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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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des Aufstandes, und die russische Regierung mußte allerdings sehr mißtrauisch
gegen eine Verwaltung werden, welche -- wenn auch wider ihren Willen --
dergleichen Unterstützung des Aufstandes möglich gemacht hatte.'

So wird in diesem Augenblick in Polen die aristokratische Partei durch
die demokratische und diese durch jene in das Verderben gezogen. Auf beiden
Seiten kämpfen Intriguen und Waffen, für welche wir eine warme Theilnahme
nicht zu empfinden vermögen.

Freilich ebensowenig gegen das hunnische Verfahren der Russen.

Mit dieser Sachlage in Polen contrastiren auffallend die Zustände in
Galizien und Posen. ' Galizien ist jetzt, ohne Zweifel, die loyalste Pro¬
vinz des Kaiserstaates. Durch die scheußlichen Metzeleien des Jahres 1845,
welche die östreichische Negierung damals mit macchiavellistischer Politik nicht
nur zuließ, sondern sogar in den Hauptmördern belohnte, ist die Kraft des
Adels gebrochen, der Bauer dadurch und durch die folgende radicale Auf¬
hebung seiner servitutem in einen vertrauten Anhänger der Regierung ver¬
wandelt, die katholische Geistlichkeit steht dort nicht einer ketzerischen Landes¬
regierung gegenüber, auch die entfernteren Gefahren, welche die ruthcnische Be¬
völkerung durch ihre Hinneigung zu Nußland bereitete, sind bei der gegenwärtigen
Lage des Nachbarreichcs in weite Ferne gerückt. Der Gutsbesitzer ist jetzt froh,
allmälig wieder freie Feldarbeiter für seine Flur zu finden, einige gute Ernten
haben ein Gefühl von Behagen in die Landschaft gebracht, Handel und Ver¬
kehr beginnen sich dort, wenn auch langsam, zu heben. In Lemberg trauern
alle Damen von polnischer Familie, auch Deutsche, welche sich des Vorzugs er¬
freuen, dazu gerechnet zu werden, mit hochherziger Ausdauer in Schwarz,
Gymnasiasten und Studenten tragen leidenschaftlich an Busennadeln und Hemden¬
knöpfen die polnischen Farben, verpönte polnische Lieder werden, so oft die
Begeisterung gemüthlich hervorbrechen will, gesungen, und die elegante Jugend
übt nach diesen 'Richtungen in der Gesellschaft strenge Polizei. Aber über
Traucrbälle und Trauerdiners kommt dort der Patriotismus nicht hinaus, die
Deputaten des Landes stimmen wie ein Mann für die Negierung. das große
Terrain ist für die Polen todt und verloren. Und diese Sicherheit erklärt das
Verhalten der östreichischen Regierung, deren höchster Gesichtspunkt gegenwär.
lig ist, gute Wirkungen auf Europa hervorzubringen und vortheilhaft von den
selbstmörderischen Versuchen der preußischen Negierung abzustechen.

Die Provinz Posen ist nicht mehr ein Land der Polen oder Nothreußen
Wie Galizien. sie ist ein deutsches Colonistcnland, in welchem der Kampf zweier
grundverschiedener Bildungen und Racen allerdings noch nicht ausgekämpft ist,
die Ueberlegenheit des deutschen Elements aber mit jedem Jahre sichtbarer
hervortritt. Auch in den Kreisen mit vorwiegend polnischer Bevölkerung haben
die Fortschritte, welche die Colonisation seit dem Jahre 1848 gemacht hat, den


des Aufstandes, und die russische Regierung mußte allerdings sehr mißtrauisch
gegen eine Verwaltung werden, welche — wenn auch wider ihren Willen —
dergleichen Unterstützung des Aufstandes möglich gemacht hatte.'

So wird in diesem Augenblick in Polen die aristokratische Partei durch
die demokratische und diese durch jene in das Verderben gezogen. Auf beiden
Seiten kämpfen Intriguen und Waffen, für welche wir eine warme Theilnahme
nicht zu empfinden vermögen.

Freilich ebensowenig gegen das hunnische Verfahren der Russen.

Mit dieser Sachlage in Polen contrastiren auffallend die Zustände in
Galizien und Posen. ' Galizien ist jetzt, ohne Zweifel, die loyalste Pro¬
vinz des Kaiserstaates. Durch die scheußlichen Metzeleien des Jahres 1845,
welche die östreichische Negierung damals mit macchiavellistischer Politik nicht
nur zuließ, sondern sogar in den Hauptmördern belohnte, ist die Kraft des
Adels gebrochen, der Bauer dadurch und durch die folgende radicale Auf¬
hebung seiner servitutem in einen vertrauten Anhänger der Regierung ver¬
wandelt, die katholische Geistlichkeit steht dort nicht einer ketzerischen Landes¬
regierung gegenüber, auch die entfernteren Gefahren, welche die ruthcnische Be¬
völkerung durch ihre Hinneigung zu Nußland bereitete, sind bei der gegenwärtigen
Lage des Nachbarreichcs in weite Ferne gerückt. Der Gutsbesitzer ist jetzt froh,
allmälig wieder freie Feldarbeiter für seine Flur zu finden, einige gute Ernten
haben ein Gefühl von Behagen in die Landschaft gebracht, Handel und Ver¬
kehr beginnen sich dort, wenn auch langsam, zu heben. In Lemberg trauern
alle Damen von polnischer Familie, auch Deutsche, welche sich des Vorzugs er¬
freuen, dazu gerechnet zu werden, mit hochherziger Ausdauer in Schwarz,
Gymnasiasten und Studenten tragen leidenschaftlich an Busennadeln und Hemden¬
knöpfen die polnischen Farben, verpönte polnische Lieder werden, so oft die
Begeisterung gemüthlich hervorbrechen will, gesungen, und die elegante Jugend
übt nach diesen 'Richtungen in der Gesellschaft strenge Polizei. Aber über
Traucrbälle und Trauerdiners kommt dort der Patriotismus nicht hinaus, die
Deputaten des Landes stimmen wie ein Mann für die Negierung. das große
Terrain ist für die Polen todt und verloren. Und diese Sicherheit erklärt das
Verhalten der östreichischen Regierung, deren höchster Gesichtspunkt gegenwär.
lig ist, gute Wirkungen auf Europa hervorzubringen und vortheilhaft von den
selbstmörderischen Versuchen der preußischen Negierung abzustechen.

Die Provinz Posen ist nicht mehr ein Land der Polen oder Nothreußen
Wie Galizien. sie ist ein deutsches Colonistcnland, in welchem der Kampf zweier
grundverschiedener Bildungen und Racen allerdings noch nicht ausgekämpft ist,
die Ueberlegenheit des deutschen Elements aber mit jedem Jahre sichtbarer
hervortritt. Auch in den Kreisen mit vorwiegend polnischer Bevölkerung haben
die Fortschritte, welche die Colonisation seit dem Jahre 1848 gemacht hat, den


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[0359] des Aufstandes, und die russische Regierung mußte allerdings sehr mißtrauisch gegen eine Verwaltung werden, welche — wenn auch wider ihren Willen — dergleichen Unterstützung des Aufstandes möglich gemacht hatte.' So wird in diesem Augenblick in Polen die aristokratische Partei durch die demokratische und diese durch jene in das Verderben gezogen. Auf beiden Seiten kämpfen Intriguen und Waffen, für welche wir eine warme Theilnahme nicht zu empfinden vermögen. Freilich ebensowenig gegen das hunnische Verfahren der Russen. Mit dieser Sachlage in Polen contrastiren auffallend die Zustände in Galizien und Posen. ' Galizien ist jetzt, ohne Zweifel, die loyalste Pro¬ vinz des Kaiserstaates. Durch die scheußlichen Metzeleien des Jahres 1845, welche die östreichische Negierung damals mit macchiavellistischer Politik nicht nur zuließ, sondern sogar in den Hauptmördern belohnte, ist die Kraft des Adels gebrochen, der Bauer dadurch und durch die folgende radicale Auf¬ hebung seiner servitutem in einen vertrauten Anhänger der Regierung ver¬ wandelt, die katholische Geistlichkeit steht dort nicht einer ketzerischen Landes¬ regierung gegenüber, auch die entfernteren Gefahren, welche die ruthcnische Be¬ völkerung durch ihre Hinneigung zu Nußland bereitete, sind bei der gegenwärtigen Lage des Nachbarreichcs in weite Ferne gerückt. Der Gutsbesitzer ist jetzt froh, allmälig wieder freie Feldarbeiter für seine Flur zu finden, einige gute Ernten haben ein Gefühl von Behagen in die Landschaft gebracht, Handel und Ver¬ kehr beginnen sich dort, wenn auch langsam, zu heben. In Lemberg trauern alle Damen von polnischer Familie, auch Deutsche, welche sich des Vorzugs er¬ freuen, dazu gerechnet zu werden, mit hochherziger Ausdauer in Schwarz, Gymnasiasten und Studenten tragen leidenschaftlich an Busennadeln und Hemden¬ knöpfen die polnischen Farben, verpönte polnische Lieder werden, so oft die Begeisterung gemüthlich hervorbrechen will, gesungen, und die elegante Jugend übt nach diesen 'Richtungen in der Gesellschaft strenge Polizei. Aber über Traucrbälle und Trauerdiners kommt dort der Patriotismus nicht hinaus, die Deputaten des Landes stimmen wie ein Mann für die Negierung. das große Terrain ist für die Polen todt und verloren. Und diese Sicherheit erklärt das Verhalten der östreichischen Regierung, deren höchster Gesichtspunkt gegenwär. lig ist, gute Wirkungen auf Europa hervorzubringen und vortheilhaft von den selbstmörderischen Versuchen der preußischen Negierung abzustechen. Die Provinz Posen ist nicht mehr ein Land der Polen oder Nothreußen Wie Galizien. sie ist ein deutsches Colonistcnland, in welchem der Kampf zweier grundverschiedener Bildungen und Racen allerdings noch nicht ausgekämpft ist, die Ueberlegenheit des deutschen Elements aber mit jedem Jahre sichtbarer hervortritt. Auch in den Kreisen mit vorwiegend polnischer Bevölkerung haben die Fortschritte, welche die Colonisation seit dem Jahre 1848 gemacht hat, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/359>, abgerufen am 29.05.2024.