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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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nicht vorbei konnte? Nun, wir werden das nicht von ihm erwarten. Ihn auch
nur mit Raphael vergleichen, also mit einem Maßstabe messen zu wollen, für
den er von vornherein zu kurz befunden würde, wäre ungerecht. Sehen wir
zu, was er nach seinem Vorbilde erreicht hat, und wenn es ihm auch nur
halbwegs gelungen ist. seinem Stoss eine künstlerische Seite, ein monumentales
Ganze von lebendigen Gestalten abzugewinnen, wird >sich die deutsche Kunst
zu dem neuen Product nur Glück wünschen dürfen.

Zunächst läßt sich allerlei gegen die Auffassung sagen*), und wenn wir
auch sonst nicht viel Gewicht darauf legen, ob der Künstler den geschichtlichen
Stoff richtig verstanden hat, so darf man doch bei Kaulbach, der ja aus eine
geistvolle und erschöpfende Behandlung seiner Vorwürfe sich nicht wenig zu
Gute thut, wenigstens beiläufig darnach fragen. Der Künstler hat die Bewe¬
gung des sechzehnten Jahrhunderts lediglich in ihrer positiven Einwirkung auf
Cultur und Geschichte betrachtet und ihre Vertreter friedlich in .einem gothischen
Dome versammelt: nebenher bemerkt ein seltsamer Ausenthalt für die Männer
der Reformation, denen es vor Allem auf Befreiung von der Kirche ankam,
ein sonderbares Stelldichein für Naturforscher und Philosophen. Wir wollen
dabei nicht verweilen, daß eine Darstellung jenes Zeitalters doch nicht so ganz
von dem Momente der Opposition und des Kampfes absehen sollte, da doch
der Bruch mit der abgängigen Weltordnung im Wesen jedes neuen Aufschwunges
liegt. Dagegen müssen wir uns gegen die im Grunde pfäffische Auffassung
verwahren, mit der Kaulbach die Menschen einer von Gewaltsamkeit und Fehde
erfüllten Zeit, eherne,.leidenschaftliche Naturen, denen es vor Allem um Selb¬
ständigkeit auf eigene Faust zu thun war, knieend und das Abendmahl empfan¬
gend um die Reformatoren versammelt. Selbst der treuherzige und religiöse
Churfürst Johann, der sittlich strenge Johann Friedrich hatten in ihrem ent¬
schlossenen und thatkräftigen Wesen etwas Derbes, das unter dieser frommen
Hülle ganz verloren geht. Wie aber paßt erst ein Moritz von Sachsen hierher,
der ganz in seine politischen Ränke und in das Leben des Tages aufging! Nichts
Besseres weiß uns Kaulbach von den protestantischen Fürsten und den wohl-
gemuthen Städtern, die sich an die Spitze der Bewegung, einer Weltmacht
entgegenstellten, zu berichten, als daß sie das Abendmahl in beiderlei Gestalt
nahmen? Freilich, die Herren sind auch darnach: so weit sich in der nebel¬
haften Ferne die Köpfe erkennen lassen, sehen sie ganz so nichtssagend und
beschränkt aus, wie man nur heutigen Tages bei derlei Gelegenheiten aus¬
sehen kann. Und wie dumpf, wie schwül, wie weihrauchartig muthet uns der
geschlossene Hintergrund an, in den das Licht nur wie verstohlen fällt, statt
sich auf eine solche Gesellschaft in vollen Strömen zu ergießen! Wie ganz



") Da die Photographie des Cartons überall verbreitet ist, ist die Beschreibung wohl
überflüssig.

nicht vorbei konnte? Nun, wir werden das nicht von ihm erwarten. Ihn auch
nur mit Raphael vergleichen, also mit einem Maßstabe messen zu wollen, für
den er von vornherein zu kurz befunden würde, wäre ungerecht. Sehen wir
zu, was er nach seinem Vorbilde erreicht hat, und wenn es ihm auch nur
halbwegs gelungen ist. seinem Stoss eine künstlerische Seite, ein monumentales
Ganze von lebendigen Gestalten abzugewinnen, wird >sich die deutsche Kunst
zu dem neuen Product nur Glück wünschen dürfen.

Zunächst läßt sich allerlei gegen die Auffassung sagen*), und wenn wir
auch sonst nicht viel Gewicht darauf legen, ob der Künstler den geschichtlichen
Stoff richtig verstanden hat, so darf man doch bei Kaulbach, der ja aus eine
geistvolle und erschöpfende Behandlung seiner Vorwürfe sich nicht wenig zu
Gute thut, wenigstens beiläufig darnach fragen. Der Künstler hat die Bewe¬
gung des sechzehnten Jahrhunderts lediglich in ihrer positiven Einwirkung auf
Cultur und Geschichte betrachtet und ihre Vertreter friedlich in .einem gothischen
Dome versammelt: nebenher bemerkt ein seltsamer Ausenthalt für die Männer
der Reformation, denen es vor Allem auf Befreiung von der Kirche ankam,
ein sonderbares Stelldichein für Naturforscher und Philosophen. Wir wollen
dabei nicht verweilen, daß eine Darstellung jenes Zeitalters doch nicht so ganz
von dem Momente der Opposition und des Kampfes absehen sollte, da doch
der Bruch mit der abgängigen Weltordnung im Wesen jedes neuen Aufschwunges
liegt. Dagegen müssen wir uns gegen die im Grunde pfäffische Auffassung
verwahren, mit der Kaulbach die Menschen einer von Gewaltsamkeit und Fehde
erfüllten Zeit, eherne,.leidenschaftliche Naturen, denen es vor Allem um Selb¬
ständigkeit auf eigene Faust zu thun war, knieend und das Abendmahl empfan¬
gend um die Reformatoren versammelt. Selbst der treuherzige und religiöse
Churfürst Johann, der sittlich strenge Johann Friedrich hatten in ihrem ent¬
schlossenen und thatkräftigen Wesen etwas Derbes, das unter dieser frommen
Hülle ganz verloren geht. Wie aber paßt erst ein Moritz von Sachsen hierher,
der ganz in seine politischen Ränke und in das Leben des Tages aufging! Nichts
Besseres weiß uns Kaulbach von den protestantischen Fürsten und den wohl-
gemuthen Städtern, die sich an die Spitze der Bewegung, einer Weltmacht
entgegenstellten, zu berichten, als daß sie das Abendmahl in beiderlei Gestalt
nahmen? Freilich, die Herren sind auch darnach: so weit sich in der nebel¬
haften Ferne die Köpfe erkennen lassen, sehen sie ganz so nichtssagend und
beschränkt aus, wie man nur heutigen Tages bei derlei Gelegenheiten aus¬
sehen kann. Und wie dumpf, wie schwül, wie weihrauchartig muthet uns der
geschlossene Hintergrund an, in den das Licht nur wie verstohlen fällt, statt
sich auf eine solche Gesellschaft in vollen Strömen zu ergießen! Wie ganz



") Da die Photographie des Cartons überall verbreitet ist, ist die Beschreibung wohl
überflüssig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/261>, abgerufen am 08.06.2024.