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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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später noch etwas Wasser hinzugefügt, überhaupt zu verschiedenen Zeiten das Maß
vergrößert und verkleinert, wie z. B. Dio Kassius von Antoninus, dem Philo¬
sophen' und Alexander Severus erwähnt, daß sie als Richter den Rednern sehr
viel Wasser zugestanden hätten. Der jüngere Plinius gab deu Aoovcaten jedes
Mal so viel, als sie verlangten. Interessant ist es, aus einer Angabe desselben
das Zeitmaß mit dem Wasserverbrauch vergleichen zu können. Als Ankläger
des afrikanischen Proconsuls Marius Priscus sprach er im Senat beinahe
fünf Stunden lang; da er nun zwölf "sehr umfangreiche" Klepsydren erhalten
hatte, denen noch vier hinzugefügt wurden, so kommt auf eine wenig mehr als
eine Viertelstunde. Zu bemerken ist aber im Allgemeinen, daß die Plaidoycrs
der früheren Zeit viel länger dauerten als unter den Kaisern, und daß oft die
Vertheidiger bis zum Abend fvrtsprachen, so daß das Urtheil verschoben werden
mußte. Den Reden folgte die Beweisführung durch Zeugen, Urkunden und
Eidesleistungen, und dann ein kurzer Disput der Anwälte unter einander, um
noch einmal die Hauptpunkte geltend zu machen, wobei die Geistesgegenwart
und Gewandtheit sich im glänzendsten Lichte zeigen konnte, aber auch gewöhn¬
lich ein recht arges Zankgcschrei die Ohren des Richters umschwirrte.

Das monarchische Zeitalter veränderte Vieles in den Verhältnissen der
Juristen und Anwälte. Zuerst verstummte schon unter Augustus mit der Frei-
heit selbst die freie Rede, indem ihr alle Tummelplätze und Ucbungsfclder ge¬
nommen wurden. Die Civilprvcesse der Centumviralgerichtc bildeten fortan
beinahe die einzige Gelegenheit, sich als Redner zu zeigen, sich praktisch durch
Zuhören zu bilden. Aber die Kleinlichkeit des hier behandelten Stoffes wirkte
lähmend auf die Entfaltung der Talente, und so verkümmerte die Beredsam¬
keit, das eigenthümlichste und beste Erzeugnis; des freien römischen Geistes. In
den Nhctorenschulen wurde zwar die Kunst nach den besten Methoden gelehrt
und an erdichteten Rechtsfällen geübt, allein, indem sie die Sucht, glänzende
Uebungsreden vor geladenen Zuhörern zu halten, beförderten, um mit ihren
Resultaten prahlen zu können, wurden sie mehr zu Pflanzstätten der Eitelkeit,
als der oratorischen Bildung und Sicherheit, und schon Cicero hatte Recht,
wenn er sagte: "Darum rathe ich euch, verachtet und verlacht Alle, welche
durch die Regeln der heutigen sogenannten Rheioren das Ideal eines Redners
erreicht zu haben wähnen und noch nicht einmal begreifen konnten, welche Rolle
sie spielen oder welcher Kunst sie sich rühmen." Die meisten benahmen sich,
wenn sie aus dem Dunkel der Schule an das Licht der Oeffentlichkeit traten,
als täppische und ungeschickte Sachwalter, die, wie Plinius von seinen Zeit¬
genossen sagt, wenn sie sprechen sollten, lieber wünschten, schon gesprochen zu
haben, und so wenig als möglich Wasser vom Richter forderten, während doch
die Zuhörenden das Ende ihrer Reden nicht erwarten konnten. Der witzige Martial
hat mehre solche traurige Gesellen an den Pranger gestellt. Ueber den Advocaten


später noch etwas Wasser hinzugefügt, überhaupt zu verschiedenen Zeiten das Maß
vergrößert und verkleinert, wie z. B. Dio Kassius von Antoninus, dem Philo¬
sophen' und Alexander Severus erwähnt, daß sie als Richter den Rednern sehr
viel Wasser zugestanden hätten. Der jüngere Plinius gab deu Aoovcaten jedes
Mal so viel, als sie verlangten. Interessant ist es, aus einer Angabe desselben
das Zeitmaß mit dem Wasserverbrauch vergleichen zu können. Als Ankläger
des afrikanischen Proconsuls Marius Priscus sprach er im Senat beinahe
fünf Stunden lang; da er nun zwölf „sehr umfangreiche" Klepsydren erhalten
hatte, denen noch vier hinzugefügt wurden, so kommt auf eine wenig mehr als
eine Viertelstunde. Zu bemerken ist aber im Allgemeinen, daß die Plaidoycrs
der früheren Zeit viel länger dauerten als unter den Kaisern, und daß oft die
Vertheidiger bis zum Abend fvrtsprachen, so daß das Urtheil verschoben werden
mußte. Den Reden folgte die Beweisführung durch Zeugen, Urkunden und
Eidesleistungen, und dann ein kurzer Disput der Anwälte unter einander, um
noch einmal die Hauptpunkte geltend zu machen, wobei die Geistesgegenwart
und Gewandtheit sich im glänzendsten Lichte zeigen konnte, aber auch gewöhn¬
lich ein recht arges Zankgcschrei die Ohren des Richters umschwirrte.

Das monarchische Zeitalter veränderte Vieles in den Verhältnissen der
Juristen und Anwälte. Zuerst verstummte schon unter Augustus mit der Frei-
heit selbst die freie Rede, indem ihr alle Tummelplätze und Ucbungsfclder ge¬
nommen wurden. Die Civilprvcesse der Centumviralgerichtc bildeten fortan
beinahe die einzige Gelegenheit, sich als Redner zu zeigen, sich praktisch durch
Zuhören zu bilden. Aber die Kleinlichkeit des hier behandelten Stoffes wirkte
lähmend auf die Entfaltung der Talente, und so verkümmerte die Beredsam¬
keit, das eigenthümlichste und beste Erzeugnis; des freien römischen Geistes. In
den Nhctorenschulen wurde zwar die Kunst nach den besten Methoden gelehrt
und an erdichteten Rechtsfällen geübt, allein, indem sie die Sucht, glänzende
Uebungsreden vor geladenen Zuhörern zu halten, beförderten, um mit ihren
Resultaten prahlen zu können, wurden sie mehr zu Pflanzstätten der Eitelkeit,
als der oratorischen Bildung und Sicherheit, und schon Cicero hatte Recht,
wenn er sagte: „Darum rathe ich euch, verachtet und verlacht Alle, welche
durch die Regeln der heutigen sogenannten Rheioren das Ideal eines Redners
erreicht zu haben wähnen und noch nicht einmal begreifen konnten, welche Rolle
sie spielen oder welcher Kunst sie sich rühmen." Die meisten benahmen sich,
wenn sie aus dem Dunkel der Schule an das Licht der Oeffentlichkeit traten,
als täppische und ungeschickte Sachwalter, die, wie Plinius von seinen Zeit¬
genossen sagt, wenn sie sprechen sollten, lieber wünschten, schon gesprochen zu
haben, und so wenig als möglich Wasser vom Richter forderten, während doch
die Zuhörenden das Ende ihrer Reden nicht erwarten konnten. Der witzige Martial
hat mehre solche traurige Gesellen an den Pranger gestellt. Ueber den Advocaten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/36>, abgerufen am 28.04.2024.