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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in der ganzen Provinz um 5,47<V<, vermehrt hat. Sehen wir von der Stadt
Berlin und vom Jahdegebiet ab, so ist bei uns die Bevölkerung am mächtigsten
gewachsen. Zu meinem Bedauern muß ich bei den weiteren Mittheilungen die
Volkszählung von 1858 zu Grunde legen, da die Details der letzten noch nicht
veröffentlicht sind. Damals wohnten im

Dey. Posen 450,207 Männer, 468,013 Frauen, 184,100 Familien.
" Bromberg 248^548^ " 260,368 " 96.912
Provinz 698,733 " 718,373 " 281,012

Unter den acht preußischen Provinzen hat nur Preußen eine verhältnißmäßig
größere Zahl von Ehen. Auch in Rücksicht der Sittlichkeit steht Posen auf
zweiter Stelle. In Westphalen ist das 27. Kind ein uneheliches, in Posen
das 13.; dann fallen die Zahlen schnell; in Schlesien ist es schon das 7. bis 8.

Eingewandert sind bei uns in Posen 587;
in Bromberg 641.
Ausgewandert ., " aus Posen 2,256;
aus Bromberg 3,426.

Diese zahlreiche Auswanderung drängt nach zwei Seiten. Brodlose Arbeiter,
Unzufriedene aller Art und leider auch aufgeredete und nachmals furchtbar
betrogene Dienstleute ziehen nach Russisch-Polen. Es kann nicht ernst genug
hiervor gewarnt werden. Mit den gleißendsten Versprechungen angelockt, er¬
fahren die Opfer, sobald sie nur die Grenze hinter sich haben, die traurige
Wahrheit. Eheleute werden getrennt; der Mann harter Frohnde unterworfen,
mit der Knute zum Schweigen gebracht, zu arm, um zurückzukehren, vermag
er nicht einmal den Aufenthaltsort seines jungen Weibes zu ermitteln und hat in
Bezug auf sie das Schlimmste zu fürchten. Nackt und bloß, so versichert er
seinem früheren deutschen Grundherrn durch Briefe, die er auf sinnreichen
Wege ihm zuzusenden weiß, möchte er wiederkommen, wenn dieser Mittel
wüßte, ihn nach Preußen zurückzuführen.

Sie bemerken, daß ich einen erlebten Fall im Auge habe, aber fast jeder,
der sich hier für das Leben des Volkes interessirt, könnte mit einem solchen
dienen.

Eine andere Auswanderung geht nach Westen, nach Amerika, auch nach
Australien. Dorthin ziehen vor Allem unsere Juden, und fast jede jüdische
Familie hat dort einen oder mehre ihrer Angehörigen, meist jüngere Leute,
welche später die Ihrigen nachrufen sollen, und auf welche diese ihre Hoffnung
gesetzt haben, wie die alte Frau, die mir gegenüber wohnt und die einzige
Person in der Stadt ist, die es nicht weiß, daß "ihr Kind in Amerika" seit
vier Jahren todt ist.

Die Einwanderer sind Deutsche von allen drei Richtungen bis aus Sachsen
her. Sie mögen kommen, denn es ist noch genug Raum da. ^


in der ganzen Provinz um 5,47<V<, vermehrt hat. Sehen wir von der Stadt
Berlin und vom Jahdegebiet ab, so ist bei uns die Bevölkerung am mächtigsten
gewachsen. Zu meinem Bedauern muß ich bei den weiteren Mittheilungen die
Volkszählung von 1858 zu Grunde legen, da die Details der letzten noch nicht
veröffentlicht sind. Damals wohnten im

Dey. Posen 450,207 Männer, 468,013 Frauen, 184,100 Familien.
„ Bromberg 248^548^ „ 260,368 „ 96.912
Provinz 698,733 „ 718,373 „ 281,012

Unter den acht preußischen Provinzen hat nur Preußen eine verhältnißmäßig
größere Zahl von Ehen. Auch in Rücksicht der Sittlichkeit steht Posen auf
zweiter Stelle. In Westphalen ist das 27. Kind ein uneheliches, in Posen
das 13.; dann fallen die Zahlen schnell; in Schlesien ist es schon das 7. bis 8.

Eingewandert sind bei uns in Posen 587;
in Bromberg 641.
Ausgewandert ., „ aus Posen 2,256;
aus Bromberg 3,426.

Diese zahlreiche Auswanderung drängt nach zwei Seiten. Brodlose Arbeiter,
Unzufriedene aller Art und leider auch aufgeredete und nachmals furchtbar
betrogene Dienstleute ziehen nach Russisch-Polen. Es kann nicht ernst genug
hiervor gewarnt werden. Mit den gleißendsten Versprechungen angelockt, er¬
fahren die Opfer, sobald sie nur die Grenze hinter sich haben, die traurige
Wahrheit. Eheleute werden getrennt; der Mann harter Frohnde unterworfen,
mit der Knute zum Schweigen gebracht, zu arm, um zurückzukehren, vermag
er nicht einmal den Aufenthaltsort seines jungen Weibes zu ermitteln und hat in
Bezug auf sie das Schlimmste zu fürchten. Nackt und bloß, so versichert er
seinem früheren deutschen Grundherrn durch Briefe, die er auf sinnreichen
Wege ihm zuzusenden weiß, möchte er wiederkommen, wenn dieser Mittel
wüßte, ihn nach Preußen zurückzuführen.

Sie bemerken, daß ich einen erlebten Fall im Auge habe, aber fast jeder,
der sich hier für das Leben des Volkes interessirt, könnte mit einem solchen
dienen.

Eine andere Auswanderung geht nach Westen, nach Amerika, auch nach
Australien. Dorthin ziehen vor Allem unsere Juden, und fast jede jüdische
Familie hat dort einen oder mehre ihrer Angehörigen, meist jüngere Leute,
welche später die Ihrigen nachrufen sollen, und auf welche diese ihre Hoffnung
gesetzt haben, wie die alte Frau, die mir gegenüber wohnt und die einzige
Person in der Stadt ist, die es nicht weiß, daß „ihr Kind in Amerika" seit
vier Jahren todt ist.

Die Einwanderer sind Deutsche von allen drei Richtungen bis aus Sachsen
her. Sie mögen kommen, denn es ist noch genug Raum da. ^


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/142>, abgerufen am 15.05.2024.