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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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sich spaltete, von denen die eine Alles von der stillen Macht der sich ausbrei¬
tenden Ueberzeugung erwartete, die andere energisch durchgreifend die öffent¬
lichen Dinge fast gewaltsam umzubilden suchte: das sind wesentliche Momente,
die hinter die Scene fallen. Aber nicht nur darin, sondern in der Auswahl
der Figuren wird der Künstler vollständig nicht sein können, und so ist es
Kaulbach begegnet, daß er zweifelhafte Größen in den Vordergrund geschoben,
dagegen wirklich bedeutende Charaktere ganz vergessen hat. Wir wollen nicht
über die Einzelnen mit ihm rechten: aber ein Sebastian Münster, ein Leonhard
Fuchs, ein Paracelsus, ein Molinaeus -- die Franzosen hätte besser noch
ein Budaeus vertreten -- brauchen uns nicht unter den Ersten in die Augen
zu fallen. Nun gar den Wiedertäufer Sebastian Franke, einen Mann, an
dessen aufregender Vielschreiberei Luther und Melanchthon nur Aergerniß nahmen,
der im Grunde nur das Verdienst hat, eine deutsche Geschichte geschrieben zu
haben -- gerade den in seiner ganzen Länge, in der geschmacklosesten Haltung
und Kleidung so voranzustellen, daß er gewaltsam den Blick auf sich zieht!
Doch wir entdecken hier, wenn wir nicht irren, gewisse Rathgeber des Künst¬
lers, denen das unklare Gemisch von Theismus und Pantheismus in der Philo¬
sophie des Mannes, die eben deshalb weder das Eine noch das Andere ist,
für eine tiefe und unübertroffene Weisheit gilt. Haben doch wohl aus dem¬
selben Grunde so ziemlich alle italienischen Naturphilosophen Platz gefunden,
unglücklicher Weise freilich in alle Ecken zerstreut. Auf den guten Meister Hans
Sachs, der im nächsten Vordergrunde die Gruppen vermittelt und den Abschluß
bildet, aus dem das Ganze herauszuwachsen scheint, der, das Bild von unten
gesehen, jedenfalls die Hauptfigur spielt, werden wir noch zu sprechen kommen.
Wie der treuherzige Sänger, der seine evangelische Gesinnung wohl heiter und
anmuthig, aber doch mit der etwas handwerksmäßigen Festigkeit eines gesunden
Menschenverstandes vorträgt, zu der unerwarteten Ehre kommt, würde er wohl
selber nicht begreifen.

Aber wenn Kaulbach Kopf an Kopf sich drängen läßt, um möglichst viel
zu geben, warum zeigt er uns nicht unter den Fürsten den besonnenen und doch
festen Friedrich den Weisen, der als der rechte Schutz für die beginnende Be¬
wegung so ganz der Mann Luthers war?ZNicht den kühnen Philipp von Hessen,
in seiner Energie und Derbheit das ächte Kind jener Zeit, von dem der floren-
tinische Gesandte sagte, daß er bei den Deutschen wie ihr Gott angesehen sei?
Weshalb fehlt die herrliche Gestalt Sickingens, in dem sich zwei Welten gleich¬
sam begegnen, der ächt menschlich mit seinem ritterlichen Wesen, seinen poli¬
tischen Plänen, einen idealen Sinn, eine warme Begeisterung für die Religion
verband? Weshalb unter den Malern der fromm evangelische Lucas Kranach,
der Freund Luthers, der sein Passion"! Christi und Antichristi mit Holzschnitten
Mte? Weshalb unier den Reformatoren der schottische John Knox? Unter


sich spaltete, von denen die eine Alles von der stillen Macht der sich ausbrei¬
tenden Ueberzeugung erwartete, die andere energisch durchgreifend die öffent¬
lichen Dinge fast gewaltsam umzubilden suchte: das sind wesentliche Momente,
die hinter die Scene fallen. Aber nicht nur darin, sondern in der Auswahl
der Figuren wird der Künstler vollständig nicht sein können, und so ist es
Kaulbach begegnet, daß er zweifelhafte Größen in den Vordergrund geschoben,
dagegen wirklich bedeutende Charaktere ganz vergessen hat. Wir wollen nicht
über die Einzelnen mit ihm rechten: aber ein Sebastian Münster, ein Leonhard
Fuchs, ein Paracelsus, ein Molinaeus — die Franzosen hätte besser noch
ein Budaeus vertreten — brauchen uns nicht unter den Ersten in die Augen
zu fallen. Nun gar den Wiedertäufer Sebastian Franke, einen Mann, an
dessen aufregender Vielschreiberei Luther und Melanchthon nur Aergerniß nahmen,
der im Grunde nur das Verdienst hat, eine deutsche Geschichte geschrieben zu
haben — gerade den in seiner ganzen Länge, in der geschmacklosesten Haltung
und Kleidung so voranzustellen, daß er gewaltsam den Blick auf sich zieht!
Doch wir entdecken hier, wenn wir nicht irren, gewisse Rathgeber des Künst¬
lers, denen das unklare Gemisch von Theismus und Pantheismus in der Philo¬
sophie des Mannes, die eben deshalb weder das Eine noch das Andere ist,
für eine tiefe und unübertroffene Weisheit gilt. Haben doch wohl aus dem¬
selben Grunde so ziemlich alle italienischen Naturphilosophen Platz gefunden,
unglücklicher Weise freilich in alle Ecken zerstreut. Auf den guten Meister Hans
Sachs, der im nächsten Vordergrunde die Gruppen vermittelt und den Abschluß
bildet, aus dem das Ganze herauszuwachsen scheint, der, das Bild von unten
gesehen, jedenfalls die Hauptfigur spielt, werden wir noch zu sprechen kommen.
Wie der treuherzige Sänger, der seine evangelische Gesinnung wohl heiter und
anmuthig, aber doch mit der etwas handwerksmäßigen Festigkeit eines gesunden
Menschenverstandes vorträgt, zu der unerwarteten Ehre kommt, würde er wohl
selber nicht begreifen.

Aber wenn Kaulbach Kopf an Kopf sich drängen läßt, um möglichst viel
zu geben, warum zeigt er uns nicht unter den Fürsten den besonnenen und doch
festen Friedrich den Weisen, der als der rechte Schutz für die beginnende Be¬
wegung so ganz der Mann Luthers war?ZNicht den kühnen Philipp von Hessen,
in seiner Energie und Derbheit das ächte Kind jener Zeit, von dem der floren-
tinische Gesandte sagte, daß er bei den Deutschen wie ihr Gott angesehen sei?
Weshalb fehlt die herrliche Gestalt Sickingens, in dem sich zwei Welten gleich¬
sam begegnen, der ächt menschlich mit seinem ritterlichen Wesen, seinen poli¬
tischen Plänen, einen idealen Sinn, eine warme Begeisterung für die Religion
verband? Weshalb unter den Malern der fromm evangelische Lucas Kranach,
der Freund Luthers, der sein Passion«! Christi und Antichristi mit Holzschnitten
Mte? Weshalb unier den Reformatoren der schottische John Knox? Unter


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[0263] sich spaltete, von denen die eine Alles von der stillen Macht der sich ausbrei¬ tenden Ueberzeugung erwartete, die andere energisch durchgreifend die öffent¬ lichen Dinge fast gewaltsam umzubilden suchte: das sind wesentliche Momente, die hinter die Scene fallen. Aber nicht nur darin, sondern in der Auswahl der Figuren wird der Künstler vollständig nicht sein können, und so ist es Kaulbach begegnet, daß er zweifelhafte Größen in den Vordergrund geschoben, dagegen wirklich bedeutende Charaktere ganz vergessen hat. Wir wollen nicht über die Einzelnen mit ihm rechten: aber ein Sebastian Münster, ein Leonhard Fuchs, ein Paracelsus, ein Molinaeus — die Franzosen hätte besser noch ein Budaeus vertreten — brauchen uns nicht unter den Ersten in die Augen zu fallen. Nun gar den Wiedertäufer Sebastian Franke, einen Mann, an dessen aufregender Vielschreiberei Luther und Melanchthon nur Aergerniß nahmen, der im Grunde nur das Verdienst hat, eine deutsche Geschichte geschrieben zu haben — gerade den in seiner ganzen Länge, in der geschmacklosesten Haltung und Kleidung so voranzustellen, daß er gewaltsam den Blick auf sich zieht! Doch wir entdecken hier, wenn wir nicht irren, gewisse Rathgeber des Künst¬ lers, denen das unklare Gemisch von Theismus und Pantheismus in der Philo¬ sophie des Mannes, die eben deshalb weder das Eine noch das Andere ist, für eine tiefe und unübertroffene Weisheit gilt. Haben doch wohl aus dem¬ selben Grunde so ziemlich alle italienischen Naturphilosophen Platz gefunden, unglücklicher Weise freilich in alle Ecken zerstreut. Auf den guten Meister Hans Sachs, der im nächsten Vordergrunde die Gruppen vermittelt und den Abschluß bildet, aus dem das Ganze herauszuwachsen scheint, der, das Bild von unten gesehen, jedenfalls die Hauptfigur spielt, werden wir noch zu sprechen kommen. Wie der treuherzige Sänger, der seine evangelische Gesinnung wohl heiter und anmuthig, aber doch mit der etwas handwerksmäßigen Festigkeit eines gesunden Menschenverstandes vorträgt, zu der unerwarteten Ehre kommt, würde er wohl selber nicht begreifen. Aber wenn Kaulbach Kopf an Kopf sich drängen läßt, um möglichst viel zu geben, warum zeigt er uns nicht unter den Fürsten den besonnenen und doch festen Friedrich den Weisen, der als der rechte Schutz für die beginnende Be¬ wegung so ganz der Mann Luthers war?ZNicht den kühnen Philipp von Hessen, in seiner Energie und Derbheit das ächte Kind jener Zeit, von dem der floren- tinische Gesandte sagte, daß er bei den Deutschen wie ihr Gott angesehen sei? Weshalb fehlt die herrliche Gestalt Sickingens, in dem sich zwei Welten gleich¬ sam begegnen, der ächt menschlich mit seinem ritterlichen Wesen, seinen poli¬ tischen Plänen, einen idealen Sinn, eine warme Begeisterung für die Religion verband? Weshalb unter den Malern der fromm evangelische Lucas Kranach, der Freund Luthers, der sein Passion«! Christi und Antichristi mit Holzschnitten Mte? Weshalb unier den Reformatoren der schottische John Knox? Unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/263>, abgerufen am 08.06.2024.