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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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als göttliches und menschliches Gesetz nicht muthwillig mit Füßen getreten
werden darf.

Herr v. Dehn-Rothfelser ist nicht mehr Minister; er ist gefallen, weil er
die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllt hat. Die Aufgabe des von ihm am
21, Juni v. I. gebildeten Ministeriums sollte darin bestehen, die Verfassung
von 1831 zwar formal wiederherzustellen, aber doch dafür zu sorgen, daß sie
nicht wieder lebendig werde. Nach Außen sollte sie darin bestehen, die Am-
mosität gegen Preußen, im östreichischen Interesse aufrecht zu erhalten. Herr
v. Dehn glaubte es mit der Wiederherstellung der Verfassung etwas ernstlicher
nehmen zu müssen. Er hielt auch die Wiederanknüpfung eines leidlich guten
Vernehmens mit Preußen im Interesse des Kurfürsten und des Landes für
nothwendig. Diese Ueberzeugung wurde von ihm mit mehr Energie geltend
gemacht, als von, seiner Persönlichkeit und seinen Antecedentien erwartet werden
konnte, und als man hier einem Minister zu verzeihen Pflegt. Er mußte ent¬
fernt werden. Zugleich sollte durch seine Entfernung die überaus unbequeme
Solidarität der Minister gesprengt werden. Dieses ist vollständig gelungen,
wie man denn in dergleichen Kunststückchen eine besondere Virtuosität besitzt.
Herr v. Stiernberg und Herr Pfeiffer haben für dienlich gehalten, die früher
ausdrücklich übernommene Solidarität aufzugeben und im Amt zu bleiben.
Die Ministerien der Finanzen und des Aeußeren werden einstweilen von den
Herren Schnackenberg und Koch verwaltet. Beide sind als Lückenbüßer zu be¬
trachten, und kann deshalb ihre Persönlichkeit vorerst außer Betracht bleiben.
Die Verantwortlichkeit freilich, moralisch und strafrechtlich, ist ganz gleich, ob
ein Ministerium aus 24 Stunden oder auf ein Jahr, übernommen wird. Die
Herren scheinen aber für genügend zu halten, wen" sie nur persönlich eine
Verletzung positiver Vcrfassungsvvrschristen vermeiden. Von derjenigen Verant¬
wortlichkeit, welche durch Unterlassungen hervorgerufen wird, scheinen sie keine
Ahnung zu haben. Und doch ist gerade diese Verantwortlichkeit unter den
dermaligen Verhältnissen von einer erdrückenden Schwere. Die Dinge sind hier
zu einer durchaus bedenklichen Spannung gelangt. Wie unter gewissen Be¬
dingungen die Bewegung eines kleinen Vogels den Sturz einer gewaltigen
Lawine veranlassen kann, so kann auch hier ein ganz unbedeutendes Ereignis;
une Lawine in Bewegung setzen.




Literatur.
I^'Lmpirs ävs 1?Sars an point sotuel 6o I" soievos xar N. ^. K. Lobniti-Ier.
?ome svlionZ. 1^ Population. ?"ris et Ltrg,8t>oni'L, Veiivo Koi-ssi--I.ovi'ante
^ IM", igg2

Der erste Band dieses mit deutschem Gelehrtenfleiß aus den neuesten und besten


als göttliches und menschliches Gesetz nicht muthwillig mit Füßen getreten
werden darf.

Herr v. Dehn-Rothfelser ist nicht mehr Minister; er ist gefallen, weil er
die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllt hat. Die Aufgabe des von ihm am
21, Juni v. I. gebildeten Ministeriums sollte darin bestehen, die Verfassung
von 1831 zwar formal wiederherzustellen, aber doch dafür zu sorgen, daß sie
nicht wieder lebendig werde. Nach Außen sollte sie darin bestehen, die Am-
mosität gegen Preußen, im östreichischen Interesse aufrecht zu erhalten. Herr
v. Dehn glaubte es mit der Wiederherstellung der Verfassung etwas ernstlicher
nehmen zu müssen. Er hielt auch die Wiederanknüpfung eines leidlich guten
Vernehmens mit Preußen im Interesse des Kurfürsten und des Landes für
nothwendig. Diese Ueberzeugung wurde von ihm mit mehr Energie geltend
gemacht, als von, seiner Persönlichkeit und seinen Antecedentien erwartet werden
konnte, und als man hier einem Minister zu verzeihen Pflegt. Er mußte ent¬
fernt werden. Zugleich sollte durch seine Entfernung die überaus unbequeme
Solidarität der Minister gesprengt werden. Dieses ist vollständig gelungen,
wie man denn in dergleichen Kunststückchen eine besondere Virtuosität besitzt.
Herr v. Stiernberg und Herr Pfeiffer haben für dienlich gehalten, die früher
ausdrücklich übernommene Solidarität aufzugeben und im Amt zu bleiben.
Die Ministerien der Finanzen und des Aeußeren werden einstweilen von den
Herren Schnackenberg und Koch verwaltet. Beide sind als Lückenbüßer zu be¬
trachten, und kann deshalb ihre Persönlichkeit vorerst außer Betracht bleiben.
Die Verantwortlichkeit freilich, moralisch und strafrechtlich, ist ganz gleich, ob
ein Ministerium aus 24 Stunden oder auf ein Jahr, übernommen wird. Die
Herren scheinen aber für genügend zu halten, wen» sie nur persönlich eine
Verletzung positiver Vcrfassungsvvrschristen vermeiden. Von derjenigen Verant¬
wortlichkeit, welche durch Unterlassungen hervorgerufen wird, scheinen sie keine
Ahnung zu haben. Und doch ist gerade diese Verantwortlichkeit unter den
dermaligen Verhältnissen von einer erdrückenden Schwere. Die Dinge sind hier
zu einer durchaus bedenklichen Spannung gelangt. Wie unter gewissen Be¬
dingungen die Bewegung eines kleinen Vogels den Sturz einer gewaltigen
Lawine veranlassen kann, so kann auch hier ein ganz unbedeutendes Ereignis;
une Lawine in Bewegung setzen.




Literatur.
I^'Lmpirs ävs 1?Sars an point sotuel 6o I» soievos xar N. ^. K. Lobniti-Ier.
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Der erste Band dieses mit deutschem Gelehrtenfleiß aus den neuesten und besten


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[0205] als göttliches und menschliches Gesetz nicht muthwillig mit Füßen getreten werden darf. Herr v. Dehn-Rothfelser ist nicht mehr Minister; er ist gefallen, weil er die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllt hat. Die Aufgabe des von ihm am 21, Juni v. I. gebildeten Ministeriums sollte darin bestehen, die Verfassung von 1831 zwar formal wiederherzustellen, aber doch dafür zu sorgen, daß sie nicht wieder lebendig werde. Nach Außen sollte sie darin bestehen, die Am- mosität gegen Preußen, im östreichischen Interesse aufrecht zu erhalten. Herr v. Dehn glaubte es mit der Wiederherstellung der Verfassung etwas ernstlicher nehmen zu müssen. Er hielt auch die Wiederanknüpfung eines leidlich guten Vernehmens mit Preußen im Interesse des Kurfürsten und des Landes für nothwendig. Diese Ueberzeugung wurde von ihm mit mehr Energie geltend gemacht, als von, seiner Persönlichkeit und seinen Antecedentien erwartet werden konnte, und als man hier einem Minister zu verzeihen Pflegt. Er mußte ent¬ fernt werden. Zugleich sollte durch seine Entfernung die überaus unbequeme Solidarität der Minister gesprengt werden. Dieses ist vollständig gelungen, wie man denn in dergleichen Kunststückchen eine besondere Virtuosität besitzt. Herr v. Stiernberg und Herr Pfeiffer haben für dienlich gehalten, die früher ausdrücklich übernommene Solidarität aufzugeben und im Amt zu bleiben. Die Ministerien der Finanzen und des Aeußeren werden einstweilen von den Herren Schnackenberg und Koch verwaltet. Beide sind als Lückenbüßer zu be¬ trachten, und kann deshalb ihre Persönlichkeit vorerst außer Betracht bleiben. Die Verantwortlichkeit freilich, moralisch und strafrechtlich, ist ganz gleich, ob ein Ministerium aus 24 Stunden oder auf ein Jahr, übernommen wird. Die Herren scheinen aber für genügend zu halten, wen» sie nur persönlich eine Verletzung positiver Vcrfassungsvvrschristen vermeiden. Von derjenigen Verant¬ wortlichkeit, welche durch Unterlassungen hervorgerufen wird, scheinen sie keine Ahnung zu haben. Und doch ist gerade diese Verantwortlichkeit unter den dermaligen Verhältnissen von einer erdrückenden Schwere. Die Dinge sind hier zu einer durchaus bedenklichen Spannung gelangt. Wie unter gewissen Be¬ dingungen die Bewegung eines kleinen Vogels den Sturz einer gewaltigen Lawine veranlassen kann, so kann auch hier ein ganz unbedeutendes Ereignis; une Lawine in Bewegung setzen. Literatur. I^'Lmpirs ävs 1?Sars an point sotuel 6o I» soievos xar N. ^. K. Lobniti-Ier. ?ome svlionZ. 1^ Population. ?«ris et Ltrg,8t>oni'L, Veiivo Koi-ssi--I.ovi'ante ^ IM«, igg2 Der erste Band dieses mit deutschem Gelehrtenfleiß aus den neuesten und besten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/205>, abgerufen am 14.05.2024.