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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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macht; auf den Märkten der kleinen polnischen Städte ist er letzteres wörtlich.
Fragen Sie nur jene junge Frau. Sie glaubte das Huhn schon mit Hülfe
einer rasch erfundenen Zeichensprache gekauft zu haben, als es ihr die "Jüdin"
aus der Hand riß, es nun auf polnisch verhandelte und der Verblüfften für
einen, freilich nicht viel höheren Preis darbot. Sie soll sich beruhigen, denn
es hat auch sein Angenehmes, wenn ihr eine andere Händlerin die Butter, die
sie nicht erlangen konnte, zu ihrer Ueberraschung noch nach einer Stunde ins
Hans bringt. Es wäre gut, wenn sich dieser Zwischenhandel auf Butter und
Geflügel beschränkte; aber sein eigentlicher Gegenstand ist Getreide, Wolle,
Holz, Grundbesitz. Besser kennt kein Mensch die schlechten Seiten des Polen,
und geschickter beutet sie Niemand aus, als der Jude. -- Er hat Geld zur
Hand, wenn die aufgeregte Sinnlichkeit desselben zu ihrer Befriedigung bedarf;
er ist zum Kauf bereit, wenn der Zorn den Jüngling reizt, den Seinigen zum
Trotz seinen Antheil an einem Nachlaß, sein Erbe, oder auch gar seinen
ganzen Hof zu verkaufen. Und hat er einmal eine noch so leise Verbindung
mit Jemand angeknüpft, dann läßt er ihn gewiß nicht los. In meiner Kind¬
heit hat man mir gesagt, der polnische Jude borgt dem Bauer S Thlr. zu
t00<Vg, läßt sich einen Schein über 10 Thlr. geben und behält nun die erbetenen
6 Thlr. als erste Rate zurück, damit dem Schuldner die Bezahlung leichter
werde. Sehr viel anders ist es wahrhaftig nicht, und oft genügt ein Darlehn
von 20 Thlr. bis 60 Thlr., ja ein noch kleineres, oft ein schlau gestellter
Lieferungsvertrag, um ein kleines Gütchen in kurzer Frist in den Besitz des
Gläubigers zu bringen. Sich unter dem Vorwande, der erste Schein sei ver¬
loren, üver dieselbe Summe zwei, drei Quittungen geben lassen, bezahlte
Hypotheken einklagen -- das sind keine unerhörte Verbrechen. Verbrechen? Nicht
doch! "Was wollen Sie?" sagt die Frau des Ueberführten zum Untersuchungs¬
richter. "Mein Mann ist kein Verbrecher, blos ein Vergeher." Die besseren
unserer Rechtsanwälte, und dies ist die große Mehrzahl, und unsere Gerichte
verfolgen diese Manoeuvres unerbittlich, doch mit wenig Erfolg. Es fallen ihnen
noch immer zahlreiche Opfer, und das Ergebniß des ganzen Verkehrs ist ein
großes Mißtrauen des polnischen Landmanns wider alles ihm Fremde, ist
Verarmung Vieler, welchen hätte geholfen werden können, wenn sie sich ehr¬
lichen Männern offenbart hätten.

Ist es nöthig, daß ich erwähne, wie die hiesigen Juden sich durch alle
die Tugenden auszeichnen, die ihnen, wo sie in festgeschlossenen Korporationen
leben, überall eigen sind! UnVerdrossenheit, Sparsamkeit, Mäßigkeit u. s- f.
und daß sie überall da, wo sie sich aus dem festen Corporationsverbandc lösen,
für die Civilisation empfänglich, in ihrem Leben und Sitten uns gleich werden,
endlich, daß wir auch unter uns viele rechtliche, durchaus achtungswerthe Juden
haben? Uebrigens rächen sich die Polen auch und suchen ihrerseits, wo sie nur
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macht; auf den Märkten der kleinen polnischen Städte ist er letzteres wörtlich.
Fragen Sie nur jene junge Frau. Sie glaubte das Huhn schon mit Hülfe
einer rasch erfundenen Zeichensprache gekauft zu haben, als es ihr die „Jüdin"
aus der Hand riß, es nun auf polnisch verhandelte und der Verblüfften für
einen, freilich nicht viel höheren Preis darbot. Sie soll sich beruhigen, denn
es hat auch sein Angenehmes, wenn ihr eine andere Händlerin die Butter, die
sie nicht erlangen konnte, zu ihrer Ueberraschung noch nach einer Stunde ins
Hans bringt. Es wäre gut, wenn sich dieser Zwischenhandel auf Butter und
Geflügel beschränkte; aber sein eigentlicher Gegenstand ist Getreide, Wolle,
Holz, Grundbesitz. Besser kennt kein Mensch die schlechten Seiten des Polen,
und geschickter beutet sie Niemand aus, als der Jude. — Er hat Geld zur
Hand, wenn die aufgeregte Sinnlichkeit desselben zu ihrer Befriedigung bedarf;
er ist zum Kauf bereit, wenn der Zorn den Jüngling reizt, den Seinigen zum
Trotz seinen Antheil an einem Nachlaß, sein Erbe, oder auch gar seinen
ganzen Hof zu verkaufen. Und hat er einmal eine noch so leise Verbindung
mit Jemand angeknüpft, dann läßt er ihn gewiß nicht los. In meiner Kind¬
heit hat man mir gesagt, der polnische Jude borgt dem Bauer S Thlr. zu
t00<Vg, läßt sich einen Schein über 10 Thlr. geben und behält nun die erbetenen
6 Thlr. als erste Rate zurück, damit dem Schuldner die Bezahlung leichter
werde. Sehr viel anders ist es wahrhaftig nicht, und oft genügt ein Darlehn
von 20 Thlr. bis 60 Thlr., ja ein noch kleineres, oft ein schlau gestellter
Lieferungsvertrag, um ein kleines Gütchen in kurzer Frist in den Besitz des
Gläubigers zu bringen. Sich unter dem Vorwande, der erste Schein sei ver¬
loren, üver dieselbe Summe zwei, drei Quittungen geben lassen, bezahlte
Hypotheken einklagen — das sind keine unerhörte Verbrechen. Verbrechen? Nicht
doch! „Was wollen Sie?" sagt die Frau des Ueberführten zum Untersuchungs¬
richter. „Mein Mann ist kein Verbrecher, blos ein Vergeher." Die besseren
unserer Rechtsanwälte, und dies ist die große Mehrzahl, und unsere Gerichte
verfolgen diese Manoeuvres unerbittlich, doch mit wenig Erfolg. Es fallen ihnen
noch immer zahlreiche Opfer, und das Ergebniß des ganzen Verkehrs ist ein
großes Mißtrauen des polnischen Landmanns wider alles ihm Fremde, ist
Verarmung Vieler, welchen hätte geholfen werden können, wenn sie sich ehr¬
lichen Männern offenbart hätten.

Ist es nöthig, daß ich erwähne, wie die hiesigen Juden sich durch alle
die Tugenden auszeichnen, die ihnen, wo sie in festgeschlossenen Korporationen
leben, überall eigen sind! UnVerdrossenheit, Sparsamkeit, Mäßigkeit u. s- f.
und daß sie überall da, wo sie sich aus dem festen Corporationsverbandc lösen,
für die Civilisation empfänglich, in ihrem Leben und Sitten uns gleich werden,
endlich, daß wir auch unter uns viele rechtliche, durchaus achtungswerthe Juden
haben? Uebrigens rächen sich die Polen auch und suchen ihrerseits, wo sie nur
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/243>, abgerufen am 14.05.2024.