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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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blüht nie üppiger als in solchen Epochen. Daher überall ein nur nahezu
menschliches Aussehen der Figuren, die Verzerrtheit oder Mattigkeit des Aus¬
drucks, ein kraftloses Linienspiel, die Gespreiztheit der Gruppirung, die Süßig¬
keit eines pvrcellcmcnen Colorits oder die verschwommene Lästigkeit eines un¬
fertigen, über das Ganze gestrichenen "Tons". Daher endlich die Zerfahrenheit
der Richtungen, der Mangel an Entwickelung, ein unaufhörliches Bor und
Zurück, daS Charakterlose einer mit allen Darstellungsweisen liebäugelnden
Kunst, die schwächliche Geilheit einer TreibhauSproductiv". Und an allen diesen
Uebeln leidet namentlich die Historienmalerei.

Wir scheinen von Kaulbach weit abgekommen, doch haben wir ihn mehr
in der Nähe, als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Was die Kunst unsrer
Zeit vermag, das wird sich an den Wänden des Treppenhauses zeigen müssen.
Ein Gestaltenkreis, der den classischen, wie den romantischen Menschen umfaßt,
das schöne Heidenthum, die image Christenheit-, eine ganze Welt in Formen
und Farben. Aber gleich anfangs kommt uns ein gegründeter Zweifel auch
an dem Korne" Kaulbachs. Der Kaulbachsche Genius steigt nicht gern in die
Tiefe und Wärme der farbigen Erscheinung herab, in der Herausbildung seiner
Entwürfe zum vollen Schein des Lebens erlahmt sein Flügelschlag. Daß ein
Michel Angelo in seiner sixtinischen Kapelle nicht eine fremde Hand duldete, daß
ein Raphael in den Stanzen des Batitan nur in den Bilder", die er selber
bis zum letzten Strich vollendet hat, wirklich Raphael, in den andern dagegen
unter den plumpen Fingern selbst der geschickteste" Schüler ""kenntlich geworden
ist: was kümmert das eine" Kaulbach! Seine Cartons sind unsterblich; sie an
den Mauern in einem beliebigen bunte" Gewände für die Nachwelt zu fixiren.
überläßt er den Hände" von Schülern. Es ist doch endlich an der Zeit,
das von der Aesthetik gehätschelte Bvrurtheil abzulegen, daß ideale Kom¬
positionen der Ausführung, des lebendigen Farbenscheiues im Grunde nicht
bedürften, daß sie in der Zeichnung, im Schwung der Linien den gemäßen
Ausdruck fänden. E>" Anderes ist, das harmonische Spiel, den Dust, die
Gluth des Colorits zur Hauptsache mache", el" Anderes, de" Gestatte" der
Kunst die einfache, aber lebendige Bollcnduug der Farbe gebe". Die einzige"
Maler, die es wirklich vermocht haben, ideale, große Borsteljunge", i" denen
ebensoviel geistige Tiefe als bildende Phantasie ist, so naturwahr auszudrücken,
daß mit der Erscheinung zugleich der Gedanke in die Seele des Beschauers
schlägt, daß sie vollkommen so wirkt, wie der Künstler sie empfunden hat --
Leonardo da Buici und namentlich Michel Angelo haben ihre Werke entweder
selbst vollendet oder unvollendet gelassen. Gerade deshalb wirken die Gemälde
der Sistinadecke, i" de"e" Michel Angelo dem biblische" Stoff el"c große
Lebensanschauung zu Grunde gelegt hat, so wunderbar, weil die Motive i"
der ursprüngliche" Tiefe ihrer ewigen Bedeutung gedacht, zugleich ganz in die


blüht nie üppiger als in solchen Epochen. Daher überall ein nur nahezu
menschliches Aussehen der Figuren, die Verzerrtheit oder Mattigkeit des Aus¬
drucks, ein kraftloses Linienspiel, die Gespreiztheit der Gruppirung, die Süßig¬
keit eines pvrcellcmcnen Colorits oder die verschwommene Lästigkeit eines un¬
fertigen, über das Ganze gestrichenen „Tons". Daher endlich die Zerfahrenheit
der Richtungen, der Mangel an Entwickelung, ein unaufhörliches Bor und
Zurück, daS Charakterlose einer mit allen Darstellungsweisen liebäugelnden
Kunst, die schwächliche Geilheit einer TreibhauSproductiv». Und an allen diesen
Uebeln leidet namentlich die Historienmalerei.

Wir scheinen von Kaulbach weit abgekommen, doch haben wir ihn mehr
in der Nähe, als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Was die Kunst unsrer
Zeit vermag, das wird sich an den Wänden des Treppenhauses zeigen müssen.
Ein Gestaltenkreis, der den classischen, wie den romantischen Menschen umfaßt,
das schöne Heidenthum, die image Christenheit-, eine ganze Welt in Formen
und Farben. Aber gleich anfangs kommt uns ein gegründeter Zweifel auch
an dem Korne» Kaulbachs. Der Kaulbachsche Genius steigt nicht gern in die
Tiefe und Wärme der farbigen Erscheinung herab, in der Herausbildung seiner
Entwürfe zum vollen Schein des Lebens erlahmt sein Flügelschlag. Daß ein
Michel Angelo in seiner sixtinischen Kapelle nicht eine fremde Hand duldete, daß
ein Raphael in den Stanzen des Batitan nur in den Bilder», die er selber
bis zum letzten Strich vollendet hat, wirklich Raphael, in den andern dagegen
unter den plumpen Fingern selbst der geschickteste» Schüler »»kenntlich geworden
ist: was kümmert das eine» Kaulbach! Seine Cartons sind unsterblich; sie an
den Mauern in einem beliebigen bunte» Gewände für die Nachwelt zu fixiren.
überläßt er den Hände» von Schülern. Es ist doch endlich an der Zeit,
das von der Aesthetik gehätschelte Bvrurtheil abzulegen, daß ideale Kom¬
positionen der Ausführung, des lebendigen Farbenscheiues im Grunde nicht
bedürften, daß sie in der Zeichnung, im Schwung der Linien den gemäßen
Ausdruck fänden. E>» Anderes ist, das harmonische Spiel, den Dust, die
Gluth des Colorits zur Hauptsache mache», el» Anderes, de» Gestatte» der
Kunst die einfache, aber lebendige Bollcnduug der Farbe gebe». Die einzige»
Maler, die es wirklich vermocht haben, ideale, große Borsteljunge», i» denen
ebensoviel geistige Tiefe als bildende Phantasie ist, so naturwahr auszudrücken,
daß mit der Erscheinung zugleich der Gedanke in die Seele des Beschauers
schlägt, daß sie vollkommen so wirkt, wie der Künstler sie empfunden hat —
Leonardo da Buici und namentlich Michel Angelo haben ihre Werke entweder
selbst vollendet oder unvollendet gelassen. Gerade deshalb wirken die Gemälde
der Sistinadecke, i» de»e» Michel Angelo dem biblische» Stoff el»c große
Lebensanschauung zu Grunde gelegt hat, so wunderbar, weil die Motive i»
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[0255] blüht nie üppiger als in solchen Epochen. Daher überall ein nur nahezu menschliches Aussehen der Figuren, die Verzerrtheit oder Mattigkeit des Aus¬ drucks, ein kraftloses Linienspiel, die Gespreiztheit der Gruppirung, die Süßig¬ keit eines pvrcellcmcnen Colorits oder die verschwommene Lästigkeit eines un¬ fertigen, über das Ganze gestrichenen „Tons". Daher endlich die Zerfahrenheit der Richtungen, der Mangel an Entwickelung, ein unaufhörliches Bor und Zurück, daS Charakterlose einer mit allen Darstellungsweisen liebäugelnden Kunst, die schwächliche Geilheit einer TreibhauSproductiv». Und an allen diesen Uebeln leidet namentlich die Historienmalerei. Wir scheinen von Kaulbach weit abgekommen, doch haben wir ihn mehr in der Nähe, als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Was die Kunst unsrer Zeit vermag, das wird sich an den Wänden des Treppenhauses zeigen müssen. Ein Gestaltenkreis, der den classischen, wie den romantischen Menschen umfaßt, das schöne Heidenthum, die image Christenheit-, eine ganze Welt in Formen und Farben. Aber gleich anfangs kommt uns ein gegründeter Zweifel auch an dem Korne» Kaulbachs. Der Kaulbachsche Genius steigt nicht gern in die Tiefe und Wärme der farbigen Erscheinung herab, in der Herausbildung seiner Entwürfe zum vollen Schein des Lebens erlahmt sein Flügelschlag. Daß ein Michel Angelo in seiner sixtinischen Kapelle nicht eine fremde Hand duldete, daß ein Raphael in den Stanzen des Batitan nur in den Bilder», die er selber bis zum letzten Strich vollendet hat, wirklich Raphael, in den andern dagegen unter den plumpen Fingern selbst der geschickteste» Schüler »»kenntlich geworden ist: was kümmert das eine» Kaulbach! Seine Cartons sind unsterblich; sie an den Mauern in einem beliebigen bunte» Gewände für die Nachwelt zu fixiren. überläßt er den Hände» von Schülern. Es ist doch endlich an der Zeit, das von der Aesthetik gehätschelte Bvrurtheil abzulegen, daß ideale Kom¬ positionen der Ausführung, des lebendigen Farbenscheiues im Grunde nicht bedürften, daß sie in der Zeichnung, im Schwung der Linien den gemäßen Ausdruck fänden. E>» Anderes ist, das harmonische Spiel, den Dust, die Gluth des Colorits zur Hauptsache mache», el» Anderes, de» Gestatte» der Kunst die einfache, aber lebendige Bollcnduug der Farbe gebe». Die einzige» Maler, die es wirklich vermocht haben, ideale, große Borsteljunge», i» denen ebensoviel geistige Tiefe als bildende Phantasie ist, so naturwahr auszudrücken, daß mit der Erscheinung zugleich der Gedanke in die Seele des Beschauers schlägt, daß sie vollkommen so wirkt, wie der Künstler sie empfunden hat — Leonardo da Buici und namentlich Michel Angelo haben ihre Werke entweder selbst vollendet oder unvollendet gelassen. Gerade deshalb wirken die Gemälde der Sistinadecke, i» de»e» Michel Angelo dem biblische» Stoff el»c große Lebensanschauung zu Grunde gelegt hat, so wunderbar, weil die Motive i» der ursprüngliche» Tiefe ihrer ewigen Bedeutung gedacht, zugleich ganz in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/255>, abgerufen am 28.05.2024.