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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Endlich ist Einiges von den Thaten und Leiden des Heros, den die Schrift*)
uns schildert, z. B. dessen Antheil an dem Streit über die Handschrift des
Uranios und dessen am Felsen der Leipziger Hermashandschrift erlittener philo¬
logischer Schiffvruch nicht ganz so dargestellt, wie Sachkenner ohne Rücksichten,
nichtbefreundete Literarhistoriker es erzählen würden"). Weitere Ausstellungen
drängte der Eindruck der wahrhaft wuchtigen Gründlichkeit des Herrn Volbeding
zurück, einer Gründlichkeit, die auch das, was bei minder hervorragenden
Männern für bedeutungslos und nicht der Rede werth gelten würde, sorgsam
aufzeichnet, und die so weit geht, daß man an mehr als einer Stelle in Ver¬
suchung geräth, zu muthmaßen, das Buch sei nicht nur, wie man nach der
Lectüre der ersten Seiten schon annehmen muß, von einem sehr vertrauten und
sehr genau unterrichteten Freunde, sondern vom vertrautesten und am genauesten
unterrichteten Freunde, den der Mensch zu haben pflegt, verfaßt -- mit andern
Worten eine Selbstbiographie.

Nur der Neid kann dieser Versuchung unterliegen, und wir sind nicht
neidisch auf die Verdienste Tischendorfs und deren Belohnung. Wir sagten uns
in Betreff jener Hypothese: Große Dinge loben sich immer, große Männer
niemals selbst. Tischendorf ist ein großer Mann und Mensch, und wenn es
Vorgekommen ist, daß solchen von Freundeshand schon bei Lebzeiten ein Denk¬
mal errichtet wurde, so ist es geradezu unerhört, daß in unsern Tagen ein
solcher sich selbst eine Statue setzte oder auch nur die glättende Hand an deren
Decorationen legte. So überwanden wir glücklich alle uns aufgestiegenen
Bedenken und faßten den Beschluß, Ehre zu geben, dem Ehre zu gebühren
schien: dem Verfasser der Biographie das Lob eines treuen Freundes, der
Gefälligkeit mit Gewissenhaftigkeit zu verbinden versteht, dem Gegenstand seines
Liebesdienstes eine Nische in der Walhalla, oder, da dies nicht von uns ab-
hangt, eine verehrungsvolle Verbeugung und für künftige Fälle die gelegentliche
Bezeichnung: unser Tischendorf.

In dieser Gemüthsverfassung befanden wir uns bis vor Kurzem. Nun
haben aber große Männer bisweilen nicht blos getreue und gefällige Freunde,
sondern auch Feinde, letztere vermuthlich nach göttlicher Zulassung nur zu dem
Ende, daß ihre Größe sich im Kampfe herrlicher offenbare, und mit Betrübniß
müssen wir vermelden, daß auch unser Tischendorf, unser Erasmus Feinde hat,
und daß sich darunter nicht allein recht bittere, sondern leider auch einige recht
respectable befinden, so daß man bei aller Geneigtheit zum Gegentheil nicht
umhin kann, von ihren Urtheilen Notiz zu nehmen,




') Die nach der soeben geäußerten Hypothese gewissermaßen palimpsestischer Natur wäre.
"
) Vgl. den Artikel "Der falsche Uranios und der Grieche Simonides", Grenzboten
1b> Jahrg., i, Semester, Seite 278 ff.
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Endlich ist Einiges von den Thaten und Leiden des Heros, den die Schrift*)
uns schildert, z. B. dessen Antheil an dem Streit über die Handschrift des
Uranios und dessen am Felsen der Leipziger Hermashandschrift erlittener philo¬
logischer Schiffvruch nicht ganz so dargestellt, wie Sachkenner ohne Rücksichten,
nichtbefreundete Literarhistoriker es erzählen würden"). Weitere Ausstellungen
drängte der Eindruck der wahrhaft wuchtigen Gründlichkeit des Herrn Volbeding
zurück, einer Gründlichkeit, die auch das, was bei minder hervorragenden
Männern für bedeutungslos und nicht der Rede werth gelten würde, sorgsam
aufzeichnet, und die so weit geht, daß man an mehr als einer Stelle in Ver¬
suchung geräth, zu muthmaßen, das Buch sei nicht nur, wie man nach der
Lectüre der ersten Seiten schon annehmen muß, von einem sehr vertrauten und
sehr genau unterrichteten Freunde, sondern vom vertrautesten und am genauesten
unterrichteten Freunde, den der Mensch zu haben pflegt, verfaßt — mit andern
Worten eine Selbstbiographie.

Nur der Neid kann dieser Versuchung unterliegen, und wir sind nicht
neidisch auf die Verdienste Tischendorfs und deren Belohnung. Wir sagten uns
in Betreff jener Hypothese: Große Dinge loben sich immer, große Männer
niemals selbst. Tischendorf ist ein großer Mann und Mensch, und wenn es
Vorgekommen ist, daß solchen von Freundeshand schon bei Lebzeiten ein Denk¬
mal errichtet wurde, so ist es geradezu unerhört, daß in unsern Tagen ein
solcher sich selbst eine Statue setzte oder auch nur die glättende Hand an deren
Decorationen legte. So überwanden wir glücklich alle uns aufgestiegenen
Bedenken und faßten den Beschluß, Ehre zu geben, dem Ehre zu gebühren
schien: dem Verfasser der Biographie das Lob eines treuen Freundes, der
Gefälligkeit mit Gewissenhaftigkeit zu verbinden versteht, dem Gegenstand seines
Liebesdienstes eine Nische in der Walhalla, oder, da dies nicht von uns ab-
hangt, eine verehrungsvolle Verbeugung und für künftige Fälle die gelegentliche
Bezeichnung: unser Tischendorf.

In dieser Gemüthsverfassung befanden wir uns bis vor Kurzem. Nun
haben aber große Männer bisweilen nicht blos getreue und gefällige Freunde,
sondern auch Feinde, letztere vermuthlich nach göttlicher Zulassung nur zu dem
Ende, daß ihre Größe sich im Kampfe herrlicher offenbare, und mit Betrübniß
müssen wir vermelden, daß auch unser Tischendorf, unser Erasmus Feinde hat,
und daß sich darunter nicht allein recht bittere, sondern leider auch einige recht
respectable befinden, so daß man bei aller Geneigtheit zum Gegentheil nicht
umhin kann, von ihren Urtheilen Notiz zu nehmen,




') Die nach der soeben geäußerten Hypothese gewissermaßen palimpsestischer Natur wäre.
"
) Vgl. den Artikel „Der falsche Uranios und der Grieche Simonides", Grenzboten
1b> Jahrg., i, Semester, Seite 278 ff.
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[0211] Endlich ist Einiges von den Thaten und Leiden des Heros, den die Schrift*) uns schildert, z. B. dessen Antheil an dem Streit über die Handschrift des Uranios und dessen am Felsen der Leipziger Hermashandschrift erlittener philo¬ logischer Schiffvruch nicht ganz so dargestellt, wie Sachkenner ohne Rücksichten, nichtbefreundete Literarhistoriker es erzählen würden"). Weitere Ausstellungen drängte der Eindruck der wahrhaft wuchtigen Gründlichkeit des Herrn Volbeding zurück, einer Gründlichkeit, die auch das, was bei minder hervorragenden Männern für bedeutungslos und nicht der Rede werth gelten würde, sorgsam aufzeichnet, und die so weit geht, daß man an mehr als einer Stelle in Ver¬ suchung geräth, zu muthmaßen, das Buch sei nicht nur, wie man nach der Lectüre der ersten Seiten schon annehmen muß, von einem sehr vertrauten und sehr genau unterrichteten Freunde, sondern vom vertrautesten und am genauesten unterrichteten Freunde, den der Mensch zu haben pflegt, verfaßt — mit andern Worten eine Selbstbiographie. Nur der Neid kann dieser Versuchung unterliegen, und wir sind nicht neidisch auf die Verdienste Tischendorfs und deren Belohnung. Wir sagten uns in Betreff jener Hypothese: Große Dinge loben sich immer, große Männer niemals selbst. Tischendorf ist ein großer Mann und Mensch, und wenn es Vorgekommen ist, daß solchen von Freundeshand schon bei Lebzeiten ein Denk¬ mal errichtet wurde, so ist es geradezu unerhört, daß in unsern Tagen ein solcher sich selbst eine Statue setzte oder auch nur die glättende Hand an deren Decorationen legte. So überwanden wir glücklich alle uns aufgestiegenen Bedenken und faßten den Beschluß, Ehre zu geben, dem Ehre zu gebühren schien: dem Verfasser der Biographie das Lob eines treuen Freundes, der Gefälligkeit mit Gewissenhaftigkeit zu verbinden versteht, dem Gegenstand seines Liebesdienstes eine Nische in der Walhalla, oder, da dies nicht von uns ab- hangt, eine verehrungsvolle Verbeugung und für künftige Fälle die gelegentliche Bezeichnung: unser Tischendorf. In dieser Gemüthsverfassung befanden wir uns bis vor Kurzem. Nun haben aber große Männer bisweilen nicht blos getreue und gefällige Freunde, sondern auch Feinde, letztere vermuthlich nach göttlicher Zulassung nur zu dem Ende, daß ihre Größe sich im Kampfe herrlicher offenbare, und mit Betrübniß müssen wir vermelden, daß auch unser Tischendorf, unser Erasmus Feinde hat, und daß sich darunter nicht allein recht bittere, sondern leider auch einige recht respectable befinden, so daß man bei aller Geneigtheit zum Gegentheil nicht umhin kann, von ihren Urtheilen Notiz zu nehmen, ') Die nach der soeben geäußerten Hypothese gewissermaßen palimpsestischer Natur wäre. " ) Vgl. den Artikel „Der falsche Uranios und der Grieche Simonides", Grenzboten 1b> Jahrg., i, Semester, Seite 278 ff. 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/211>, abgerufen am 12.05.2024.