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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Versauf von Tücher. AIs Bojanowo unter preußische Regierung kam, lebten
dort 266 Tuchmacher mit 120 Gesellen, 16 Tuchscheerern und Bereitern, sie ver¬
fertigten jährlich 7,659 Stück Tu be und verhandelten deren 24,000. Unter
preußischer Regierung und während der Zeit des Herzogthums Warschau wuchs
dieser Verkehr zusehends. Das Jahr 1818 fand 279 Tuchmacher, welche 13,478
Stück Tuche anfertigten, deren 27,000 verhandelten. Ohne daß ein Kaufmann
oder Fabrikant nöthig gehabt hätte, die Messe zu beziehen', betrug der jährliche
Verkehr 600.000 Thlr. Diesen Wohlstand hat die russische Grenzsperre mit
einem Schlage in Armuth verwandelt; 700 Menschen wanderten zwischen 1820
und 1829 nach Rußland aus; 1840 verfertigten 40 Tuchmacher 3,002 Stück Tuche,
waren aber nicht im Stande, dieselben abzusetzen. Die Noth der Stadt war
so groß geworden, daß aus Befehl des Königs die Regierung in Posen eine
eigene Untersuchungscomission deshalb einsetzte.

Die Geschichte von Bojanowo ist die vonZduny, von Rawicz, Fraustadt,
Kröben und zahlreichen andern Städten; nur daß einzelne von ihnen bald neue
Erwerbsquellen fanden. Die Grenzsperre fiel wie ein Mehlthau auf den kräf-
tigen Wuchs einer weit verbreiteten Industrie, und nur die unermüdliche Sorg¬
falt, welche die preußische Regierung der neuerworbenen Provinz zuwandte, im
Verein mit der Fruchtbarkeit des Landes vermochte allgemeine Verarmung fern
zu halten. Dadurch erklärt sich auch das Herunterkommen einzelner, ja vieler
Städte der Provinz neben dem Aufblühen anderer, ein Umstand, den wühle¬
rische Agitation recht geschickt zu benutzen weiß, um gegen die Regierung auf¬
zustacheln und für die polnischen Zeiten zu begeistern. Damit mag auch die
meines Wissens nur hier vorkommende Erscheinung zusammenhängen, daß viele
Kreisstädte kleine Flecken sind, in welche 1849 die neuen Kreisgerichte nicht
gelegt werden konnten, und aus denen zuletzt auch die andern Behörden nach
den Kreisgerichtsstädten übersiedelten. So haben Sie die eigentliche Kreisstadt
des Kröbener Kreises in Rawicz, des Fraustädtcr in Lissa, des Bvmster in
Wollstein, des Adelnaucr in Ostrowo, des Schiltberger in Kempen, des Buker
>n Grätz, des Oborniker in Nogasen, des Wirsitzcr in Lobsens, des Chodziesener
in Schneidemühl, des Czarnikauer in Schönlant'e zu sehen.

Ein neues Leben wird sich uns aufthun und die Provinz Posen zu den
wohlhabendsten der Monarchie gehören, wenn die Schlagbäume von Szalmierzyce
und Pogorzelice fallen dürfen; denn schon jetzt haben wir Handel und einen so
erheblichen Geldverkehr, daß unsere Bank die einzige ist, welche die ihr gestatte¬
ten 1,000,000 Thlr. in Banknoten wirklich in Umlauf hat. Wir sind jetzt hier
1.476,675 Einwohner und haben zu unserem Schutz 17,946 Soldaten bei uns,
und zwar kommen auf Bromberg 516,973 und auf Posen 959.702 Seelen. So
die Zählung vom 3. December 1861, aus welcher resultirte, daß sich die Be¬
völkerung seit 1858 im Posenschcn um 5.91"/". im Brombcrgschen um 4,64°/g.


Versauf von Tücher. AIs Bojanowo unter preußische Regierung kam, lebten
dort 266 Tuchmacher mit 120 Gesellen, 16 Tuchscheerern und Bereitern, sie ver¬
fertigten jährlich 7,659 Stück Tu be und verhandelten deren 24,000. Unter
preußischer Regierung und während der Zeit des Herzogthums Warschau wuchs
dieser Verkehr zusehends. Das Jahr 1818 fand 279 Tuchmacher, welche 13,478
Stück Tuche anfertigten, deren 27,000 verhandelten. Ohne daß ein Kaufmann
oder Fabrikant nöthig gehabt hätte, die Messe zu beziehen', betrug der jährliche
Verkehr 600.000 Thlr. Diesen Wohlstand hat die russische Grenzsperre mit
einem Schlage in Armuth verwandelt; 700 Menschen wanderten zwischen 1820
und 1829 nach Rußland aus; 1840 verfertigten 40 Tuchmacher 3,002 Stück Tuche,
waren aber nicht im Stande, dieselben abzusetzen. Die Noth der Stadt war
so groß geworden, daß aus Befehl des Königs die Regierung in Posen eine
eigene Untersuchungscomission deshalb einsetzte.

Die Geschichte von Bojanowo ist die vonZduny, von Rawicz, Fraustadt,
Kröben und zahlreichen andern Städten; nur daß einzelne von ihnen bald neue
Erwerbsquellen fanden. Die Grenzsperre fiel wie ein Mehlthau auf den kräf-
tigen Wuchs einer weit verbreiteten Industrie, und nur die unermüdliche Sorg¬
falt, welche die preußische Regierung der neuerworbenen Provinz zuwandte, im
Verein mit der Fruchtbarkeit des Landes vermochte allgemeine Verarmung fern
zu halten. Dadurch erklärt sich auch das Herunterkommen einzelner, ja vieler
Städte der Provinz neben dem Aufblühen anderer, ein Umstand, den wühle¬
rische Agitation recht geschickt zu benutzen weiß, um gegen die Regierung auf¬
zustacheln und für die polnischen Zeiten zu begeistern. Damit mag auch die
meines Wissens nur hier vorkommende Erscheinung zusammenhängen, daß viele
Kreisstädte kleine Flecken sind, in welche 1849 die neuen Kreisgerichte nicht
gelegt werden konnten, und aus denen zuletzt auch die andern Behörden nach
den Kreisgerichtsstädten übersiedelten. So haben Sie die eigentliche Kreisstadt
des Kröbener Kreises in Rawicz, des Fraustädtcr in Lissa, des Bvmster in
Wollstein, des Adelnaucr in Ostrowo, des Schiltberger in Kempen, des Buker
>n Grätz, des Oborniker in Nogasen, des Wirsitzcr in Lobsens, des Chodziesener
in Schneidemühl, des Czarnikauer in Schönlant'e zu sehen.

Ein neues Leben wird sich uns aufthun und die Provinz Posen zu den
wohlhabendsten der Monarchie gehören, wenn die Schlagbäume von Szalmierzyce
und Pogorzelice fallen dürfen; denn schon jetzt haben wir Handel und einen so
erheblichen Geldverkehr, daß unsere Bank die einzige ist, welche die ihr gestatte¬
ten 1,000,000 Thlr. in Banknoten wirklich in Umlauf hat. Wir sind jetzt hier
1.476,675 Einwohner und haben zu unserem Schutz 17,946 Soldaten bei uns,
und zwar kommen auf Bromberg 516,973 und auf Posen 959.702 Seelen. So
die Zählung vom 3. December 1861, aus welcher resultirte, daß sich die Be¬
völkerung seit 1858 im Posenschcn um 5.91«/«. im Brombcrgschen um 4,64°/g.


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[0141] Versauf von Tücher. AIs Bojanowo unter preußische Regierung kam, lebten dort 266 Tuchmacher mit 120 Gesellen, 16 Tuchscheerern und Bereitern, sie ver¬ fertigten jährlich 7,659 Stück Tu be und verhandelten deren 24,000. Unter preußischer Regierung und während der Zeit des Herzogthums Warschau wuchs dieser Verkehr zusehends. Das Jahr 1818 fand 279 Tuchmacher, welche 13,478 Stück Tuche anfertigten, deren 27,000 verhandelten. Ohne daß ein Kaufmann oder Fabrikant nöthig gehabt hätte, die Messe zu beziehen', betrug der jährliche Verkehr 600.000 Thlr. Diesen Wohlstand hat die russische Grenzsperre mit einem Schlage in Armuth verwandelt; 700 Menschen wanderten zwischen 1820 und 1829 nach Rußland aus; 1840 verfertigten 40 Tuchmacher 3,002 Stück Tuche, waren aber nicht im Stande, dieselben abzusetzen. Die Noth der Stadt war so groß geworden, daß aus Befehl des Königs die Regierung in Posen eine eigene Untersuchungscomission deshalb einsetzte. Die Geschichte von Bojanowo ist die vonZduny, von Rawicz, Fraustadt, Kröben und zahlreichen andern Städten; nur daß einzelne von ihnen bald neue Erwerbsquellen fanden. Die Grenzsperre fiel wie ein Mehlthau auf den kräf- tigen Wuchs einer weit verbreiteten Industrie, und nur die unermüdliche Sorg¬ falt, welche die preußische Regierung der neuerworbenen Provinz zuwandte, im Verein mit der Fruchtbarkeit des Landes vermochte allgemeine Verarmung fern zu halten. Dadurch erklärt sich auch das Herunterkommen einzelner, ja vieler Städte der Provinz neben dem Aufblühen anderer, ein Umstand, den wühle¬ rische Agitation recht geschickt zu benutzen weiß, um gegen die Regierung auf¬ zustacheln und für die polnischen Zeiten zu begeistern. Damit mag auch die meines Wissens nur hier vorkommende Erscheinung zusammenhängen, daß viele Kreisstädte kleine Flecken sind, in welche 1849 die neuen Kreisgerichte nicht gelegt werden konnten, und aus denen zuletzt auch die andern Behörden nach den Kreisgerichtsstädten übersiedelten. So haben Sie die eigentliche Kreisstadt des Kröbener Kreises in Rawicz, des Fraustädtcr in Lissa, des Bvmster in Wollstein, des Adelnaucr in Ostrowo, des Schiltberger in Kempen, des Buker >n Grätz, des Oborniker in Nogasen, des Wirsitzcr in Lobsens, des Chodziesener in Schneidemühl, des Czarnikauer in Schönlant'e zu sehen. Ein neues Leben wird sich uns aufthun und die Provinz Posen zu den wohlhabendsten der Monarchie gehören, wenn die Schlagbäume von Szalmierzyce und Pogorzelice fallen dürfen; denn schon jetzt haben wir Handel und einen so erheblichen Geldverkehr, daß unsere Bank die einzige ist, welche die ihr gestatte¬ ten 1,000,000 Thlr. in Banknoten wirklich in Umlauf hat. Wir sind jetzt hier 1.476,675 Einwohner und haben zu unserem Schutz 17,946 Soldaten bei uns, und zwar kommen auf Bromberg 516,973 und auf Posen 959.702 Seelen. So die Zählung vom 3. December 1861, aus welcher resultirte, daß sich die Be¬ völkerung seit 1858 im Posenschcn um 5.91«/«. im Brombcrgschen um 4,64°/g.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/141>, abgerufen am 16.05.2024.