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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Erlauben Sie mir aber auch das Zeugniß eines katholischen Polen anzu¬
führen. Der Literarhistoriker Wvjcicki schreibt: "Kaum hatten die Jesuiten im
Volke die Oberhand gewonnen, so war es. als ob eine finstre Decke, eine un¬
durchsichtige Dämmerung die noch nicht erstorbene Literatur der Sigismundschen
Zeiten verhüllt hätte. Ein dem polnischen Volke bis dahin unbekannter Fana¬
tismus besudelte die Namen der verdienstvollsten Schriftsteller des goldenen
Zeitalters. Die jesuitischen Zöglinge suchten in denselben Stellen auf, um ihren
mangelhaften Glauben nachzuweisen und sie der Ketzerei anzuklagen. Sie
zertraten in den jugendlichen Gemüthern die persönliche Würde; denn indem sie
die Knäblein des niedern Adels hochmüthig machten, lehrten sie dieselben doch
zugleich vor dem hohen Junkerlein kriechen und sich gemein machen. Die
schnurrbärtigen Schulbuben richteten sie zu blutigen Händeln und Störungen
des bürgerlichen Friedens ab, indem sie ihre Schaaren im Namen Gottes und
der Religion zur Zerstörung und Niederbrennung der Gotteshäuser anders¬
gläubiger Brüder anführten. Nachdem die Bildung des sechzehnten Jahrhunderts
vergessen war, redete und schrieb der Zögling ihrer Schulen eine barbarische
Sprache und war dermaßen ungebildet und unaufgeklärt, daß er von dem
Standpunkte und den Bedürfnissen seines Volkes nichts verstand und begriff.
Sonst allezeit gottesfürchtig und edelmüthig, begann nun der Edelmann, wie
ein Blinder umherzutappen und hielt den ihm eingeredeten blinden Glaubens-
eifer und die Frömmelei für Religion, die Jesuiten aber für Muster der Heilig¬
keit. Ohne Verständniß für den Geist der Zeit war die ganze Masse des
niedern Adels ein Spielball der hochmüthigen Magnatlein, welche ihn leiteten,
wie sie wollten, aber es nie auf die rechte Weise wollten. Der Verfall der
Nation erfolgte nicht, wie dies Adrian Krzyzanowski behauptet, durch die
Schuld der Könige, sondern durch die Schuld der Magnaten und der Jesuiten."

Die Lage der Dinge ist noch dieselbe. Die Sache, für welche die pol¬
nische Bewegungspartci einsteht, ist die des religiösen Obscurantismus, des
politischen und socialen Feudalismus, des Junkerthums in der häßlichsten Form.
Die Sache der preußischen Regierung und der Deutschen in der Provinz Posen
ist die des Rechtes, der Freiheit und Wahrheit. Es wäre nur die Schuld
meiner Darstellung, wenn die in den nächsten Briefen folgenden Schilderungen
den Beweis dafür schuldig blieben.

Was die kirchliche Versorgung der Provinz anlangt, so hat Herr v. Mon-
talembert Europa belehrt: die Katholiken werden versäumt; wo fünf bis sechs
Protestanten in einem Orte leben, wird ihnen ein Kirchen-System errichtet.
Lassen wir die Zahlen aufmarschiren. bemerken aber vorher, daß die Pro¬
testanten, da sie zerstreuter wohnen, mehrer Kirchen und Geistlichen bedürfen, als
die mehr concentrirten Katholiken, sodann daß diese ihre Pfarreien durch die
Misfallen unterhalten, welche ohne Unterschied des Glaubens -- nach staatlicher


Erlauben Sie mir aber auch das Zeugniß eines katholischen Polen anzu¬
führen. Der Literarhistoriker Wvjcicki schreibt: „Kaum hatten die Jesuiten im
Volke die Oberhand gewonnen, so war es. als ob eine finstre Decke, eine un¬
durchsichtige Dämmerung die noch nicht erstorbene Literatur der Sigismundschen
Zeiten verhüllt hätte. Ein dem polnischen Volke bis dahin unbekannter Fana¬
tismus besudelte die Namen der verdienstvollsten Schriftsteller des goldenen
Zeitalters. Die jesuitischen Zöglinge suchten in denselben Stellen auf, um ihren
mangelhaften Glauben nachzuweisen und sie der Ketzerei anzuklagen. Sie
zertraten in den jugendlichen Gemüthern die persönliche Würde; denn indem sie
die Knäblein des niedern Adels hochmüthig machten, lehrten sie dieselben doch
zugleich vor dem hohen Junkerlein kriechen und sich gemein machen. Die
schnurrbärtigen Schulbuben richteten sie zu blutigen Händeln und Störungen
des bürgerlichen Friedens ab, indem sie ihre Schaaren im Namen Gottes und
der Religion zur Zerstörung und Niederbrennung der Gotteshäuser anders¬
gläubiger Brüder anführten. Nachdem die Bildung des sechzehnten Jahrhunderts
vergessen war, redete und schrieb der Zögling ihrer Schulen eine barbarische
Sprache und war dermaßen ungebildet und unaufgeklärt, daß er von dem
Standpunkte und den Bedürfnissen seines Volkes nichts verstand und begriff.
Sonst allezeit gottesfürchtig und edelmüthig, begann nun der Edelmann, wie
ein Blinder umherzutappen und hielt den ihm eingeredeten blinden Glaubens-
eifer und die Frömmelei für Religion, die Jesuiten aber für Muster der Heilig¬
keit. Ohne Verständniß für den Geist der Zeit war die ganze Masse des
niedern Adels ein Spielball der hochmüthigen Magnatlein, welche ihn leiteten,
wie sie wollten, aber es nie auf die rechte Weise wollten. Der Verfall der
Nation erfolgte nicht, wie dies Adrian Krzyzanowski behauptet, durch die
Schuld der Könige, sondern durch die Schuld der Magnaten und der Jesuiten."

Die Lage der Dinge ist noch dieselbe. Die Sache, für welche die pol¬
nische Bewegungspartci einsteht, ist die des religiösen Obscurantismus, des
politischen und socialen Feudalismus, des Junkerthums in der häßlichsten Form.
Die Sache der preußischen Regierung und der Deutschen in der Provinz Posen
ist die des Rechtes, der Freiheit und Wahrheit. Es wäre nur die Schuld
meiner Darstellung, wenn die in den nächsten Briefen folgenden Schilderungen
den Beweis dafür schuldig blieben.

Was die kirchliche Versorgung der Provinz anlangt, so hat Herr v. Mon-
talembert Europa belehrt: die Katholiken werden versäumt; wo fünf bis sechs
Protestanten in einem Orte leben, wird ihnen ein Kirchen-System errichtet.
Lassen wir die Zahlen aufmarschiren. bemerken aber vorher, daß die Pro¬
testanten, da sie zerstreuter wohnen, mehrer Kirchen und Geistlichen bedürfen, als
die mehr concentrirten Katholiken, sodann daß diese ihre Pfarreien durch die
Misfallen unterhalten, welche ohne Unterschied des Glaubens — nach staatlicher


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[0144] Erlauben Sie mir aber auch das Zeugniß eines katholischen Polen anzu¬ führen. Der Literarhistoriker Wvjcicki schreibt: „Kaum hatten die Jesuiten im Volke die Oberhand gewonnen, so war es. als ob eine finstre Decke, eine un¬ durchsichtige Dämmerung die noch nicht erstorbene Literatur der Sigismundschen Zeiten verhüllt hätte. Ein dem polnischen Volke bis dahin unbekannter Fana¬ tismus besudelte die Namen der verdienstvollsten Schriftsteller des goldenen Zeitalters. Die jesuitischen Zöglinge suchten in denselben Stellen auf, um ihren mangelhaften Glauben nachzuweisen und sie der Ketzerei anzuklagen. Sie zertraten in den jugendlichen Gemüthern die persönliche Würde; denn indem sie die Knäblein des niedern Adels hochmüthig machten, lehrten sie dieselben doch zugleich vor dem hohen Junkerlein kriechen und sich gemein machen. Die schnurrbärtigen Schulbuben richteten sie zu blutigen Händeln und Störungen des bürgerlichen Friedens ab, indem sie ihre Schaaren im Namen Gottes und der Religion zur Zerstörung und Niederbrennung der Gotteshäuser anders¬ gläubiger Brüder anführten. Nachdem die Bildung des sechzehnten Jahrhunderts vergessen war, redete und schrieb der Zögling ihrer Schulen eine barbarische Sprache und war dermaßen ungebildet und unaufgeklärt, daß er von dem Standpunkte und den Bedürfnissen seines Volkes nichts verstand und begriff. Sonst allezeit gottesfürchtig und edelmüthig, begann nun der Edelmann, wie ein Blinder umherzutappen und hielt den ihm eingeredeten blinden Glaubens- eifer und die Frömmelei für Religion, die Jesuiten aber für Muster der Heilig¬ keit. Ohne Verständniß für den Geist der Zeit war die ganze Masse des niedern Adels ein Spielball der hochmüthigen Magnatlein, welche ihn leiteten, wie sie wollten, aber es nie auf die rechte Weise wollten. Der Verfall der Nation erfolgte nicht, wie dies Adrian Krzyzanowski behauptet, durch die Schuld der Könige, sondern durch die Schuld der Magnaten und der Jesuiten." Die Lage der Dinge ist noch dieselbe. Die Sache, für welche die pol¬ nische Bewegungspartci einsteht, ist die des religiösen Obscurantismus, des politischen und socialen Feudalismus, des Junkerthums in der häßlichsten Form. Die Sache der preußischen Regierung und der Deutschen in der Provinz Posen ist die des Rechtes, der Freiheit und Wahrheit. Es wäre nur die Schuld meiner Darstellung, wenn die in den nächsten Briefen folgenden Schilderungen den Beweis dafür schuldig blieben. Was die kirchliche Versorgung der Provinz anlangt, so hat Herr v. Mon- talembert Europa belehrt: die Katholiken werden versäumt; wo fünf bis sechs Protestanten in einem Orte leben, wird ihnen ein Kirchen-System errichtet. Lassen wir die Zahlen aufmarschiren. bemerken aber vorher, daß die Pro¬ testanten, da sie zerstreuter wohnen, mehrer Kirchen und Geistlichen bedürfen, als die mehr concentrirten Katholiken, sodann daß diese ihre Pfarreien durch die Misfallen unterhalten, welche ohne Unterschied des Glaubens — nach staatlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/144>, abgerufen am 15.05.2024.