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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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anders, wie weit geht Einem das Herz auf, wenn man in die große, ins
Freie geöffnete Halle der Schule von Athen sieht! -- Uebrigens hätte sich von
den übrigen Anwesenden wohl erwarten lassen, daß sie mit etwas mehr Pietät
und Aufmerksamkeit der feierlichen Handlung beiwohnten. Kein Mensch achtet auf
die heilige Scene, nicht einmal die nächststehenden Elisabeth und Gustav Adolph:
Melanchthon ausgenommen, der vom untern Theil der Kirche, wo er gerade
Geschäfte halber sich aufhält, doch auf Luther hinzudeuten für gut findet. Alle
Uebrigen treiben ihr Wesen in beneidenswerther Unbekümmertheit um das, was
an der geweihten Stelle vorgeht. Auch der am Altar stehende Luther hat bis
jetzt die Ruhe nicht herstellen können: umsonst läßt ihn der Maler den Text
seiner Predigt in die Höhe halten -- er predigt tauben Ohren. Der Künstler
mag sich in der Darstellung eines idealen Motivs in unwesentlichen Zügen
immerhin über die Wirklichkeit hinwegsetzen; aber allen Gesetzendes natürlichen
Lebens und eines anständigen Benehmens darf er nicht ins Gesicht schlagen.
Was wird nicht Alles in der Kirche getrieben! Im Chor gesungen, disputirt,
das Abendmahl genommen, in einem Seitenschiffe gemalt und gedruckt, im
andern Astronomie getrieben, im Langhause Frieden abgeschlossen, Verse an
den Fingern abgezählt, in die steinerne Leier einer zerbrochenen Statue geklim¬
pert, um einen Globus mit allen möglichen Geberden sich gedrängt, aus einem
Sarkophag Schriften ausgepackt u. s. w. u. s. w. Dabei liegen zwar
nicht malerisch, doch bunt und wirr, allerlei Geräthe, ausgestopfte Vögel,
Tabak und Bildwerke durcheinander, wie das Gerümpel einer eben be¬
ginnenden Auction. Hat man in Italien Kirchen zu Lazarethen gemacht, so
ist hier der Dom zum Bazar geworden, in welchem alle Gewerbe ge¬
trieben werden, in denen der menschliche Geist seit drei Jahrhunderten ge¬
schäftig ist.

Hier zeigt sich schon in der Auffassung das Bedenkliche -- von der Com-
Position ist noch nicht die Rede -- wenn der Künstler die ganze Mannigfaltig¬
keit seines Stoffs in einen Rahmen bringen will. Das Verschiedenartigste
wird wohl oder übel zusammmengeschmiedet. Da nun aber die innern Ver¬
hältnisse und Gegensätze, die sich zwischen den verschiedenen Läufen einer
Weltbewegung bilden, sich durch die Gruppirung nicht ausdrücken lassen, so
ist mit dem ungeheuren Aufwande von Figuren doch wenig oder gar Verkehrtes
gesagt. Daß z. B. der Humanismus zuerst zwar der Reformation in die
Hände arbeitete, dann aber (vorab in Erasmus) zu ihr in Gegensatz trat, weil
er durch Huldigungen gegen weltliche und geistliche Fürsten sich Boden zu ver¬
schaffen suchte, für seine Bestrebungen durch den entbrannten Kampf fürchtete
und gern mit Hülfe des Papstes und der Bischöfe die Kirche reformirt hätte,
während die Reformation an das Bedürfniß Aller sich wandte, und daher vor¬
nehmlich auf das Volk sich stützte; daß sie selber gar bald in zwei Parteien


anders, wie weit geht Einem das Herz auf, wenn man in die große, ins
Freie geöffnete Halle der Schule von Athen sieht! — Uebrigens hätte sich von
den übrigen Anwesenden wohl erwarten lassen, daß sie mit etwas mehr Pietät
und Aufmerksamkeit der feierlichen Handlung beiwohnten. Kein Mensch achtet auf
die heilige Scene, nicht einmal die nächststehenden Elisabeth und Gustav Adolph:
Melanchthon ausgenommen, der vom untern Theil der Kirche, wo er gerade
Geschäfte halber sich aufhält, doch auf Luther hinzudeuten für gut findet. Alle
Uebrigen treiben ihr Wesen in beneidenswerther Unbekümmertheit um das, was
an der geweihten Stelle vorgeht. Auch der am Altar stehende Luther hat bis
jetzt die Ruhe nicht herstellen können: umsonst läßt ihn der Maler den Text
seiner Predigt in die Höhe halten — er predigt tauben Ohren. Der Künstler
mag sich in der Darstellung eines idealen Motivs in unwesentlichen Zügen
immerhin über die Wirklichkeit hinwegsetzen; aber allen Gesetzendes natürlichen
Lebens und eines anständigen Benehmens darf er nicht ins Gesicht schlagen.
Was wird nicht Alles in der Kirche getrieben! Im Chor gesungen, disputirt,
das Abendmahl genommen, in einem Seitenschiffe gemalt und gedruckt, im
andern Astronomie getrieben, im Langhause Frieden abgeschlossen, Verse an
den Fingern abgezählt, in die steinerne Leier einer zerbrochenen Statue geklim¬
pert, um einen Globus mit allen möglichen Geberden sich gedrängt, aus einem
Sarkophag Schriften ausgepackt u. s. w. u. s. w. Dabei liegen zwar
nicht malerisch, doch bunt und wirr, allerlei Geräthe, ausgestopfte Vögel,
Tabak und Bildwerke durcheinander, wie das Gerümpel einer eben be¬
ginnenden Auction. Hat man in Italien Kirchen zu Lazarethen gemacht, so
ist hier der Dom zum Bazar geworden, in welchem alle Gewerbe ge¬
trieben werden, in denen der menschliche Geist seit drei Jahrhunderten ge¬
schäftig ist.

Hier zeigt sich schon in der Auffassung das Bedenkliche — von der Com-
Position ist noch nicht die Rede — wenn der Künstler die ganze Mannigfaltig¬
keit seines Stoffs in einen Rahmen bringen will. Das Verschiedenartigste
wird wohl oder übel zusammmengeschmiedet. Da nun aber die innern Ver¬
hältnisse und Gegensätze, die sich zwischen den verschiedenen Läufen einer
Weltbewegung bilden, sich durch die Gruppirung nicht ausdrücken lassen, so
ist mit dem ungeheuren Aufwande von Figuren doch wenig oder gar Verkehrtes
gesagt. Daß z. B. der Humanismus zuerst zwar der Reformation in die
Hände arbeitete, dann aber (vorab in Erasmus) zu ihr in Gegensatz trat, weil
er durch Huldigungen gegen weltliche und geistliche Fürsten sich Boden zu ver¬
schaffen suchte, für seine Bestrebungen durch den entbrannten Kampf fürchtete
und gern mit Hülfe des Papstes und der Bischöfe die Kirche reformirt hätte,
während die Reformation an das Bedürfniß Aller sich wandte, und daher vor¬
nehmlich auf das Volk sich stützte; daß sie selber gar bald in zwei Parteien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/262>, abgerufen am 28.05.2024.