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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Die erste Hoffnung ruht auf der Majorität des Abgeordnetenhauses. Nie
war den Volksvertretern in Preußen eine so hohe und schwere Aufgabe gestellt.
Sie haben vor einer Lebensfrage, die in das Gebiet der großen Politik fällt,
innerhalb der Schranken, welche ihnen das Gesetz auflegt, den Volkswillen mit
einer Energie geltend zu machen, welche der Regierung imponirt, mit einer Weis¬
heit, welche die Ehre und den Vortheil Preußens auch gegen Mitglieder der
Negierung versieht. Es ist möglich, daß viele Liberale Preußens in früheren
Jahren für vortheilhaft gehalten haben, daß Preußen den Bund aufgebe. Möge
jetzt die Ueberzeugung jedem die Seele füllen, daß die gegenwärtige Situation
einen solchen Schritt zu dem unheilvollsten aller möglichen Auskunftsmittel
macht. Die bestehende Regierung muß von jeder Maßregel abgehalten werden,
welche einen gewaltsamen Entschluß zur Folge hat. Die deutsche Sache darf
nicht während der jetzt leider offenkundiger Schwäche Preußens Gegenstand
diplomatischer Verhandlungen werden. Denn die deutsche Frage ist keine
Streitfrage, welche zwischen den deutschen Regierungen in dem gegenwärtigen
Stadium ihrer Entwickelung durch Waffengewalt ausgekämpft werden darf.

Es ist überhaupt keine Frage der Cabinete, und wir gestehen keiner Re¬
gierung, auch der preußischen nicht, das Recht zu, über die Zukunft der deut¬
schen Nation, ohne die thätige Mitwirkung und ohne die freudige Bei¬
stimmung derselben zu entscheiden. Allerdings ist es möglich, ja wahr¬
scheinlich, daß einmal blutige Waffenarbeit dem innerlich fertigen Werk
die letzte Rechtfertigung geben muß. Aber von dieser letzten Entscheidung
ist das deutsche Volk und der preußische Staat jetzt weiter entfernt als seit
Jahren. Viel Terrain ist verloren worden, große Rückschritte sind gemacht,
voraussichtlich ist noch ein langer Weg zu durchlaufen. Erst wenn durch
den Zwang der Interessen und durch lebendige Theilnahme des Volkes die
Einhettsidee so weit durchgebildet ist, daß sie gebieterisch ihre Gestaltung for¬
dert, erst wenn die Sympathien der Völker Verbündete der preußischen Waffen
werden, ist ein Kampf gegen die Feinde der deutschen Einheit möglich. Denn nur
dann ist möglich, die große Frage hoch über die Interessen auswärtiger Cabinete
und die Einmischung der Diplomatie hinauszuheben. Wenn die deutsche Nation
sich zu vereinigen entschlossen ist, so wird jede auswärtige Regierung den En¬
thusiasmus einer Nation von 36 Millionen scheuen, wenn Preußen mit den
Waffen in der Hand Vergrößerung sucht, wird nicht nur das Ausland über
die anspruchsvolle Schwäche herfallen, auch die Deutschen werden feindselig auf
diesen Versuch einer verhaßten Regierung blicken.

Ein Großpreußen ist in diesem Augenblick nicht mehr möglich, weil es
ohne demüthigende Concession an das Ausland nicht mehr durchführbar ist,
und weil es die Zweitheilung der deutschen Staaten, zu denen wir Oestreich
nicht rechnen, im besten Fall zu verewigen droht.


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Die erste Hoffnung ruht auf der Majorität des Abgeordnetenhauses. Nie
war den Volksvertretern in Preußen eine so hohe und schwere Aufgabe gestellt.
Sie haben vor einer Lebensfrage, die in das Gebiet der großen Politik fällt,
innerhalb der Schranken, welche ihnen das Gesetz auflegt, den Volkswillen mit
einer Energie geltend zu machen, welche der Regierung imponirt, mit einer Weis¬
heit, welche die Ehre und den Vortheil Preußens auch gegen Mitglieder der
Negierung versieht. Es ist möglich, daß viele Liberale Preußens in früheren
Jahren für vortheilhaft gehalten haben, daß Preußen den Bund aufgebe. Möge
jetzt die Ueberzeugung jedem die Seele füllen, daß die gegenwärtige Situation
einen solchen Schritt zu dem unheilvollsten aller möglichen Auskunftsmittel
macht. Die bestehende Regierung muß von jeder Maßregel abgehalten werden,
welche einen gewaltsamen Entschluß zur Folge hat. Die deutsche Sache darf
nicht während der jetzt leider offenkundiger Schwäche Preußens Gegenstand
diplomatischer Verhandlungen werden. Denn die deutsche Frage ist keine
Streitfrage, welche zwischen den deutschen Regierungen in dem gegenwärtigen
Stadium ihrer Entwickelung durch Waffengewalt ausgekämpft werden darf.

Es ist überhaupt keine Frage der Cabinete, und wir gestehen keiner Re¬
gierung, auch der preußischen nicht, das Recht zu, über die Zukunft der deut¬
schen Nation, ohne die thätige Mitwirkung und ohne die freudige Bei¬
stimmung derselben zu entscheiden. Allerdings ist es möglich, ja wahr¬
scheinlich, daß einmal blutige Waffenarbeit dem innerlich fertigen Werk
die letzte Rechtfertigung geben muß. Aber von dieser letzten Entscheidung
ist das deutsche Volk und der preußische Staat jetzt weiter entfernt als seit
Jahren. Viel Terrain ist verloren worden, große Rückschritte sind gemacht,
voraussichtlich ist noch ein langer Weg zu durchlaufen. Erst wenn durch
den Zwang der Interessen und durch lebendige Theilnahme des Volkes die
Einhettsidee so weit durchgebildet ist, daß sie gebieterisch ihre Gestaltung for¬
dert, erst wenn die Sympathien der Völker Verbündete der preußischen Waffen
werden, ist ein Kampf gegen die Feinde der deutschen Einheit möglich. Denn nur
dann ist möglich, die große Frage hoch über die Interessen auswärtiger Cabinete
und die Einmischung der Diplomatie hinauszuheben. Wenn die deutsche Nation
sich zu vereinigen entschlossen ist, so wird jede auswärtige Regierung den En¬
thusiasmus einer Nation von 36 Millionen scheuen, wenn Preußen mit den
Waffen in der Hand Vergrößerung sucht, wird nicht nur das Ausland über
die anspruchsvolle Schwäche herfallen, auch die Deutschen werden feindselig auf
diesen Versuch einer verhaßten Regierung blicken.

Ein Großpreußen ist in diesem Augenblick nicht mehr möglich, weil es
ohne demüthigende Concession an das Ausland nicht mehr durchführbar ist,
und weil es die Zweitheilung der deutschen Staaten, zu denen wir Oestreich
nicht rechnen, im besten Fall zu verewigen droht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/11>, abgerufen am 28.04.2024.