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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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mangelte es überhaupt oft bei der glänzendsten Beredtsamkeit an der Gediegen-
heit des juristischen Materials und auch berühmte Redner gaben sich in dieser
Hinsicht mancherlei Blößen. "Auf dem Forum sich herumtreiben," sagt Cicero,
"vor Gericht zu liegen und die Stühle der Prätoren zu umlagern, Privat¬
streitigkeiten über wichtige Angelegenheiten zu übernehmen, wobei oft nicht um
eine Thatsache, sondern um Billigkeit und Recht gestritten wird, sich breit zu
machen bei den Verhandlungen der Centumvirn, wo die Rechte erörtert wer¬
den in Beziehung auf Verjährung, Vormundschaften, Verwandtschaften, An¬
schwemmungen, Umwässerungcn, Schuldner, Sklaven, Wände, Fenster, Dach¬
rinnen, Testamente und unzählige andere Gegenstände, wenn man selbst nicht
weiß, was Eigenthum und fremdes Gut, warum Jemand ein Fremder
oder ein Bürger, ein Sklave ödes ein Freier sei: das ist eine außerordentliche
Unverschämtheit." Dann führt er eine Menge von Fällen an, wo gute Redner
aus Rechtsunkenntniß irrten. Wir heben nur einen der eclatantesten heraus.

Während ein Gesetz der zwölf Tafeln verordnete, daß vormundschaft¬
liche Veruntreuung höchstens mit doppeltem Schadenersatze gebüßt und jede,
eine größere Strafe beanspruchende Klage zurückgewiesen werden sollte, ver¬
langte im Jahre 106 v. Chr. Hypsäus, als Anwalt eines klagenden Mün¬
dels mehr als den doppelten Schadenersatz, und der gewesene Consul Octavius.
als Vertheidiger des Vormunds, bat den Prätor, nur auf den erlaubten
Schadenersatz (anstatt auf Abweisung der Klage) zu erkennen! Kein Wunder,
daß der gelehrte Sccivola bald lächelnd, bald zürnend den beiden Ignoranten
zuhörte, obgleich ihn wichtige Geschäfte auf das Marsfeld riefen.

Auch in Rom kam es vor, daß man sich von Anderen Reden verfertigen ließ,
und nicht nur Cicero lieh dem Pompejus seine Feder und entwarf für Serranus
Domesticus eine Leichenrede, sondern auch Sextus Clodius übernahm die Abfassung
der Nogationcn für den berüchtigten P. Clodius. Die gerichtlichen Formen
waren den griechischen ähnlich. Die Parteien erschienen vor dem Tribunale des
Richters, begleitet von ihren Patronen und sonstigen Beiständen, die manch¬
mal nur zugegen waren, um durch ihre Anwesenheit ihre Autorität in die
Wagschale der einen Partei zu legen und die in der republikanischen Zeit aus¬
schließlich advooati genannt wurden. Sachwalter oder Sprecher konnte man
mehre haben. Aemilius Scaurus hatte sechs, und für Balbus sprach Cicero
nach Pompejus und Crassus an dritter Stelle. Mehr als vier scheinen jedoch
für gewöhnlich nicht gesprochen zu haben. Die Sitte der Athener, durch die
Klcpsvdra die Länge der Reden zu bestimmen, ahmten die Römer auch nach.
Sie war vom Scipio Nasica nach Rom gebracht worden, doch scheint es, als
ob erst durch Pompejus ihr Gebrauch bei den Gerichten gesetzlich geworden
sei. Die-Sprecher baten um eine gewisse Anzahl von Klepsydren, und im Be¬
lieben der Richter stand es, sie zu gewähren oder nicht. Zuweilen wurde auch


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mangelte es überhaupt oft bei der glänzendsten Beredtsamkeit an der Gediegen-
heit des juristischen Materials und auch berühmte Redner gaben sich in dieser
Hinsicht mancherlei Blößen. „Auf dem Forum sich herumtreiben," sagt Cicero,
„vor Gericht zu liegen und die Stühle der Prätoren zu umlagern, Privat¬
streitigkeiten über wichtige Angelegenheiten zu übernehmen, wobei oft nicht um
eine Thatsache, sondern um Billigkeit und Recht gestritten wird, sich breit zu
machen bei den Verhandlungen der Centumvirn, wo die Rechte erörtert wer¬
den in Beziehung auf Verjährung, Vormundschaften, Verwandtschaften, An¬
schwemmungen, Umwässerungcn, Schuldner, Sklaven, Wände, Fenster, Dach¬
rinnen, Testamente und unzählige andere Gegenstände, wenn man selbst nicht
weiß, was Eigenthum und fremdes Gut, warum Jemand ein Fremder
oder ein Bürger, ein Sklave ödes ein Freier sei: das ist eine außerordentliche
Unverschämtheit." Dann führt er eine Menge von Fällen an, wo gute Redner
aus Rechtsunkenntniß irrten. Wir heben nur einen der eclatantesten heraus.

Während ein Gesetz der zwölf Tafeln verordnete, daß vormundschaft¬
liche Veruntreuung höchstens mit doppeltem Schadenersatze gebüßt und jede,
eine größere Strafe beanspruchende Klage zurückgewiesen werden sollte, ver¬
langte im Jahre 106 v. Chr. Hypsäus, als Anwalt eines klagenden Mün¬
dels mehr als den doppelten Schadenersatz, und der gewesene Consul Octavius.
als Vertheidiger des Vormunds, bat den Prätor, nur auf den erlaubten
Schadenersatz (anstatt auf Abweisung der Klage) zu erkennen! Kein Wunder,
daß der gelehrte Sccivola bald lächelnd, bald zürnend den beiden Ignoranten
zuhörte, obgleich ihn wichtige Geschäfte auf das Marsfeld riefen.

Auch in Rom kam es vor, daß man sich von Anderen Reden verfertigen ließ,
und nicht nur Cicero lieh dem Pompejus seine Feder und entwarf für Serranus
Domesticus eine Leichenrede, sondern auch Sextus Clodius übernahm die Abfassung
der Nogationcn für den berüchtigten P. Clodius. Die gerichtlichen Formen
waren den griechischen ähnlich. Die Parteien erschienen vor dem Tribunale des
Richters, begleitet von ihren Patronen und sonstigen Beiständen, die manch¬
mal nur zugegen waren, um durch ihre Anwesenheit ihre Autorität in die
Wagschale der einen Partei zu legen und die in der republikanischen Zeit aus¬
schließlich advooati genannt wurden. Sachwalter oder Sprecher konnte man
mehre haben. Aemilius Scaurus hatte sechs, und für Balbus sprach Cicero
nach Pompejus und Crassus an dritter Stelle. Mehr als vier scheinen jedoch
für gewöhnlich nicht gesprochen zu haben. Die Sitte der Athener, durch die
Klcpsvdra die Länge der Reden zu bestimmen, ahmten die Römer auch nach.
Sie war vom Scipio Nasica nach Rom gebracht worden, doch scheint es, als
ob erst durch Pompejus ihr Gebrauch bei den Gerichten gesetzlich geworden
sei. Die-Sprecher baten um eine gewisse Anzahl von Klepsydren, und im Be¬
lieben der Richter stand es, sie zu gewähren oder nicht. Zuweilen wurde auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/35>, abgerufen am 29.04.2024.