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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Man macht sich von der mecklenburgischen Steuerreform ein vollkommen
unrichtiges Bild, wenn man annimmt, daß dieselbe sich auf das Ganze der
Landesabgaben erstrecke. Sie berührt nur einzelne Theile derselben. Ebenso
wenig wird durch das von den Ständen genehmigte Steuerreformproject das
Princip des altständischen Steuersystems im Geringsten geändert. Die Steuern
werden nach wie vor als aversioneller Hülfsbeitrag zu den Kosten der Landes¬
administration in die großherzogliche Kasse gezahlt, ohne daß der Landes-
Vertretung eine Einsicht in das Bedürfniß und eine Controle der Verwendung
eingeräumt wird. Hieraus erklärt es sich, daß die Regierungsvorlagen auf je¬
den Versuch einer rationalen, auf wirthschaftliche Grundsätze gestützten Moti-
virung verzichten mußten. Die Frage ward einfach so gestellt! wie viel haben
die Abgaben, deren Modus als drückend empfunden wird und daher geändert
werden soll, bisher an Ertrag geliefert, wie viel muß also der als Ersatz ein¬
tretende neue Modus liefern, und wie ist der etwaige Ausfall zu decken? Unter
diesen Umständen konnte die Behandlung des Gegenstandes nur auf Seiten
aller bei der Gesetzgebung mitwirkenden Factoren eine höchst magere sein. Bon
keiner dieser Seiten wurde irgend etwas dargeboten, was an eine tiefere po¬
litische und nationalökonomische Auffassung des Steuerwesens auch nur entfernt
erinnerte. Wenn die Regierung auf eine eingehende Motivirung ihrer Vor¬
schläge und auf eine Widerlegung der gegen dieselben erhobenen Bedenken sich
nicht einließ, so blieben auch die Stände bei der Prüfung und Erörterung des
Regierungsprojects an der äußersten Oberfläche haften. Die Landtagscommission
erstattet ihren, jede principielle Behandlung vermeidenden, nur Einzelnheiten ins
Auge fassenden Bericht, der Bericht wird verlesen, man schreitet sofort nach der
Verlesung zur Berathung, und die schwierigsten Dinge sind binnen wenigen Stun¬
den mit Leichtigkeit abgethan. Die gründlich motivirte Kritik, welche in den
Jahren 1860 und 1861 der Regierungsrath Prosch in zwei Schriften, deren
erste Anlaß zu seiner Pensionirung ward, und im Jahre 1862 Moritz Wiggers
in der Schrift "Die mecklenburgische Steuerreform, Preußen und der Zollverein"
dem Regierungsproject widmeten, wird weder in dem Bericht noch in der Ver¬
handlung darüber berücksichtigt. Die Landtagsversammiung ignorirte diese ge¬
wichtigen Gegner des Projects auf das Vollständigste. Es mochten überhaupt
kaum einzelne Mitglieder der Versammlung von jenen Schriften nähere Kennt¬
niß genommen haben. Denn in gewissen Regionen Mecklenburgs glaubt man
sich bei dem Grundsatz am besten zu stehen, in keine Schrift einen Blick zu
thun, von welcher man befürchtet, daß sie die nun einmal festgestellte Ansicht
wankend machen könne.

Die altständische Steuerverfassung Mecklenburgs legt dein Domanium und
der Ritterschaft eine Hufensteuer und für die "außerhalb der Hufen" wohnen¬
den Personen eine sogenannte Nebensteuer aus. Die Städte leisten die ent-


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Man macht sich von der mecklenburgischen Steuerreform ein vollkommen
unrichtiges Bild, wenn man annimmt, daß dieselbe sich auf das Ganze der
Landesabgaben erstrecke. Sie berührt nur einzelne Theile derselben. Ebenso
wenig wird durch das von den Ständen genehmigte Steuerreformproject das
Princip des altständischen Steuersystems im Geringsten geändert. Die Steuern
werden nach wie vor als aversioneller Hülfsbeitrag zu den Kosten der Landes¬
administration in die großherzogliche Kasse gezahlt, ohne daß der Landes-
Vertretung eine Einsicht in das Bedürfniß und eine Controle der Verwendung
eingeräumt wird. Hieraus erklärt es sich, daß die Regierungsvorlagen auf je¬
den Versuch einer rationalen, auf wirthschaftliche Grundsätze gestützten Moti-
virung verzichten mußten. Die Frage ward einfach so gestellt! wie viel haben
die Abgaben, deren Modus als drückend empfunden wird und daher geändert
werden soll, bisher an Ertrag geliefert, wie viel muß also der als Ersatz ein¬
tretende neue Modus liefern, und wie ist der etwaige Ausfall zu decken? Unter
diesen Umständen konnte die Behandlung des Gegenstandes nur auf Seiten
aller bei der Gesetzgebung mitwirkenden Factoren eine höchst magere sein. Bon
keiner dieser Seiten wurde irgend etwas dargeboten, was an eine tiefere po¬
litische und nationalökonomische Auffassung des Steuerwesens auch nur entfernt
erinnerte. Wenn die Regierung auf eine eingehende Motivirung ihrer Vor¬
schläge und auf eine Widerlegung der gegen dieselben erhobenen Bedenken sich
nicht einließ, so blieben auch die Stände bei der Prüfung und Erörterung des
Regierungsprojects an der äußersten Oberfläche haften. Die Landtagscommission
erstattet ihren, jede principielle Behandlung vermeidenden, nur Einzelnheiten ins
Auge fassenden Bericht, der Bericht wird verlesen, man schreitet sofort nach der
Verlesung zur Berathung, und die schwierigsten Dinge sind binnen wenigen Stun¬
den mit Leichtigkeit abgethan. Die gründlich motivirte Kritik, welche in den
Jahren 1860 und 1861 der Regierungsrath Prosch in zwei Schriften, deren
erste Anlaß zu seiner Pensionirung ward, und im Jahre 1862 Moritz Wiggers
in der Schrift „Die mecklenburgische Steuerreform, Preußen und der Zollverein"
dem Regierungsproject widmeten, wird weder in dem Bericht noch in der Ver¬
handlung darüber berücksichtigt. Die Landtagsversammiung ignorirte diese ge¬
wichtigen Gegner des Projects auf das Vollständigste. Es mochten überhaupt
kaum einzelne Mitglieder der Versammlung von jenen Schriften nähere Kennt¬
niß genommen haben. Denn in gewissen Regionen Mecklenburgs glaubt man
sich bei dem Grundsatz am besten zu stehen, in keine Schrift einen Blick zu
thun, von welcher man befürchtet, daß sie die nun einmal festgestellte Ansicht
wankend machen könne.

Die altständische Steuerverfassung Mecklenburgs legt dein Domanium und
der Ritterschaft eine Hufensteuer und für die „außerhalb der Hufen" wohnen¬
den Personen eine sogenannte Nebensteuer aus. Die Städte leisten die ent-


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[0187] Man macht sich von der mecklenburgischen Steuerreform ein vollkommen unrichtiges Bild, wenn man annimmt, daß dieselbe sich auf das Ganze der Landesabgaben erstrecke. Sie berührt nur einzelne Theile derselben. Ebenso wenig wird durch das von den Ständen genehmigte Steuerreformproject das Princip des altständischen Steuersystems im Geringsten geändert. Die Steuern werden nach wie vor als aversioneller Hülfsbeitrag zu den Kosten der Landes¬ administration in die großherzogliche Kasse gezahlt, ohne daß der Landes- Vertretung eine Einsicht in das Bedürfniß und eine Controle der Verwendung eingeräumt wird. Hieraus erklärt es sich, daß die Regierungsvorlagen auf je¬ den Versuch einer rationalen, auf wirthschaftliche Grundsätze gestützten Moti- virung verzichten mußten. Die Frage ward einfach so gestellt! wie viel haben die Abgaben, deren Modus als drückend empfunden wird und daher geändert werden soll, bisher an Ertrag geliefert, wie viel muß also der als Ersatz ein¬ tretende neue Modus liefern, und wie ist der etwaige Ausfall zu decken? Unter diesen Umständen konnte die Behandlung des Gegenstandes nur auf Seiten aller bei der Gesetzgebung mitwirkenden Factoren eine höchst magere sein. Bon keiner dieser Seiten wurde irgend etwas dargeboten, was an eine tiefere po¬ litische und nationalökonomische Auffassung des Steuerwesens auch nur entfernt erinnerte. Wenn die Regierung auf eine eingehende Motivirung ihrer Vor¬ schläge und auf eine Widerlegung der gegen dieselben erhobenen Bedenken sich nicht einließ, so blieben auch die Stände bei der Prüfung und Erörterung des Regierungsprojects an der äußersten Oberfläche haften. Die Landtagscommission erstattet ihren, jede principielle Behandlung vermeidenden, nur Einzelnheiten ins Auge fassenden Bericht, der Bericht wird verlesen, man schreitet sofort nach der Verlesung zur Berathung, und die schwierigsten Dinge sind binnen wenigen Stun¬ den mit Leichtigkeit abgethan. Die gründlich motivirte Kritik, welche in den Jahren 1860 und 1861 der Regierungsrath Prosch in zwei Schriften, deren erste Anlaß zu seiner Pensionirung ward, und im Jahre 1862 Moritz Wiggers in der Schrift „Die mecklenburgische Steuerreform, Preußen und der Zollverein" dem Regierungsproject widmeten, wird weder in dem Bericht noch in der Ver¬ handlung darüber berücksichtigt. Die Landtagsversammiung ignorirte diese ge¬ wichtigen Gegner des Projects auf das Vollständigste. Es mochten überhaupt kaum einzelne Mitglieder der Versammlung von jenen Schriften nähere Kennt¬ niß genommen haben. Denn in gewissen Regionen Mecklenburgs glaubt man sich bei dem Grundsatz am besten zu stehen, in keine Schrift einen Blick zu thun, von welcher man befürchtet, daß sie die nun einmal festgestellte Ansicht wankend machen könne. Die altständische Steuerverfassung Mecklenburgs legt dein Domanium und der Ritterschaft eine Hufensteuer und für die „außerhalb der Hufen" wohnen¬ den Personen eine sogenannte Nebensteuer aus. Die Städte leisten die ent- 23*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/187>, abgerufen am 07.05.2024.