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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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- Die Grundsätze, die im Allgemeinen ein Anwalt zu befolgen habe, stellt Cicero
in seiner Pflichteniehre auf. Wie er vom Utilitätsprincipe aus vor allzu häufigen
Anklagen warnt, so empfiehlt er das Vertheidigen, als den Weg zu Ruhm und
Gunst, besonders, wenn es gelte, einem Schwachen gegen einen Mächtigen zum
Rechte zu helfen, und die Anklage eines Unschuldigen auf Leben und Tod nennt er
geradezu ein Verbrechen. Dagegen dürfe man es nicht vermeiden, oder sich Scrupel
dabei machen, zuweilen auch einen Schuldigen zu vertheidigen, wenn er nur kein
Bösewicht sei. "Die Menge will es," sagt er, "die Gewohnheit duldet es, die
Menschenfreundlichkeit erheischt es. Des Richters Sache ist es, immer die
Wahrheit zu erforschen; der Patron muß zuweilen auch das Wahrscheinliche,
auch wenn es weniger mit der Wahrheit harmonirt, in Schutz nehmen." Daß
der berühmte Redner oft genug diesem letzten Satze gemäß gehandelt hat, zu
dem Quintilian gerade das Gegentheil behauptet, und daß eS ihm nicht selten
weniger um die Wahrheit als um den Schein der Wahrheit zu thun war, ist
bekannt.. Vertheidigte er doch sogar denselben Vatinius, dem er als dem Gegen¬
stand des allgemeinen Abscheus als Ankläger Haß und Verachtung bezeigt hatte,
zwei Jahre später, nur um dem mächtigen Cäsar eine Gefälligkeit zu erweisen!
Mit welcher Genugthuung wird dieser erbärmliche Mensch später, als sich Cicero
bei ihm, dem Proconsul von Jllyrien, sür den gefangenen Seeräuber Catilius
verwendete, geantwortet haben: "Also solche Clienten, solche Sachen nehmt Ihr
an? dem allergrausamsten Menschen, der soviele römische Bürger und Bürgerin¬
nen getödtet, geraubt, zu Grunde gerichtet, soviele Gegenden verwüstet hat?
Was kann ich denen antworten, die für ihre geplünderten Güter, ihre ge-
kaperten Schiffe, ihre ermordeten Brüder, Kinder und Eltern Genugthuung for¬
dern?" Und doch war Cicero in jener schon sehr verdorbenen Zeit gewiß einer der
rechtlichsten Sachwalter, und so beweist sein Beispiel recht deutlich, welche Fort¬
schritte die Abstumpfung des sittlichen Gefühls unter feinen Fachgenossen be¬
reits gemacht hatte. Schon im zweiten Jahrhundert v. Chr. hatte der berühmte
Redner M. Antonius offen bekannt, daß er seine Reden darum nicht auszeich¬
nete, damit er läugnen könnte, wenn man ihn auf eine frühere, unbequeme
Aeußerung hinzuweisen versuchte! Für den Verfall des alten Patronats, als
Ehrenamtes, für das Uebergehen desselben in einen geschäftsmäßigen Be¬
trieb spricht besonders auch der Umstand, daß man sich die Bemühungen
bezahlen ließ. Im Jahre 204 v. Chr. suchte der Volkstribun Cinclus
Alimentus die alte Sitte noch aufrecht zu erhalten, indem er eine Bill
durchbrachte, nach welcher Niemand für gerichtliche Reden Geld oder Geschenke
annehmen durfte, und setzte überhaupt für alle Schenkungen eine bestimmte
Werthhöhe fest. Von Cicero behauptet Plutarch, daß er weder Lohn noch
Geschenke verlangt habe; ob er freilich zurückwies, was man ihm frei¬
willig ins Haus brachte, wird nicht ausdrücklich gesagt, und wenn er das


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- Die Grundsätze, die im Allgemeinen ein Anwalt zu befolgen habe, stellt Cicero
in seiner Pflichteniehre auf. Wie er vom Utilitätsprincipe aus vor allzu häufigen
Anklagen warnt, so empfiehlt er das Vertheidigen, als den Weg zu Ruhm und
Gunst, besonders, wenn es gelte, einem Schwachen gegen einen Mächtigen zum
Rechte zu helfen, und die Anklage eines Unschuldigen auf Leben und Tod nennt er
geradezu ein Verbrechen. Dagegen dürfe man es nicht vermeiden, oder sich Scrupel
dabei machen, zuweilen auch einen Schuldigen zu vertheidigen, wenn er nur kein
Bösewicht sei. „Die Menge will es," sagt er, „die Gewohnheit duldet es, die
Menschenfreundlichkeit erheischt es. Des Richters Sache ist es, immer die
Wahrheit zu erforschen; der Patron muß zuweilen auch das Wahrscheinliche,
auch wenn es weniger mit der Wahrheit harmonirt, in Schutz nehmen." Daß
der berühmte Redner oft genug diesem letzten Satze gemäß gehandelt hat, zu
dem Quintilian gerade das Gegentheil behauptet, und daß eS ihm nicht selten
weniger um die Wahrheit als um den Schein der Wahrheit zu thun war, ist
bekannt.. Vertheidigte er doch sogar denselben Vatinius, dem er als dem Gegen¬
stand des allgemeinen Abscheus als Ankläger Haß und Verachtung bezeigt hatte,
zwei Jahre später, nur um dem mächtigen Cäsar eine Gefälligkeit zu erweisen!
Mit welcher Genugthuung wird dieser erbärmliche Mensch später, als sich Cicero
bei ihm, dem Proconsul von Jllyrien, sür den gefangenen Seeräuber Catilius
verwendete, geantwortet haben: „Also solche Clienten, solche Sachen nehmt Ihr
an? dem allergrausamsten Menschen, der soviele römische Bürger und Bürgerin¬
nen getödtet, geraubt, zu Grunde gerichtet, soviele Gegenden verwüstet hat?
Was kann ich denen antworten, die für ihre geplünderten Güter, ihre ge-
kaperten Schiffe, ihre ermordeten Brüder, Kinder und Eltern Genugthuung for¬
dern?" Und doch war Cicero in jener schon sehr verdorbenen Zeit gewiß einer der
rechtlichsten Sachwalter, und so beweist sein Beispiel recht deutlich, welche Fort¬
schritte die Abstumpfung des sittlichen Gefühls unter feinen Fachgenossen be¬
reits gemacht hatte. Schon im zweiten Jahrhundert v. Chr. hatte der berühmte
Redner M. Antonius offen bekannt, daß er seine Reden darum nicht auszeich¬
nete, damit er läugnen könnte, wenn man ihn auf eine frühere, unbequeme
Aeußerung hinzuweisen versuchte! Für den Verfall des alten Patronats, als
Ehrenamtes, für das Uebergehen desselben in einen geschäftsmäßigen Be¬
trieb spricht besonders auch der Umstand, daß man sich die Bemühungen
bezahlen ließ. Im Jahre 204 v. Chr. suchte der Volkstribun Cinclus
Alimentus die alte Sitte noch aufrecht zu erhalten, indem er eine Bill
durchbrachte, nach welcher Niemand für gerichtliche Reden Geld oder Geschenke
annehmen durfte, und setzte überhaupt für alle Schenkungen eine bestimmte
Werthhöhe fest. Von Cicero behauptet Plutarch, daß er weder Lohn noch
Geschenke verlangt habe; ob er freilich zurückwies, was man ihm frei¬
willig ins Haus brachte, wird nicht ausdrücklich gesagt, und wenn er das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/33>, abgerufen am 29.04.2024.