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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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"daß in unserem Staate immer den ersten Rang in den städtischen, fried¬
lichen Verhältnissen die Beredsamkeit eingenommen hat. den zweiten die Kennt¬
nis; des Rechts? Während die Jurisprudenz oft Hülfe bei jener suchte, konnte
sie bei Angriffen derselben kaum ihr eignes Gebiet und ihre Grenzen verthei¬
digen/' Noch klarer zeigen dieses Verhältniß folgende Worte von ihm in der
Schrift über den Redner: "Du gestehst zu, daß ein Rechtsgelehrter auch ohne
die Beredsamkeit bestehen könne und behauptest dagegen, ein Redner könne
Niemand sein, wenn er nicht im Besitze jener Hülfswissenschaft sei. Also ist
hier der Rechtsgelehrte an und für sich nichts, als ein schlauer und scharfsinniger
Gesehkrämer, ein gerichtlicher Marktschreier, ein Formclnleierer, ein Silbenstecher;
aber weil der Redner oft der Hülfe des Rechts in seinen Verhandlungen be¬
dürftig ist, darum hast du die Rechtswissenschaft der Beredsamkeit wie eine
geringe Magd und Nachtreter" beigegeben." Die Einrichtung des römischen
Gerichtswesens gestattete der Beredsamkeit und der Sachwalterei einen viel
weiteren Spielraum als das griechische, da alle Stellvertretung bei der Anklage
und Vertheidigung erlaubt war. Wer einen Proceß hatte, wendete sich für die
mündlichen Anträge und Verhandlungen an einen berühmten oder ihm durch
Freundschaft nahestehenden Redner oder Patronus, nachdem er sich über ^das
Juristische von einem Rechtsgelehrten hatte unterrichten lassen. Die Anfänger im
Redneramte, denen es natürlich an Ruf und Clienten fehlen mußte, traten zuerst
als öffentliche Ankläger auf. Gründe und Gelegenheit zu solchen Anklagen fanden
sich ja genug bei dem sich mehrenden Unfuge der durch Bestechung erwirkten Amts-
erschleicherei und bei den Erpressungen und Räubereien der Provinzialbeamten.

Als Beispiele von jungen Leuten, die so ihre Laufbahn begannen, nennt
Cicero: Crassus, Antonius, Sulpicius, Fusius, sich selbst und einen jungen
'Brutus, der wegen seiner Maßlosigkeit im Eifer den Spottnamen "Ankläger"
bekam. Cato, der Censor, ein Freund der Optimalen, klagte wenigstens
fünfzigmal in seinem Leben an, bekam dafür aber ebensoviele Processe selbst
an den Hals. Quintilian und Plutarch äußern sich am offensten über die
Wohlthätigkeit dieser Sitte. Jener schreibt: "Man glaubt, daß junge Leute
von gutem Ruf in der Anklage schlechter Mitbürger dem Staate eine Sicher¬
heit stellten, weil man meinte, daß sie nur im Vertrauen auf ihre eigene gute
Gesinnung die Bösen hassen und sich Feindschaften zuziehen könnten." Plutarch
aber sagt über Lucullus: "Das Erste, was er that, war, daß er in seiner
Jugend und ehe er sich um ein öffentliches Amt bewarb, den Augur Servilius,
den Ankläger seines Vaters, wegen eines offenbaren Verbrechens vor Gericht
belangte. Die Römer hielten dies für eine sehr rühmliche That; denn sie sahen
es auch sonst für nicht unedel an, ohne Privatvorwand Andere zu verklagen,
und wünschten zu sehen, daß die jungen Leute den Uebelthätern, wie muthige
Hunde dem Wilde, stets zu Leibe gehen möchten."


„daß in unserem Staate immer den ersten Rang in den städtischen, fried¬
lichen Verhältnissen die Beredsamkeit eingenommen hat. den zweiten die Kennt¬
nis; des Rechts? Während die Jurisprudenz oft Hülfe bei jener suchte, konnte
sie bei Angriffen derselben kaum ihr eignes Gebiet und ihre Grenzen verthei¬
digen/' Noch klarer zeigen dieses Verhältniß folgende Worte von ihm in der
Schrift über den Redner: „Du gestehst zu, daß ein Rechtsgelehrter auch ohne
die Beredsamkeit bestehen könne und behauptest dagegen, ein Redner könne
Niemand sein, wenn er nicht im Besitze jener Hülfswissenschaft sei. Also ist
hier der Rechtsgelehrte an und für sich nichts, als ein schlauer und scharfsinniger
Gesehkrämer, ein gerichtlicher Marktschreier, ein Formclnleierer, ein Silbenstecher;
aber weil der Redner oft der Hülfe des Rechts in seinen Verhandlungen be¬
dürftig ist, darum hast du die Rechtswissenschaft der Beredsamkeit wie eine
geringe Magd und Nachtreter» beigegeben." Die Einrichtung des römischen
Gerichtswesens gestattete der Beredsamkeit und der Sachwalterei einen viel
weiteren Spielraum als das griechische, da alle Stellvertretung bei der Anklage
und Vertheidigung erlaubt war. Wer einen Proceß hatte, wendete sich für die
mündlichen Anträge und Verhandlungen an einen berühmten oder ihm durch
Freundschaft nahestehenden Redner oder Patronus, nachdem er sich über ^das
Juristische von einem Rechtsgelehrten hatte unterrichten lassen. Die Anfänger im
Redneramte, denen es natürlich an Ruf und Clienten fehlen mußte, traten zuerst
als öffentliche Ankläger auf. Gründe und Gelegenheit zu solchen Anklagen fanden
sich ja genug bei dem sich mehrenden Unfuge der durch Bestechung erwirkten Amts-
erschleicherei und bei den Erpressungen und Räubereien der Provinzialbeamten.

Als Beispiele von jungen Leuten, die so ihre Laufbahn begannen, nennt
Cicero: Crassus, Antonius, Sulpicius, Fusius, sich selbst und einen jungen
'Brutus, der wegen seiner Maßlosigkeit im Eifer den Spottnamen „Ankläger"
bekam. Cato, der Censor, ein Freund der Optimalen, klagte wenigstens
fünfzigmal in seinem Leben an, bekam dafür aber ebensoviele Processe selbst
an den Hals. Quintilian und Plutarch äußern sich am offensten über die
Wohlthätigkeit dieser Sitte. Jener schreibt: „Man glaubt, daß junge Leute
von gutem Ruf in der Anklage schlechter Mitbürger dem Staate eine Sicher¬
heit stellten, weil man meinte, daß sie nur im Vertrauen auf ihre eigene gute
Gesinnung die Bösen hassen und sich Feindschaften zuziehen könnten." Plutarch
aber sagt über Lucullus: „Das Erste, was er that, war, daß er in seiner
Jugend und ehe er sich um ein öffentliches Amt bewarb, den Augur Servilius,
den Ankläger seines Vaters, wegen eines offenbaren Verbrechens vor Gericht
belangte. Die Römer hielten dies für eine sehr rühmliche That; denn sie sahen
es auch sonst für nicht unedel an, ohne Privatvorwand Andere zu verklagen,
und wünschten zu sehen, daß die jungen Leute den Uebelthätern, wie muthige
Hunde dem Wilde, stets zu Leibe gehen möchten."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/32>, abgerufen am 29.04.2024.