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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Polen nahe gelegt, daß eine Erhebung keine andere Folge haben könnte, als ihrer
Nationalität den letzten Stoß zu geben. Dazu kommen eigenthümliche Verhält¬
nisse. Wenn die gegenwärtige preußische Regierung etwas besser über die
Stimmungen und Zustünde ihres eigenen Staates unterrichtet wäre. würde sie
wissen, erstens, daß Posen seit Jahren von den Polen als ein letztes Asyl be¬
trachtet worden ist. wo sie gern einen Theil ihres Vermögens anlegen, wohin
sie für den Fall einer Krisis Familien und Capital bei Verwandten und
Freunden zu sichern haben. Die geordneten Zustände der Justiz, die bis jetzt
angenommene Sicherheit der Person und des Eigenthums, so wie die Unmög¬
lichkeit dort einen Krieg zu etabliren, legten diese Verwerthung nahe. Ferner
aber neigt der polnische Adel Posens zum großen Theil der aristokratischen
Partei Polens zu, und Gnesen darf als eine Hauptfestung dieser Fraction be¬
trachtet werden, deren stilles Princip ist, dem gegenwärtigen Aufstand keinen
Vorschub zu leisten, so lange das ohne große Gefahr vermieden werden kann.
Bereits sind die katholischen Geistlichen, die Hauptagitatoren, in diesem Sinne
von ihrem Erzbischof unterwiesen worden. Es ist deshalb auch für Posen bei
der gegenwärtigen Jnsurrection nicht nur keine Gefahr, sogar keine ernste Un¬
ruhe zu befürchten.

Der Aufstand in Polen selbst scheint nach den Nachrichten dieser Tage im
Erlöschen, freilich ist bei dem dünn bevölkerten Land und einer culturarmcn
Bevölkerung darauf nicht mit Sicherheit zu bauen. Das Feuer mag einmal
gedämpft, plötzlich an anderer Stelle wieder hell aufschlagen, Monate mögen
vergehn, bevor die Ruhe wieder hergestellt ist. Den Russen wird es schwer,
mit einem Heere, welches seit sieben Jahren nicht rekrutirt und gegenwärtig in
Rußland selbst überall nothwendig ist, der Bewegung Herr zu werden. Aber
das Schicksal des Aufstandes ist doch nach menschlicher Berechnung besiegelt,
wenn nicht die Schandthaten des russischen Heeres in dem verzweifelnden Volk
neue Kräfte zum Kampfe rufen. Denn die Mehrzahl der größeren adligen Edel¬
leute würde nur durch übermächtige Entwickelung der Kampfstimmung gezwungen
an einer Jnsurrection Theil nehmen, welche sie in der Stille als das größte
Unglück Polens verdammt.

Dem Deutschen ist nicht zweifelhaft, wie er den Kampf in Polen anzu-
sehn hat. Der Pole, welcher deutsch versteht und der deutschen Sprache einen
guten Theil von dem verdankt, was er als seine Bildung und seinen Wohl¬
stand betrachtet, heuchelt ein Nichtverstehn unserer Sprache; seit länger als einem
Jahre ist, wer in Warschau deutsch spricht, auch der friedlichste Bürger, der Fremde,
welcher auf den Schutz des Gastrechts Anspruch hat, keine Stunde sicher, von
einem übermüthigen Haufen beschimpft und thätlich gemißhandelt zu werden.
Viel tiefer als der Haß gegen die Russen nistet in dem exaltirten Polen der
Haß gegen das deutsche Wesen. Und nicht ohne einigen Grund, wie thöricht


Polen nahe gelegt, daß eine Erhebung keine andere Folge haben könnte, als ihrer
Nationalität den letzten Stoß zu geben. Dazu kommen eigenthümliche Verhält¬
nisse. Wenn die gegenwärtige preußische Regierung etwas besser über die
Stimmungen und Zustünde ihres eigenen Staates unterrichtet wäre. würde sie
wissen, erstens, daß Posen seit Jahren von den Polen als ein letztes Asyl be¬
trachtet worden ist. wo sie gern einen Theil ihres Vermögens anlegen, wohin
sie für den Fall einer Krisis Familien und Capital bei Verwandten und
Freunden zu sichern haben. Die geordneten Zustände der Justiz, die bis jetzt
angenommene Sicherheit der Person und des Eigenthums, so wie die Unmög¬
lichkeit dort einen Krieg zu etabliren, legten diese Verwerthung nahe. Ferner
aber neigt der polnische Adel Posens zum großen Theil der aristokratischen
Partei Polens zu, und Gnesen darf als eine Hauptfestung dieser Fraction be¬
trachtet werden, deren stilles Princip ist, dem gegenwärtigen Aufstand keinen
Vorschub zu leisten, so lange das ohne große Gefahr vermieden werden kann.
Bereits sind die katholischen Geistlichen, die Hauptagitatoren, in diesem Sinne
von ihrem Erzbischof unterwiesen worden. Es ist deshalb auch für Posen bei
der gegenwärtigen Jnsurrection nicht nur keine Gefahr, sogar keine ernste Un¬
ruhe zu befürchten.

Der Aufstand in Polen selbst scheint nach den Nachrichten dieser Tage im
Erlöschen, freilich ist bei dem dünn bevölkerten Land und einer culturarmcn
Bevölkerung darauf nicht mit Sicherheit zu bauen. Das Feuer mag einmal
gedämpft, plötzlich an anderer Stelle wieder hell aufschlagen, Monate mögen
vergehn, bevor die Ruhe wieder hergestellt ist. Den Russen wird es schwer,
mit einem Heere, welches seit sieben Jahren nicht rekrutirt und gegenwärtig in
Rußland selbst überall nothwendig ist, der Bewegung Herr zu werden. Aber
das Schicksal des Aufstandes ist doch nach menschlicher Berechnung besiegelt,
wenn nicht die Schandthaten des russischen Heeres in dem verzweifelnden Volk
neue Kräfte zum Kampfe rufen. Denn die Mehrzahl der größeren adligen Edel¬
leute würde nur durch übermächtige Entwickelung der Kampfstimmung gezwungen
an einer Jnsurrection Theil nehmen, welche sie in der Stille als das größte
Unglück Polens verdammt.

Dem Deutschen ist nicht zweifelhaft, wie er den Kampf in Polen anzu-
sehn hat. Der Pole, welcher deutsch versteht und der deutschen Sprache einen
guten Theil von dem verdankt, was er als seine Bildung und seinen Wohl¬
stand betrachtet, heuchelt ein Nichtverstehn unserer Sprache; seit länger als einem
Jahre ist, wer in Warschau deutsch spricht, auch der friedlichste Bürger, der Fremde,
welcher auf den Schutz des Gastrechts Anspruch hat, keine Stunde sicher, von
einem übermüthigen Haufen beschimpft und thätlich gemißhandelt zu werden.
Viel tiefer als der Haß gegen die Russen nistet in dem exaltirten Polen der
Haß gegen das deutsche Wesen. Und nicht ohne einigen Grund, wie thöricht


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[0360] Polen nahe gelegt, daß eine Erhebung keine andere Folge haben könnte, als ihrer Nationalität den letzten Stoß zu geben. Dazu kommen eigenthümliche Verhält¬ nisse. Wenn die gegenwärtige preußische Regierung etwas besser über die Stimmungen und Zustünde ihres eigenen Staates unterrichtet wäre. würde sie wissen, erstens, daß Posen seit Jahren von den Polen als ein letztes Asyl be¬ trachtet worden ist. wo sie gern einen Theil ihres Vermögens anlegen, wohin sie für den Fall einer Krisis Familien und Capital bei Verwandten und Freunden zu sichern haben. Die geordneten Zustände der Justiz, die bis jetzt angenommene Sicherheit der Person und des Eigenthums, so wie die Unmög¬ lichkeit dort einen Krieg zu etabliren, legten diese Verwerthung nahe. Ferner aber neigt der polnische Adel Posens zum großen Theil der aristokratischen Partei Polens zu, und Gnesen darf als eine Hauptfestung dieser Fraction be¬ trachtet werden, deren stilles Princip ist, dem gegenwärtigen Aufstand keinen Vorschub zu leisten, so lange das ohne große Gefahr vermieden werden kann. Bereits sind die katholischen Geistlichen, die Hauptagitatoren, in diesem Sinne von ihrem Erzbischof unterwiesen worden. Es ist deshalb auch für Posen bei der gegenwärtigen Jnsurrection nicht nur keine Gefahr, sogar keine ernste Un¬ ruhe zu befürchten. Der Aufstand in Polen selbst scheint nach den Nachrichten dieser Tage im Erlöschen, freilich ist bei dem dünn bevölkerten Land und einer culturarmcn Bevölkerung darauf nicht mit Sicherheit zu bauen. Das Feuer mag einmal gedämpft, plötzlich an anderer Stelle wieder hell aufschlagen, Monate mögen vergehn, bevor die Ruhe wieder hergestellt ist. Den Russen wird es schwer, mit einem Heere, welches seit sieben Jahren nicht rekrutirt und gegenwärtig in Rußland selbst überall nothwendig ist, der Bewegung Herr zu werden. Aber das Schicksal des Aufstandes ist doch nach menschlicher Berechnung besiegelt, wenn nicht die Schandthaten des russischen Heeres in dem verzweifelnden Volk neue Kräfte zum Kampfe rufen. Denn die Mehrzahl der größeren adligen Edel¬ leute würde nur durch übermächtige Entwickelung der Kampfstimmung gezwungen an einer Jnsurrection Theil nehmen, welche sie in der Stille als das größte Unglück Polens verdammt. Dem Deutschen ist nicht zweifelhaft, wie er den Kampf in Polen anzu- sehn hat. Der Pole, welcher deutsch versteht und der deutschen Sprache einen guten Theil von dem verdankt, was er als seine Bildung und seinen Wohl¬ stand betrachtet, heuchelt ein Nichtverstehn unserer Sprache; seit länger als einem Jahre ist, wer in Warschau deutsch spricht, auch der friedlichste Bürger, der Fremde, welcher auf den Schutz des Gastrechts Anspruch hat, keine Stunde sicher, von einem übermüthigen Haufen beschimpft und thätlich gemißhandelt zu werden. Viel tiefer als der Haß gegen die Russen nistet in dem exaltirten Polen der Haß gegen das deutsche Wesen. Und nicht ohne einigen Grund, wie thöricht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/360>, abgerufen am 28.05.2024.