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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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leben durchschnittlich nur 2,643 Einwohner auf der Quadratin eile. Die Hoff¬
nung aber, als gebe es hier eine" andern und leichtern Weg, zu Wohlstand
zu gelangen als in ihrer Heimath, mögen sie zurücklassen. Ohne Fleiß, Ord¬
nung und Nüchternheit werden sie im fremden Lande dem Proletariat nur
doppelt schnell verfallen.

Sie kennen die Mischung unserer Bevölkerung, 1838 waren bei uns:

Polen. Deutsche. Ev. Kath, Jud.
Posen 536,840 381,382 261,287 608,831 47,007
Bromberg 246,852 252.081 203.306 271.222 24,291
Provinz 783.602 633,463 464.503 880,073 72,198/

Polnisch und katholisch, deutsch und evangelisch sind also nicht cvngruente
Begriffe. Es gibt gegen 20.000 evangelische Polen und über 100,000 deutsche
Katholiken im Lande; gleichwohl werden diese Beziehungen als gleichbedeutend
genommen. Daß, wie man erzählt, ein Bauer vor Gericht erklärt, er "spreche
nicht lutherisch", ist gewiß selten; der Ausdruck aber: "deutsch oder polnisch
werden" für den Uebertritt zur evangelischen oder zur katholischen Kirche ist der
allein herrschende. Der unirt gesinnte evangelische Pfarrer, weicher sich zu dem
verständlichen "lutherisch" nicht bequemen mag, hat große Mühe, ehe er von
seinem Schüler ein anderes Bekenntniß, als das zum "deutschen Glauben" er¬
langt. Wir könne" uns die Sache gefallen lassen, aber für die deutschen
Katholiken und für die Polen ist sie gleich verderblich. Ersteren wird unter
der Borstellung, daß jeder Katholik Pole sein müsse, tue Befriedigung ihrer
kirchlichen Bedürfnisse verweigert oder vorenthalten. "Lernen Sie," sagt man
ihnen, "die Sprache Ihres Baterlandes, diejenige, in welcher hier das Evan¬
gelium gepredigt wird" und unter dem Bvrgeben, jeder Streit wider die pol¬
nische Sache werde auch gegen die katholische Kirche geführt, werden sie wider
besseres Meinen und Wollen unter das Joch der polnischen Mehrzahl ihrer
Glaubensgenossen gezwungen. Noch unheilvoller ist diese von unserer katholi¬
schen Geistlichkeit ausgestreute Lüge für die Polen selbst. Ich kenne keinen
furchtbareren Feind des polnischen Botts und Landes, als den Katholicismus,
speciell: den Jesuitismus; er ist die Boa constrictor, unter deren Umarmungen
Polen politisch untergegangen ist und ohne unsere Reaction auch Physisch und mo¬
ralisch zu Grunde gehen würde. Ich kann mich dafür auf das Wort des berühmten
Polnischen Predigers Samuel Dkjbrowski (Dombrowski) berufen, welcher schon
ums Jahr 1600 seinen Landsleuten den Untergang des Reiches als eine Strafe
für die Berfolgung des Evangeliums ankündigte. "Die Zeit wird es kund
thun; es wird über euch kommen all das gerechte Blut, und nicht allein das,
sondern auch die Thränen der um ihres Glaubens willen geplagten Leute"---
"vonikt es wird kommen, was wird kommen? vwäicitu. äst, die gerechte Rache
Gottes" -- -- "so ist nichts gewisser als daß man Trümmer und kläglichen
Verfall zu erwarten habe."


leben durchschnittlich nur 2,643 Einwohner auf der Quadratin eile. Die Hoff¬
nung aber, als gebe es hier eine» andern und leichtern Weg, zu Wohlstand
zu gelangen als in ihrer Heimath, mögen sie zurücklassen. Ohne Fleiß, Ord¬
nung und Nüchternheit werden sie im fremden Lande dem Proletariat nur
doppelt schnell verfallen.

Sie kennen die Mischung unserer Bevölkerung, 1838 waren bei uns:

Polen. Deutsche. Ev. Kath, Jud.
Posen 536,840 381,382 261,287 608,831 47,007
Bromberg 246,852 252.081 203.306 271.222 24,291
Provinz 783.602 633,463 464.503 880,073 72,198/

Polnisch und katholisch, deutsch und evangelisch sind also nicht cvngruente
Begriffe. Es gibt gegen 20.000 evangelische Polen und über 100,000 deutsche
Katholiken im Lande; gleichwohl werden diese Beziehungen als gleichbedeutend
genommen. Daß, wie man erzählt, ein Bauer vor Gericht erklärt, er „spreche
nicht lutherisch", ist gewiß selten; der Ausdruck aber: „deutsch oder polnisch
werden" für den Uebertritt zur evangelischen oder zur katholischen Kirche ist der
allein herrschende. Der unirt gesinnte evangelische Pfarrer, weicher sich zu dem
verständlichen „lutherisch" nicht bequemen mag, hat große Mühe, ehe er von
seinem Schüler ein anderes Bekenntniß, als das zum „deutschen Glauben" er¬
langt. Wir könne» uns die Sache gefallen lassen, aber für die deutschen
Katholiken und für die Polen ist sie gleich verderblich. Ersteren wird unter
der Borstellung, daß jeder Katholik Pole sein müsse, tue Befriedigung ihrer
kirchlichen Bedürfnisse verweigert oder vorenthalten. „Lernen Sie," sagt man
ihnen, „die Sprache Ihres Baterlandes, diejenige, in welcher hier das Evan¬
gelium gepredigt wird" und unter dem Bvrgeben, jeder Streit wider die pol¬
nische Sache werde auch gegen die katholische Kirche geführt, werden sie wider
besseres Meinen und Wollen unter das Joch der polnischen Mehrzahl ihrer
Glaubensgenossen gezwungen. Noch unheilvoller ist diese von unserer katholi¬
schen Geistlichkeit ausgestreute Lüge für die Polen selbst. Ich kenne keinen
furchtbareren Feind des polnischen Botts und Landes, als den Katholicismus,
speciell: den Jesuitismus; er ist die Boa constrictor, unter deren Umarmungen
Polen politisch untergegangen ist und ohne unsere Reaction auch Physisch und mo¬
ralisch zu Grunde gehen würde. Ich kann mich dafür auf das Wort des berühmten
Polnischen Predigers Samuel Dkjbrowski (Dombrowski) berufen, welcher schon
ums Jahr 1600 seinen Landsleuten den Untergang des Reiches als eine Strafe
für die Berfolgung des Evangeliums ankündigte. „Die Zeit wird es kund
thun; es wird über euch kommen all das gerechte Blut, und nicht allein das,
sondern auch die Thränen der um ihres Glaubens willen geplagten Leute"---
„vonikt es wird kommen, was wird kommen? vwäicitu. äst, die gerechte Rache
Gottes" — — „so ist nichts gewisser als daß man Trümmer und kläglichen
Verfall zu erwarten habe."


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[0143] leben durchschnittlich nur 2,643 Einwohner auf der Quadratin eile. Die Hoff¬ nung aber, als gebe es hier eine» andern und leichtern Weg, zu Wohlstand zu gelangen als in ihrer Heimath, mögen sie zurücklassen. Ohne Fleiß, Ord¬ nung und Nüchternheit werden sie im fremden Lande dem Proletariat nur doppelt schnell verfallen. Sie kennen die Mischung unserer Bevölkerung, 1838 waren bei uns: Polen. Deutsche. Ev. Kath, Jud. Posen 536,840 381,382 261,287 608,831 47,007 Bromberg 246,852 252.081 203.306 271.222 24,291 Provinz 783.602 633,463 464.503 880,073 72,198/ Polnisch und katholisch, deutsch und evangelisch sind also nicht cvngruente Begriffe. Es gibt gegen 20.000 evangelische Polen und über 100,000 deutsche Katholiken im Lande; gleichwohl werden diese Beziehungen als gleichbedeutend genommen. Daß, wie man erzählt, ein Bauer vor Gericht erklärt, er „spreche nicht lutherisch", ist gewiß selten; der Ausdruck aber: „deutsch oder polnisch werden" für den Uebertritt zur evangelischen oder zur katholischen Kirche ist der allein herrschende. Der unirt gesinnte evangelische Pfarrer, weicher sich zu dem verständlichen „lutherisch" nicht bequemen mag, hat große Mühe, ehe er von seinem Schüler ein anderes Bekenntniß, als das zum „deutschen Glauben" er¬ langt. Wir könne» uns die Sache gefallen lassen, aber für die deutschen Katholiken und für die Polen ist sie gleich verderblich. Ersteren wird unter der Borstellung, daß jeder Katholik Pole sein müsse, tue Befriedigung ihrer kirchlichen Bedürfnisse verweigert oder vorenthalten. „Lernen Sie," sagt man ihnen, „die Sprache Ihres Baterlandes, diejenige, in welcher hier das Evan¬ gelium gepredigt wird" und unter dem Bvrgeben, jeder Streit wider die pol¬ nische Sache werde auch gegen die katholische Kirche geführt, werden sie wider besseres Meinen und Wollen unter das Joch der polnischen Mehrzahl ihrer Glaubensgenossen gezwungen. Noch unheilvoller ist diese von unserer katholi¬ schen Geistlichkeit ausgestreute Lüge für die Polen selbst. Ich kenne keinen furchtbareren Feind des polnischen Botts und Landes, als den Katholicismus, speciell: den Jesuitismus; er ist die Boa constrictor, unter deren Umarmungen Polen politisch untergegangen ist und ohne unsere Reaction auch Physisch und mo¬ ralisch zu Grunde gehen würde. Ich kann mich dafür auf das Wort des berühmten Polnischen Predigers Samuel Dkjbrowski (Dombrowski) berufen, welcher schon ums Jahr 1600 seinen Landsleuten den Untergang des Reiches als eine Strafe für die Berfolgung des Evangeliums ankündigte. „Die Zeit wird es kund thun; es wird über euch kommen all das gerechte Blut, und nicht allein das, sondern auch die Thränen der um ihres Glaubens willen geplagten Leute"--- „vonikt es wird kommen, was wird kommen? vwäicitu. äst, die gerechte Rache Gottes" — — „so ist nichts gewisser als daß man Trümmer und kläglichen Verfall zu erwarten habe."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/143>, abgerufen am 16.05.2024.