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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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den Philosophen ein Cartesius, in dem die eine Richtung der neuen Philosophie
ihren epochemachenden Anfang fand? -- Doch hier gerathen wir an einen andern
munden Fleck, über den so viel zu sagen wäre, daß wir ihn nur berühren wollen.
In der Anordnung zeigt sich nur zu oft ein gänzliches Mißverständniß jener viel¬
seitigen Bewegung: Kaulbach mag sich bei seinen Rathgebern bedanken. Von der
Auffassung der eigentlichen Reformation war schon die Rede. Man kann Petrarca
gelten lassen, als einen der Ersten, der Sinn und Liebe für die Weisheit des
Alterthums und seine Kunst der Darstellung bewies, auch den schönen, aber
confusen Grafen von Mirandola, der gleich sehr für Plato wie für die Kabbala
schwärmte, wenn auch das Hervorholen von Manuscripten ein armseliges Symbol
ist. Was aber sollen Shakespeare (der überdies dem römischen Geiste wohl
verwandt, für den griechischen aber ohne Verständniß war) und Cervantes in
der Rolle von Zuhörern? Mitten in die Gruppe sind Erasmus und Reuchli"
hineingeworfen, offenbar ohne zu wissen, was sie hier vorhaben; weiter zurück
Hütten und Bucer eingeflickt, der Vermittler in allen reformatorischen Streitig¬
keiten neben dem stürmischen Ritter, mit dem er wenig zu schaffen hat. Was
soll dann Bacon knieend vor der Weltkugel, der kühne Reformator der Philo¬
sophie, der die Erfahrung methodisch und erfinderisch zu machen suchte, um
mit ihr die Herrschaft des Menschen über die Dinge zu begründen? Und vor
Allem: weshalb ist das Hauptmotiv des Bildes in den Hintergrund gedrängt,
wo co im Dämmerschein trüber Kirchenfenster so gut wie verschwindet?

Doch mit dieser Frage treten wir in das eigentliche Gebiet der Kunst ein
-- und hier athmen wir wieder auf. Nichts unerquicklicher und unergiebiger,
als mildem Künstler über das Stoffliche rechten, und nichts ärgerlicher, als
durch dessen Prätention, geiht- und gehaltreich zu sein, dazu gezwungen werden.
Nur indem sie nach der Darstellung fragt, hat die Kritik es mit der Kunst
zu thun und nur mit dieser will sie zu thun haben. Beginnen wir mit der
Komposition, für die man ja von jeher Kaulbach ein besonderes Geschick
zugeschrieben. Nun ja, eine Menge von Gruppen und Figuren zusammen¬
zubringen, die man mit . der Erklärung in der Hand allenfalls entwirren mag,
selbst sie in eine gewisse rhythmische Anordnung zurechtzuschieben, ist Kaulbach
nicht ohne Talent. Aber wie immer, so fehlt es auch hier dem Ganzen vor
Ueberfülle und Ueberhäufung an Anschaulichkeit und Klarheit. Von einer
Gruppe zur andern schweift der Blick, ohne Ruhe zu finden; denn es fehlt der
feste Mittelpunkt, von dem er ausgehen, zu dem er zurückkehren könnte. Luther
und seine Umgebung können nicht dafür gelten; denn sie sind, wie bemerkt,
in eine dämmerige Ferne zurückgerückt, selber in einem grauen Lichte verschwim¬
mend, können sie sich vom grauen Hintergrunde nicht abheben, und ohnedieß
läßt der überladene Vordergrund das Auge nicht los. Die versuchte Ver¬
mittlung zwischen beiden, gebildet aus den Friedenschließenden und den an den


den Philosophen ein Cartesius, in dem die eine Richtung der neuen Philosophie
ihren epochemachenden Anfang fand? — Doch hier gerathen wir an einen andern
munden Fleck, über den so viel zu sagen wäre, daß wir ihn nur berühren wollen.
In der Anordnung zeigt sich nur zu oft ein gänzliches Mißverständniß jener viel¬
seitigen Bewegung: Kaulbach mag sich bei seinen Rathgebern bedanken. Von der
Auffassung der eigentlichen Reformation war schon die Rede. Man kann Petrarca
gelten lassen, als einen der Ersten, der Sinn und Liebe für die Weisheit des
Alterthums und seine Kunst der Darstellung bewies, auch den schönen, aber
confusen Grafen von Mirandola, der gleich sehr für Plato wie für die Kabbala
schwärmte, wenn auch das Hervorholen von Manuscripten ein armseliges Symbol
ist. Was aber sollen Shakespeare (der überdies dem römischen Geiste wohl
verwandt, für den griechischen aber ohne Verständniß war) und Cervantes in
der Rolle von Zuhörern? Mitten in die Gruppe sind Erasmus und Reuchli»
hineingeworfen, offenbar ohne zu wissen, was sie hier vorhaben; weiter zurück
Hütten und Bucer eingeflickt, der Vermittler in allen reformatorischen Streitig¬
keiten neben dem stürmischen Ritter, mit dem er wenig zu schaffen hat. Was
soll dann Bacon knieend vor der Weltkugel, der kühne Reformator der Philo¬
sophie, der die Erfahrung methodisch und erfinderisch zu machen suchte, um
mit ihr die Herrschaft des Menschen über die Dinge zu begründen? Und vor
Allem: weshalb ist das Hauptmotiv des Bildes in den Hintergrund gedrängt,
wo co im Dämmerschein trüber Kirchenfenster so gut wie verschwindet?

Doch mit dieser Frage treten wir in das eigentliche Gebiet der Kunst ein
— und hier athmen wir wieder auf. Nichts unerquicklicher und unergiebiger,
als mildem Künstler über das Stoffliche rechten, und nichts ärgerlicher, als
durch dessen Prätention, geiht- und gehaltreich zu sein, dazu gezwungen werden.
Nur indem sie nach der Darstellung fragt, hat die Kritik es mit der Kunst
zu thun und nur mit dieser will sie zu thun haben. Beginnen wir mit der
Komposition, für die man ja von jeher Kaulbach ein besonderes Geschick
zugeschrieben. Nun ja, eine Menge von Gruppen und Figuren zusammen¬
zubringen, die man mit . der Erklärung in der Hand allenfalls entwirren mag,
selbst sie in eine gewisse rhythmische Anordnung zurechtzuschieben, ist Kaulbach
nicht ohne Talent. Aber wie immer, so fehlt es auch hier dem Ganzen vor
Ueberfülle und Ueberhäufung an Anschaulichkeit und Klarheit. Von einer
Gruppe zur andern schweift der Blick, ohne Ruhe zu finden; denn es fehlt der
feste Mittelpunkt, von dem er ausgehen, zu dem er zurückkehren könnte. Luther
und seine Umgebung können nicht dafür gelten; denn sie sind, wie bemerkt,
in eine dämmerige Ferne zurückgerückt, selber in einem grauen Lichte verschwim¬
mend, können sie sich vom grauen Hintergrunde nicht abheben, und ohnedieß
läßt der überladene Vordergrund das Auge nicht los. Die versuchte Ver¬
mittlung zwischen beiden, gebildet aus den Friedenschließenden und den an den


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[0264] den Philosophen ein Cartesius, in dem die eine Richtung der neuen Philosophie ihren epochemachenden Anfang fand? — Doch hier gerathen wir an einen andern munden Fleck, über den so viel zu sagen wäre, daß wir ihn nur berühren wollen. In der Anordnung zeigt sich nur zu oft ein gänzliches Mißverständniß jener viel¬ seitigen Bewegung: Kaulbach mag sich bei seinen Rathgebern bedanken. Von der Auffassung der eigentlichen Reformation war schon die Rede. Man kann Petrarca gelten lassen, als einen der Ersten, der Sinn und Liebe für die Weisheit des Alterthums und seine Kunst der Darstellung bewies, auch den schönen, aber confusen Grafen von Mirandola, der gleich sehr für Plato wie für die Kabbala schwärmte, wenn auch das Hervorholen von Manuscripten ein armseliges Symbol ist. Was aber sollen Shakespeare (der überdies dem römischen Geiste wohl verwandt, für den griechischen aber ohne Verständniß war) und Cervantes in der Rolle von Zuhörern? Mitten in die Gruppe sind Erasmus und Reuchli» hineingeworfen, offenbar ohne zu wissen, was sie hier vorhaben; weiter zurück Hütten und Bucer eingeflickt, der Vermittler in allen reformatorischen Streitig¬ keiten neben dem stürmischen Ritter, mit dem er wenig zu schaffen hat. Was soll dann Bacon knieend vor der Weltkugel, der kühne Reformator der Philo¬ sophie, der die Erfahrung methodisch und erfinderisch zu machen suchte, um mit ihr die Herrschaft des Menschen über die Dinge zu begründen? Und vor Allem: weshalb ist das Hauptmotiv des Bildes in den Hintergrund gedrängt, wo co im Dämmerschein trüber Kirchenfenster so gut wie verschwindet? Doch mit dieser Frage treten wir in das eigentliche Gebiet der Kunst ein — und hier athmen wir wieder auf. Nichts unerquicklicher und unergiebiger, als mildem Künstler über das Stoffliche rechten, und nichts ärgerlicher, als durch dessen Prätention, geiht- und gehaltreich zu sein, dazu gezwungen werden. Nur indem sie nach der Darstellung fragt, hat die Kritik es mit der Kunst zu thun und nur mit dieser will sie zu thun haben. Beginnen wir mit der Komposition, für die man ja von jeher Kaulbach ein besonderes Geschick zugeschrieben. Nun ja, eine Menge von Gruppen und Figuren zusammen¬ zubringen, die man mit . der Erklärung in der Hand allenfalls entwirren mag, selbst sie in eine gewisse rhythmische Anordnung zurechtzuschieben, ist Kaulbach nicht ohne Talent. Aber wie immer, so fehlt es auch hier dem Ganzen vor Ueberfülle und Ueberhäufung an Anschaulichkeit und Klarheit. Von einer Gruppe zur andern schweift der Blick, ohne Ruhe zu finden; denn es fehlt der feste Mittelpunkt, von dem er ausgehen, zu dem er zurückkehren könnte. Luther und seine Umgebung können nicht dafür gelten; denn sie sind, wie bemerkt, in eine dämmerige Ferne zurückgerückt, selber in einem grauen Lichte verschwim¬ mend, können sie sich vom grauen Hintergrunde nicht abheben, und ohnedieß läßt der überladene Vordergrund das Auge nicht los. Die versuchte Ver¬ mittlung zwischen beiden, gebildet aus den Friedenschließenden und den an den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/264>, abgerufen am 29.05.2024.