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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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welcher mir die gütigsten und väterlichsten Rathschläge ertheilte und Briefe an
Stourtzas hinzufügte. Darauf kehrte ich nach Konstantinopel zurück und begab
mich von hier im November 1841 nach Odessa.

Im Jahre 1846 reiste ich nach Konstantinopel zurück, von wo ich sogleich
nach der Antigonusinsel ging, um Konstantins zu besuchen und in seine
Hände ein großes Packet von Manuscripten zu legen. Er empfing mich mit
der größten Freundlichkeit, und wir unterhielten uns über eine Menge ver-
schiedener Dinge, unter Anderm auch über meine Abschrift, wobei er mich
benachrichtigte, daß er dieselbe vor einiger Zeit nach dem Berg Sinai ge¬
sandt habe.

Im Jahr 1852 sah ich sie dort selbst und bat den Bibliothekar, mir zu
sagen, wie das Kloster sie erworben; aber er schien nichts von der Sache zu
wissen, und ich meinestheils sagte nichts. Indeß untersuchte ich das Manu-
script und fand es sehr verändert, indem es ein älteres Aussehen hatte, ais
es haben sollte. Die Widmung an den Kaiser Nikolaus zu Anfang des Buchs
war weggeschafft worden. Ich begann hierauf meine philologischen Nachfor
schungen; denn es befanden sich in der Bibliothek mehre werthvolle Manu-
scripte, welche ich zu prüfen wünschte. Unter ihnen stieß ich auf die Pastorat-
schriften des Hermas, das heilige Evangelium nach Se. Matthäus und die
bestrittene Epistel des Aristeas an Philvttctes (alle auf ägyptischen Papyrus
des ersten Jahrhunderts geschrieben)') sammt andern der Beachtung nicht
unwürdigen. Alles dies theilte ich Konstantins und später meinem geistlichen
Bater Kallistratus zu Alexandrien mit.

Sie haben hiermit einen kurzen und klaren Bericht über den Codex Simoni -
deios, welchen Professor Tischendorf bei seinem Aufenthalt auf dem Sinai, wie. weiß
ich nicht, zu entführen verstand, und welchen er, nach Se. Petersburg gegangen,
dort unter dem Namen eines Codex Sinaiticus herausgab. Als ich vor
etwa zwei Jahren die ersten Facsimilia Tischendorfs sah, die zu Liverpool durch
Mr. Newton in meine Hand kamen, erkannte ich sofort mein eigen Werk, was
ich ihm auch unverzüglich sagte.

Das Obige ist ein getreues Referat über Ursprung und Geschichte des
berühmten Codex Sinaiticus, welchen Professor Tischendorf der gelehrten Welt
als eine Handschrift des vierten Jahrhunderts ausgeredet hat. Ich habe nun
nur noch ein paar Bemerkungen zu machen. Der Name des Kalligraphen des Klo¬
sters von Se. Pantelimvn war Dionysius, der Name des Mönchs, welcher



D. Red.
^ Hermas - nichts zu sage" v"" Matthäus -- auf ägyptische" Papyrus des erste"
Jahrhunderts geschrieben, er, der erst im zweiten Jahrhundert und in diesem ziemlich spät
entstand! Ganz dasselbe Wunder, wie der alte Uranios, der den Ritter Bunsen aufschrieb.

welcher mir die gütigsten und väterlichsten Rathschläge ertheilte und Briefe an
Stourtzas hinzufügte. Darauf kehrte ich nach Konstantinopel zurück und begab
mich von hier im November 1841 nach Odessa.

Im Jahre 1846 reiste ich nach Konstantinopel zurück, von wo ich sogleich
nach der Antigonusinsel ging, um Konstantins zu besuchen und in seine
Hände ein großes Packet von Manuscripten zu legen. Er empfing mich mit
der größten Freundlichkeit, und wir unterhielten uns über eine Menge ver-
schiedener Dinge, unter Anderm auch über meine Abschrift, wobei er mich
benachrichtigte, daß er dieselbe vor einiger Zeit nach dem Berg Sinai ge¬
sandt habe.

Im Jahr 1852 sah ich sie dort selbst und bat den Bibliothekar, mir zu
sagen, wie das Kloster sie erworben; aber er schien nichts von der Sache zu
wissen, und ich meinestheils sagte nichts. Indeß untersuchte ich das Manu-
script und fand es sehr verändert, indem es ein älteres Aussehen hatte, ais
es haben sollte. Die Widmung an den Kaiser Nikolaus zu Anfang des Buchs
war weggeschafft worden. Ich begann hierauf meine philologischen Nachfor
schungen; denn es befanden sich in der Bibliothek mehre werthvolle Manu-
scripte, welche ich zu prüfen wünschte. Unter ihnen stieß ich auf die Pastorat-
schriften des Hermas, das heilige Evangelium nach Se. Matthäus und die
bestrittene Epistel des Aristeas an Philvttctes (alle auf ägyptischen Papyrus
des ersten Jahrhunderts geschrieben)') sammt andern der Beachtung nicht
unwürdigen. Alles dies theilte ich Konstantins und später meinem geistlichen
Bater Kallistratus zu Alexandrien mit.

Sie haben hiermit einen kurzen und klaren Bericht über den Codex Simoni -
deios, welchen Professor Tischendorf bei seinem Aufenthalt auf dem Sinai, wie. weiß
ich nicht, zu entführen verstand, und welchen er, nach Se. Petersburg gegangen,
dort unter dem Namen eines Codex Sinaiticus herausgab. Als ich vor
etwa zwei Jahren die ersten Facsimilia Tischendorfs sah, die zu Liverpool durch
Mr. Newton in meine Hand kamen, erkannte ich sofort mein eigen Werk, was
ich ihm auch unverzüglich sagte.

Das Obige ist ein getreues Referat über Ursprung und Geschichte des
berühmten Codex Sinaiticus, welchen Professor Tischendorf der gelehrten Welt
als eine Handschrift des vierten Jahrhunderts ausgeredet hat. Ich habe nun
nur noch ein paar Bemerkungen zu machen. Der Name des Kalligraphen des Klo¬
sters von Se. Pantelimvn war Dionysius, der Name des Mönchs, welcher



D. Red.
^ Hermas - nichts zu sage» v»» Matthäus — auf ägyptische» Papyrus des erste»
Jahrhunderts geschrieben, er, der erst im zweiten Jahrhundert und in diesem ziemlich spät
entstand! Ganz dasselbe Wunder, wie der alte Uranios, der den Ritter Bunsen aufschrieb.
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[0216] welcher mir die gütigsten und väterlichsten Rathschläge ertheilte und Briefe an Stourtzas hinzufügte. Darauf kehrte ich nach Konstantinopel zurück und begab mich von hier im November 1841 nach Odessa. Im Jahre 1846 reiste ich nach Konstantinopel zurück, von wo ich sogleich nach der Antigonusinsel ging, um Konstantins zu besuchen und in seine Hände ein großes Packet von Manuscripten zu legen. Er empfing mich mit der größten Freundlichkeit, und wir unterhielten uns über eine Menge ver- schiedener Dinge, unter Anderm auch über meine Abschrift, wobei er mich benachrichtigte, daß er dieselbe vor einiger Zeit nach dem Berg Sinai ge¬ sandt habe. Im Jahr 1852 sah ich sie dort selbst und bat den Bibliothekar, mir zu sagen, wie das Kloster sie erworben; aber er schien nichts von der Sache zu wissen, und ich meinestheils sagte nichts. Indeß untersuchte ich das Manu- script und fand es sehr verändert, indem es ein älteres Aussehen hatte, ais es haben sollte. Die Widmung an den Kaiser Nikolaus zu Anfang des Buchs war weggeschafft worden. Ich begann hierauf meine philologischen Nachfor schungen; denn es befanden sich in der Bibliothek mehre werthvolle Manu- scripte, welche ich zu prüfen wünschte. Unter ihnen stieß ich auf die Pastorat- schriften des Hermas, das heilige Evangelium nach Se. Matthäus und die bestrittene Epistel des Aristeas an Philvttctes (alle auf ägyptischen Papyrus des ersten Jahrhunderts geschrieben)') sammt andern der Beachtung nicht unwürdigen. Alles dies theilte ich Konstantins und später meinem geistlichen Bater Kallistratus zu Alexandrien mit. Sie haben hiermit einen kurzen und klaren Bericht über den Codex Simoni - deios, welchen Professor Tischendorf bei seinem Aufenthalt auf dem Sinai, wie. weiß ich nicht, zu entführen verstand, und welchen er, nach Se. Petersburg gegangen, dort unter dem Namen eines Codex Sinaiticus herausgab. Als ich vor etwa zwei Jahren die ersten Facsimilia Tischendorfs sah, die zu Liverpool durch Mr. Newton in meine Hand kamen, erkannte ich sofort mein eigen Werk, was ich ihm auch unverzüglich sagte. Das Obige ist ein getreues Referat über Ursprung und Geschichte des berühmten Codex Sinaiticus, welchen Professor Tischendorf der gelehrten Welt als eine Handschrift des vierten Jahrhunderts ausgeredet hat. Ich habe nun nur noch ein paar Bemerkungen zu machen. Der Name des Kalligraphen des Klo¬ sters von Se. Pantelimvn war Dionysius, der Name des Mönchs, welcher D. Red. ^ Hermas - nichts zu sage» v»» Matthäus — auf ägyptische» Papyrus des erste» Jahrhunderts geschrieben, er, der erst im zweiten Jahrhundert und in diesem ziemlich spät entstand! Ganz dasselbe Wunder, wie der alte Uranios, der den Ritter Bunsen aufschrieb.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/216>, abgerufen am 13.05.2024.