Kraftentwickelung nennt. Und die Bedenken werden erst dann eintreten,
wenn es zu spät sein wird, und der Staat in der ungewöhnlichsten Weise in
eine unerhörte Gefahr gebracht ist.

Das sind die trüben Aussichten, mit denen die preußische Partei das neue
Jahr heraufsteigen sieht. Und deshalb drängt sich gebieterisch die Frage auf, was
vermag das preußische Volk, und was vermögen die Einzelnen zu thun, um
solche Gefahr abzuwenden?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/10>, abgerufen am 29.04.2024.