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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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warme Fülle des Daseins hinausgeführt sind, den Zug mächtiger Natur baben.
Dazu gehört freilich die eingeborene geniale Anschauung, die Vollendung der
Form, die Meisterschaft der Behandlung. Jene Entdeckung der modernen Aesthe¬
tik erklärt sich im Künstler ganz einfach nicht sowohl durch ein Verzichten aus
die Sinnlichkeit des Kolorits, als durch ein Nicht-Können. Ist aber zu fürchten,
daß das zarte Kind einer nur von "Ideen" erfüllten Phantasie unter der Wucht
der farbigen Erscheinung ersticke -- nun, so wäre besser, die Puppe wäre
überhaupt nicht geboren.

Indessen wir wollen die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts nicht mit
dem Maßstab des Cinquecento messen; der Vergleich möchte ihr das schwache
Lebenslicht vollends ausblasen. Nehmen wir unsere Meister, wie sie sind,
halten wir uns an die Seiten, die sie selber als ihre besten rühmen; bei
Kaulbach also an die Entwürfe, die Cartons und an das, was ihre Eigen¬
thümlichkeit ausmacht: die Erfindung, Auffassung und Zeichnung. Hier haben
wir es ohnedies nur mit einem Carton zu thun, dem neuesten Werk des Kunst'
ters, dem "Zeitalter der Reformation"; das Gemälde, als Abschluß jenes
Cyklus, soll erst noch ausgeführt werden. Und da durch die Ausführung ein¬
gestandenermaßen der gezeichnete Entwurf nicht gewinnen, höchstens verlieren
kann, so darf die Kritik um so ungcscheuter nach diesem urtheilen. Nur noch
einige vorläufige Worte über die Eigenschaften, welche Kaulbachs Stärke in
der Zeichnung ausmachen sollen. Alle die Merkmale herzunenne", welche den
modernen Apelles und Polygnot in einer Person bezeichnen, ist überflüssig:
sie sind uns sattsam aufgezählt worden. Auch läßt sich schon in Kaulvacbs
erstem namhaften Bilde, der Hunnenschlacht, das sein bestes war und geblieben
ist, die wahre Natur seines Talentes nachweisen: das wirklich Künstlerische i"
seiner lebhaften und erfinderischen Phantasie, welche leicht und wie im Fluge eine
Menge Ideen in einen gewissen Fluß zu bringen weiß, das Anmuthige mit
dem Bedeutenden zu verbinden und gleich sehr durch den Reiz des Linienspiels,
wie die überraschende Gewalt des Ausdrucks zu wirken, sucht. Allein ebenso-
sehr das Uebermaß einer Phantasie, die nicht fertig werden kann, die nicht
sowohl aus productiven Drang überquillt, als mit Absicht auch den entlegensten
Inhalt des Stoffes herbeizieht, Gestalten auf Gestalten, Beziehungen auf Be¬
ziehungen häuft und plötzlich mit dem Gegenstände, mit dem es ihr so ernst
schien, nur spielt, weil dem Künstler für die eigentliche Sache, das Herz fehlt;
und zugleich eine merkwürdige Stumpfheit für das Wesentliche in der Kunst,
für das einfache Leben der aus der künstlerischen Anschauung wiedergeborenen
Statur, die Vollendung der Form, die anspruchslose Größe oder Anmuth der
Erscheinung. Daher die Ueberfülle der Komposition, der es am einigenden Mittel¬
punkt fehlt, die Uebertriebenheit des Ausdrucks und der Bewegung neben ge¬
suchter Grazie, die schwammige Behandlung der Körper und doch das steinerne,


warme Fülle des Daseins hinausgeführt sind, den Zug mächtiger Natur baben.
Dazu gehört freilich die eingeborene geniale Anschauung, die Vollendung der
Form, die Meisterschaft der Behandlung. Jene Entdeckung der modernen Aesthe¬
tik erklärt sich im Künstler ganz einfach nicht sowohl durch ein Verzichten aus
die Sinnlichkeit des Kolorits, als durch ein Nicht-Können. Ist aber zu fürchten,
daß das zarte Kind einer nur von „Ideen" erfüllten Phantasie unter der Wucht
der farbigen Erscheinung ersticke — nun, so wäre besser, die Puppe wäre
überhaupt nicht geboren.

Indessen wir wollen die Kunst des neunzehnten Jahrhunderts nicht mit
dem Maßstab des Cinquecento messen; der Vergleich möchte ihr das schwache
Lebenslicht vollends ausblasen. Nehmen wir unsere Meister, wie sie sind,
halten wir uns an die Seiten, die sie selber als ihre besten rühmen; bei
Kaulbach also an die Entwürfe, die Cartons und an das, was ihre Eigen¬
thümlichkeit ausmacht: die Erfindung, Auffassung und Zeichnung. Hier haben
wir es ohnedies nur mit einem Carton zu thun, dem neuesten Werk des Kunst'
ters, dem „Zeitalter der Reformation"; das Gemälde, als Abschluß jenes
Cyklus, soll erst noch ausgeführt werden. Und da durch die Ausführung ein¬
gestandenermaßen der gezeichnete Entwurf nicht gewinnen, höchstens verlieren
kann, so darf die Kritik um so ungcscheuter nach diesem urtheilen. Nur noch
einige vorläufige Worte über die Eigenschaften, welche Kaulbachs Stärke in
der Zeichnung ausmachen sollen. Alle die Merkmale herzunenne», welche den
modernen Apelles und Polygnot in einer Person bezeichnen, ist überflüssig:
sie sind uns sattsam aufgezählt worden. Auch läßt sich schon in Kaulvacbs
erstem namhaften Bilde, der Hunnenschlacht, das sein bestes war und geblieben
ist, die wahre Natur seines Talentes nachweisen: das wirklich Künstlerische i»
seiner lebhaften und erfinderischen Phantasie, welche leicht und wie im Fluge eine
Menge Ideen in einen gewissen Fluß zu bringen weiß, das Anmuthige mit
dem Bedeutenden zu verbinden und gleich sehr durch den Reiz des Linienspiels,
wie die überraschende Gewalt des Ausdrucks zu wirken, sucht. Allein ebenso-
sehr das Uebermaß einer Phantasie, die nicht fertig werden kann, die nicht
sowohl aus productiven Drang überquillt, als mit Absicht auch den entlegensten
Inhalt des Stoffes herbeizieht, Gestalten auf Gestalten, Beziehungen auf Be¬
ziehungen häuft und plötzlich mit dem Gegenstände, mit dem es ihr so ernst
schien, nur spielt, weil dem Künstler für die eigentliche Sache, das Herz fehlt;
und zugleich eine merkwürdige Stumpfheit für das Wesentliche in der Kunst,
für das einfache Leben der aus der künstlerischen Anschauung wiedergeborenen
Statur, die Vollendung der Form, die anspruchslose Größe oder Anmuth der
Erscheinung. Daher die Ueberfülle der Komposition, der es am einigenden Mittel¬
punkt fehlt, die Uebertriebenheit des Ausdrucks und der Bewegung neben ge¬
suchter Grazie, die schwammige Behandlung der Körper und doch das steinerne,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/256>, abgerufen am 28.05.2024.