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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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achtung man bei den Inspektionen nicht für nöthig gehalten hatte. Der Oberkirchen-
rath erbot sich jetzt, es zur vberbischöflichen Genehmigung zu empfehlen, daß
künftig die Aufforderung an die Gemeinde zur Anbringung ihrer etwaigen
kirchlichen Wünsche und Beschwerden wegfiele, wogegen die Stände ihren Wider¬
spruch gegen die öffentliche Anmeldung des Superintendenten zur Kirchen-
inspectivn und gegen die Rede desselben aus dem Altar an die Gemeinde aus¬
geben sollten. Ferner erbot sich der Oberkirchenrath, die Superintendenten
zur Anzeige der bevorstehenden Inspektion einer Kirche ständischen Patronats
an den Kirchenpatron zu verpflichten. Die Stände nahmen diese Anerbietungen
an und gaben damit ihren Widerspruch gegen die Kirchcninspectionen aus.

In der Baumgartcnschen Sache waren die Stände vor mehren Jahren
so weit vorgegangen, daß sie die Vertretung des Professor Baumgarten wegen
seiner Amtsentlassung übernommen hatten. Sie bereuten aber bald diesen Schritt
und gaben schon auf dem nächsten Landtag den Beschluß wieder auf. Der
Mehrzahl der Landstände gilt Baumgarten als ein politischer Unruhestifter, dessen
Sache man selbst dann nicht aufnehmen dürfe, wenn sie gerecht sei. Daher
fand denn auch der Antrag des Herrn Dethloff auf Carlsruhe: den Gro߬
herzog zu ersuchen, daß er dem Oberkirchenrath befehlen möchte, "die in meh¬
ren Schriften von Baumgcmen, Selim und Lenz erhobenen und zur allgemeinen
Kunde gekommenen Anklagen mit Thatsachen öffentlich zu widerlegen, widrigen¬
falls sein Amt niederzulegen", bei der Landtagsversammlung keinen Anklang.

Die von den Ständen angeregte Prüfung der Frage, ob der Oberkirchen¬
rath in der ihm angewiesenen Stellung ein mit der Landesverfassung verein¬
bartes Organ sei, ruhet seit längerer Zeit. Dagegen spielt sich eine die Stre-
litzer angehende analoge Frage, welche die Rubrik trägt: "Beseitigung der mit
der gegenwärtigen Stellung des Cvnsistoriums zu Ncustrelitz verbundenen Un-
juträglichkeiteu", von Landtag zu Landtag fort. Die Strelitzer Landesregierung
sorgt für die regelmäßige Wiederkehr dieses Punktes unter den Propositionen
des Engeren Ausschusses dadurch, daß sie den bezüglichen ständischen Anträgen
ein beharrliches Schweigen entgegensetzt. Der Engere Ausschuß mußte auch
diesmal wieder berichten, daß er auftragsmäßig den Großherzog von Mecklen¬
burg-Strelitz ersucht habe, die schon seit längerer Zeit wiederholt erbetene Re¬
solution nunmehr zu ertheilen, bisher jedoch gleichfalls ohne Erfolg. Die
Stände faßten darauf den Beschluß, dringend zu maturiren.

Alle diese auf das Kirchenwesen bezüglichen Verhandlungen verliefen in
dein gewohnten Gange und ohne im größeren Publicum besondere Beachtung
Zu finden. Dagegen ward durch ein Mitglied der Ritterschaft ein Fall aus
°er modernen Kirchenpraxis zur Sprache gebracht, welcher schon sofort nach
seiner Kundwerdung das größte Aufsehen im Lande gemacht hatte und nun
"und auf dem Landtage eine lebhafte Bewegung hervorrief, die sich dann auch


achtung man bei den Inspektionen nicht für nöthig gehalten hatte. Der Oberkirchen-
rath erbot sich jetzt, es zur vberbischöflichen Genehmigung zu empfehlen, daß
künftig die Aufforderung an die Gemeinde zur Anbringung ihrer etwaigen
kirchlichen Wünsche und Beschwerden wegfiele, wogegen die Stände ihren Wider¬
spruch gegen die öffentliche Anmeldung des Superintendenten zur Kirchen-
inspectivn und gegen die Rede desselben aus dem Altar an die Gemeinde aus¬
geben sollten. Ferner erbot sich der Oberkirchenrath, die Superintendenten
zur Anzeige der bevorstehenden Inspektion einer Kirche ständischen Patronats
an den Kirchenpatron zu verpflichten. Die Stände nahmen diese Anerbietungen
an und gaben damit ihren Widerspruch gegen die Kirchcninspectionen aus.

In der Baumgartcnschen Sache waren die Stände vor mehren Jahren
so weit vorgegangen, daß sie die Vertretung des Professor Baumgarten wegen
seiner Amtsentlassung übernommen hatten. Sie bereuten aber bald diesen Schritt
und gaben schon auf dem nächsten Landtag den Beschluß wieder auf. Der
Mehrzahl der Landstände gilt Baumgarten als ein politischer Unruhestifter, dessen
Sache man selbst dann nicht aufnehmen dürfe, wenn sie gerecht sei. Daher
fand denn auch der Antrag des Herrn Dethloff auf Carlsruhe: den Gro߬
herzog zu ersuchen, daß er dem Oberkirchenrath befehlen möchte, „die in meh¬
ren Schriften von Baumgcmen, Selim und Lenz erhobenen und zur allgemeinen
Kunde gekommenen Anklagen mit Thatsachen öffentlich zu widerlegen, widrigen¬
falls sein Amt niederzulegen", bei der Landtagsversammlung keinen Anklang.

Die von den Ständen angeregte Prüfung der Frage, ob der Oberkirchen¬
rath in der ihm angewiesenen Stellung ein mit der Landesverfassung verein¬
bartes Organ sei, ruhet seit längerer Zeit. Dagegen spielt sich eine die Stre-
litzer angehende analoge Frage, welche die Rubrik trägt: „Beseitigung der mit
der gegenwärtigen Stellung des Cvnsistoriums zu Ncustrelitz verbundenen Un-
juträglichkeiteu", von Landtag zu Landtag fort. Die Strelitzer Landesregierung
sorgt für die regelmäßige Wiederkehr dieses Punktes unter den Propositionen
des Engeren Ausschusses dadurch, daß sie den bezüglichen ständischen Anträgen
ein beharrliches Schweigen entgegensetzt. Der Engere Ausschuß mußte auch
diesmal wieder berichten, daß er auftragsmäßig den Großherzog von Mecklen¬
burg-Strelitz ersucht habe, die schon seit längerer Zeit wiederholt erbetene Re¬
solution nunmehr zu ertheilen, bisher jedoch gleichfalls ohne Erfolg. Die
Stände faßten darauf den Beschluß, dringend zu maturiren.

Alle diese auf das Kirchenwesen bezüglichen Verhandlungen verliefen in
dein gewohnten Gange und ohne im größeren Publicum besondere Beachtung
Zu finden. Dagegen ward durch ein Mitglied der Ritterschaft ein Fall aus
°er modernen Kirchenpraxis zur Sprache gebracht, welcher schon sofort nach
seiner Kundwerdung das größte Aufsehen im Lande gemacht hatte und nun
«und auf dem Landtage eine lebhafte Bewegung hervorrief, die sich dann auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/151>, abgerufen am 15.05.2024.