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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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dischen, vorzüglich den priesterlichen Familien fort, und selbst nach Aufstellung
der Zwölftafelgesetze blieb das Räthselhafte und Geheimnißvolle an den Rechts¬
normen haften, da sowohl die von den Priestern fortgeführte Sammlung von
Rechtsfällen, worauf sich das Gewohnheitsrecht gründete, als auch der Termin¬
kalender oder das Verzeichnis) der jährlichen Gerichtstage, und die Kenntniß
der solennen Formeln, in welchen jeder Rechtsanspruch peinlich genau geltend
gemacht werden mußte, wenn die Klage Erfolg haben sollte, in den Händen
der Patricier war. Deshalb sagt auch Cicero von jener Zeit: "Ob man ein
Rechtsgeschäft vornehmen konnte oder nicht, wußten früher Wenige; denn die
Fasten (den Gerichtskalender) hatte man nicht für gewöhnlich. Eine große
Macht besaßen diejenigen, welche man cvnsultirte; von ihnen ließ man sich, wie
von chaldäischen Sterndeutern auch die Tage sagen." Für manchen Plebejer
mag in diesem Uebelstande ein Beweggrund gelegen haben, seine Selbständigkeit
aufzugeben und derselben die halb unmündige Stellung eines Klienten vor¬
zuziehen. Hatte er doch wenigstens dann gerechten Anspruch auf rechtskräftige
Vertretung vor Gericht durch seinen patricischen Patron!

Es läßt sich denken, welchen Verdruß es der Aristokratie bereitete, als im Jahre
304 v. Chr. der Plebejer Cnejus Flavius, der frühere Schreiber des durch seinen
im Kriege gegen Pyrrhus bewiesenen Heroismus berühmten Appius Claudius,
den Gerichtskalendcr veröffentlichte und zugleich eine Schrift herausgab, in welcher
die Klagformeln und das ganze Proceßverfahren zusammengestellt waren. Noch
mehr als dieser Verrath bewirkte aber die gleichzeitige Umgestaltung der Stände¬
verhältnisse, daß das Recht aus einem Besitzthume Privilegirter sich allmälig
in ein Gemeingut Aller verwandelte.

Während nun früher die Belehrungen über rechtliche Verhältnisse von
den patricischen Patronen ausgingen, bildete sich jetzt eine besondere Classe
von Männern, die sich vorzugsweise mit der Rechtswissenschaft befaßten
und aus der Ertheilung juristischer Auskunft ein besonderes Geschäft mach¬
ten. Jedoch waren es nicht, wie bei den Griechen, Leute Verachteten
Standes, sondern gerade die vornehmsten und angesehensten; auch übten sie
diesen Beruf nicht, um Geld zu verdienen, sondern, um sich die Gunst des
Volks zu erwerbe" und so zu den höchsten Ehrenstellen zu gelangen. Diesen
Gegensatz zu griechischer Sitte hebt Cicero in seiner Schrift über den Red¬
ner scharf hcrvvt, indem er schreibt: "Aber in unserem Staate haben auf
sMz entgegengesetzte Weise die angesehensten und berühmtesten Männer sich
Zwar durch ihre Rednergabe zu hohen Würden emporgeschwungen, aber gleich¬
wohl es soweit gebracht, daß sie sich durch ihre Rcchtsbescheide. noch mehr An¬
sehen erwarben, als durch ihr Nednertcilent. Gibt es. um sich ein vielbesuchtes
und ruhmvolles Alter zu bereiten, irgend eine ehrenvollere Zuflucht, als die
Auslegung des Rechts? Ich wenigstens habe mir dieses Hülfsmittel schon von


dischen, vorzüglich den priesterlichen Familien fort, und selbst nach Aufstellung
der Zwölftafelgesetze blieb das Räthselhafte und Geheimnißvolle an den Rechts¬
normen haften, da sowohl die von den Priestern fortgeführte Sammlung von
Rechtsfällen, worauf sich das Gewohnheitsrecht gründete, als auch der Termin¬
kalender oder das Verzeichnis) der jährlichen Gerichtstage, und die Kenntniß
der solennen Formeln, in welchen jeder Rechtsanspruch peinlich genau geltend
gemacht werden mußte, wenn die Klage Erfolg haben sollte, in den Händen
der Patricier war. Deshalb sagt auch Cicero von jener Zeit: „Ob man ein
Rechtsgeschäft vornehmen konnte oder nicht, wußten früher Wenige; denn die
Fasten (den Gerichtskalender) hatte man nicht für gewöhnlich. Eine große
Macht besaßen diejenigen, welche man cvnsultirte; von ihnen ließ man sich, wie
von chaldäischen Sterndeutern auch die Tage sagen." Für manchen Plebejer
mag in diesem Uebelstande ein Beweggrund gelegen haben, seine Selbständigkeit
aufzugeben und derselben die halb unmündige Stellung eines Klienten vor¬
zuziehen. Hatte er doch wenigstens dann gerechten Anspruch auf rechtskräftige
Vertretung vor Gericht durch seinen patricischen Patron!

Es läßt sich denken, welchen Verdruß es der Aristokratie bereitete, als im Jahre
304 v. Chr. der Plebejer Cnejus Flavius, der frühere Schreiber des durch seinen
im Kriege gegen Pyrrhus bewiesenen Heroismus berühmten Appius Claudius,
den Gerichtskalendcr veröffentlichte und zugleich eine Schrift herausgab, in welcher
die Klagformeln und das ganze Proceßverfahren zusammengestellt waren. Noch
mehr als dieser Verrath bewirkte aber die gleichzeitige Umgestaltung der Stände¬
verhältnisse, daß das Recht aus einem Besitzthume Privilegirter sich allmälig
in ein Gemeingut Aller verwandelte.

Während nun früher die Belehrungen über rechtliche Verhältnisse von
den patricischen Patronen ausgingen, bildete sich jetzt eine besondere Classe
von Männern, die sich vorzugsweise mit der Rechtswissenschaft befaßten
und aus der Ertheilung juristischer Auskunft ein besonderes Geschäft mach¬
ten. Jedoch waren es nicht, wie bei den Griechen, Leute Verachteten
Standes, sondern gerade die vornehmsten und angesehensten; auch übten sie
diesen Beruf nicht, um Geld zu verdienen, sondern, um sich die Gunst des
Volks zu erwerbe» und so zu den höchsten Ehrenstellen zu gelangen. Diesen
Gegensatz zu griechischer Sitte hebt Cicero in seiner Schrift über den Red¬
ner scharf hcrvvt, indem er schreibt: „Aber in unserem Staate haben auf
sMz entgegengesetzte Weise die angesehensten und berühmtesten Männer sich
Zwar durch ihre Rednergabe zu hohen Würden emporgeschwungen, aber gleich¬
wohl es soweit gebracht, daß sie sich durch ihre Rcchtsbescheide. noch mehr An¬
sehen erwarben, als durch ihr Nednertcilent. Gibt es. um sich ein vielbesuchtes
und ruhmvolles Alter zu bereiten, irgend eine ehrenvollere Zuflucht, als die
Auslegung des Rechts? Ich wenigstens habe mir dieses Hülfsmittel schon von


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[0029] dischen, vorzüglich den priesterlichen Familien fort, und selbst nach Aufstellung der Zwölftafelgesetze blieb das Räthselhafte und Geheimnißvolle an den Rechts¬ normen haften, da sowohl die von den Priestern fortgeführte Sammlung von Rechtsfällen, worauf sich das Gewohnheitsrecht gründete, als auch der Termin¬ kalender oder das Verzeichnis) der jährlichen Gerichtstage, und die Kenntniß der solennen Formeln, in welchen jeder Rechtsanspruch peinlich genau geltend gemacht werden mußte, wenn die Klage Erfolg haben sollte, in den Händen der Patricier war. Deshalb sagt auch Cicero von jener Zeit: „Ob man ein Rechtsgeschäft vornehmen konnte oder nicht, wußten früher Wenige; denn die Fasten (den Gerichtskalender) hatte man nicht für gewöhnlich. Eine große Macht besaßen diejenigen, welche man cvnsultirte; von ihnen ließ man sich, wie von chaldäischen Sterndeutern auch die Tage sagen." Für manchen Plebejer mag in diesem Uebelstande ein Beweggrund gelegen haben, seine Selbständigkeit aufzugeben und derselben die halb unmündige Stellung eines Klienten vor¬ zuziehen. Hatte er doch wenigstens dann gerechten Anspruch auf rechtskräftige Vertretung vor Gericht durch seinen patricischen Patron! Es läßt sich denken, welchen Verdruß es der Aristokratie bereitete, als im Jahre 304 v. Chr. der Plebejer Cnejus Flavius, der frühere Schreiber des durch seinen im Kriege gegen Pyrrhus bewiesenen Heroismus berühmten Appius Claudius, den Gerichtskalendcr veröffentlichte und zugleich eine Schrift herausgab, in welcher die Klagformeln und das ganze Proceßverfahren zusammengestellt waren. Noch mehr als dieser Verrath bewirkte aber die gleichzeitige Umgestaltung der Stände¬ verhältnisse, daß das Recht aus einem Besitzthume Privilegirter sich allmälig in ein Gemeingut Aller verwandelte. Während nun früher die Belehrungen über rechtliche Verhältnisse von den patricischen Patronen ausgingen, bildete sich jetzt eine besondere Classe von Männern, die sich vorzugsweise mit der Rechtswissenschaft befaßten und aus der Ertheilung juristischer Auskunft ein besonderes Geschäft mach¬ ten. Jedoch waren es nicht, wie bei den Griechen, Leute Verachteten Standes, sondern gerade die vornehmsten und angesehensten; auch übten sie diesen Beruf nicht, um Geld zu verdienen, sondern, um sich die Gunst des Volks zu erwerbe» und so zu den höchsten Ehrenstellen zu gelangen. Diesen Gegensatz zu griechischer Sitte hebt Cicero in seiner Schrift über den Red¬ ner scharf hcrvvt, indem er schreibt: „Aber in unserem Staate haben auf sMz entgegengesetzte Weise die angesehensten und berühmtesten Männer sich Zwar durch ihre Rednergabe zu hohen Würden emporgeschwungen, aber gleich¬ wohl es soweit gebracht, daß sie sich durch ihre Rcchtsbescheide. noch mehr An¬ sehen erwarben, als durch ihr Nednertcilent. Gibt es. um sich ein vielbesuchtes und ruhmvolles Alter zu bereiten, irgend eine ehrenvollere Zuflucht, als die Auslegung des Rechts? Ich wenigstens habe mir dieses Hülfsmittel schon von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/29>, abgerufen am 29.04.2024.