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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Amphoren (-- 250 preuß. Quart), bei dem Erbschaftsprocesse, in dem Demo-
sthenes gegen Makatartos diente, dem Ankläger und Vertheidiger je eine
Amphora (-- 22V4 Quart), jedem der folgenden Sprecher aber gar nur drei
Achtel der Amphora zuertheilt wurden. Am Schlüsse der Rede pflegte man
wohl auch, wie Demosthenes in den beiden Reden gegen Phormiv und Nausi-
machos gethan hat, dem Diener zuzurufen, daß er nun das Wasser der Klepsv-
dra ausgießen könne.

Uebrigens durfte der Redner, so lange er sprach, von seinem Gegner,
nur wenn er denselben selbst dazu aufforderte, von dem Richter, nur wenn
er ungehörige Dinge vorbrachte, unterbrochen werden. Es gab in Athen auch
eine Art von Staatsanwälten. Sie wurden gewählt, wenn ein Antrag aus
Abschaffung irgend eines bestehenden Gesetzes gestellt worden war. Dem
alten Gesetze wurde dann förmlich der Proceß gemacht, und die Staats¬
anwälte hatten dasselbe gegen den Antragsteller, als den Kläger, vor der Be¬
hörde der Nomotheten zu vertheidigen. Sie traten aber auch ein, um im
Namen des Volks Klage vor Gericht zu führen, wie z. B. gegen Beamte,
deren Rechnungen am Ende ihres Amtsjahres nicht stimmten. Obgleich es
nun aber an Leuten nicht mangelte, deren Hülfe man beim Processiren gegen
Bezahlung in Anspruch nehmen konnte, und obgleich die Rhetorik Mrch den
Einfluß der Sophisten, der Meister in der Kunst der Trugschlüsse, Scheingründe
und Spitzfindigkeiten, geradezu eine Anweisung wurde, wie man einer schlech¬
ten Sache vor Gericht zum Siege verhelfen könnte, so fehlte doch immer sowohl
den sophistischen Schwätzern selbst, als ihren sich mit den fremden Federn
schmückenden Kunden die erforderliche Kenntniß des positiven Rechts, und auch
die Koryphäen der Redekunst sahen sich deshalb veranlaßt, sich das einschla¬
gende Nechtsmatcrial, die betreffenden Gesctzesstellen und Urkunden für Geld
von besonderen, juristischen Handlangern herbeischaffen zu lassen, die "Pragma¬
tiker" genannt wurden. Daß deren Stellung sehr subaltern war, ergibt sich
aus Cicero, der von ihnen sagt: "Bei den Griechen lassen sich Menschen von
dem niedrigsten Stande, um einen elenden Lohn gedungen, als Helfershelfer
in den Processen von den Rednern brauchen." Diese merkwürdige Trennung
des juristischen Wissens von der Kunst, dasselbe durch die Macht der Rede
geltend zu machen und zu verwerthen. findet man in ähnlicher Weise bei den
Römern wieder. Der gerichtliche Redner suchte hier wie dort, nicht blos auf
den Verstand durch rechtliche Gründe überzeugend zu wirken, sondern auch,
wie in den Volksversammlungen, demagogische Künste zu entfalten, die Leiden¬
schaften zu erregen und den Launen des Volks zu huldigen.

In Rom war während der alten Zeit die Kenntniß und Pflege des Rechts
ein Prärogativ der patricischen Kaste. Da es keine geschriebenen Gesetze gab,
so pflanzte sich die Rechtskunde als ungeschriebene Tradition in den aristvkra-


Amphoren (— 250 preuß. Quart), bei dem Erbschaftsprocesse, in dem Demo-
sthenes gegen Makatartos diente, dem Ankläger und Vertheidiger je eine
Amphora (— 22V4 Quart), jedem der folgenden Sprecher aber gar nur drei
Achtel der Amphora zuertheilt wurden. Am Schlüsse der Rede pflegte man
wohl auch, wie Demosthenes in den beiden Reden gegen Phormiv und Nausi-
machos gethan hat, dem Diener zuzurufen, daß er nun das Wasser der Klepsv-
dra ausgießen könne.

Uebrigens durfte der Redner, so lange er sprach, von seinem Gegner,
nur wenn er denselben selbst dazu aufforderte, von dem Richter, nur wenn
er ungehörige Dinge vorbrachte, unterbrochen werden. Es gab in Athen auch
eine Art von Staatsanwälten. Sie wurden gewählt, wenn ein Antrag aus
Abschaffung irgend eines bestehenden Gesetzes gestellt worden war. Dem
alten Gesetze wurde dann förmlich der Proceß gemacht, und die Staats¬
anwälte hatten dasselbe gegen den Antragsteller, als den Kläger, vor der Be¬
hörde der Nomotheten zu vertheidigen. Sie traten aber auch ein, um im
Namen des Volks Klage vor Gericht zu führen, wie z. B. gegen Beamte,
deren Rechnungen am Ende ihres Amtsjahres nicht stimmten. Obgleich es
nun aber an Leuten nicht mangelte, deren Hülfe man beim Processiren gegen
Bezahlung in Anspruch nehmen konnte, und obgleich die Rhetorik Mrch den
Einfluß der Sophisten, der Meister in der Kunst der Trugschlüsse, Scheingründe
und Spitzfindigkeiten, geradezu eine Anweisung wurde, wie man einer schlech¬
ten Sache vor Gericht zum Siege verhelfen könnte, so fehlte doch immer sowohl
den sophistischen Schwätzern selbst, als ihren sich mit den fremden Federn
schmückenden Kunden die erforderliche Kenntniß des positiven Rechts, und auch
die Koryphäen der Redekunst sahen sich deshalb veranlaßt, sich das einschla¬
gende Nechtsmatcrial, die betreffenden Gesctzesstellen und Urkunden für Geld
von besonderen, juristischen Handlangern herbeischaffen zu lassen, die „Pragma¬
tiker" genannt wurden. Daß deren Stellung sehr subaltern war, ergibt sich
aus Cicero, der von ihnen sagt: „Bei den Griechen lassen sich Menschen von
dem niedrigsten Stande, um einen elenden Lohn gedungen, als Helfershelfer
in den Processen von den Rednern brauchen." Diese merkwürdige Trennung
des juristischen Wissens von der Kunst, dasselbe durch die Macht der Rede
geltend zu machen und zu verwerthen. findet man in ähnlicher Weise bei den
Römern wieder. Der gerichtliche Redner suchte hier wie dort, nicht blos auf
den Verstand durch rechtliche Gründe überzeugend zu wirken, sondern auch,
wie in den Volksversammlungen, demagogische Künste zu entfalten, die Leiden¬
schaften zu erregen und den Launen des Volks zu huldigen.

In Rom war während der alten Zeit die Kenntniß und Pflege des Rechts
ein Prärogativ der patricischen Kaste. Da es keine geschriebenen Gesetze gab,
so pflanzte sich die Rechtskunde als ungeschriebene Tradition in den aristvkra-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/28>, abgerufen am 29.04.2024.