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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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liebe Bedeutung gewinnen. Und die Erwägung, ob wir einen solchen Staat
im preußischen und deutschen Interesse zu wünschen haben oder nicht, ist geeignet,
ernste Männer zu beschäftigen.

Die Convention, welche die preußische Regierung mit Nußland abgeschlossen
hat, zeigt freilich, daß das gegenwärtige Ministerium weder diese noch andere
weit näher liegende Erwägungen anzustellen geneigt war. Was von dieser
"Militärconvention" bis jetzt auf officiellen Wege bekannt wurde, gibt die
schmerzliche Ueberzeugung, daß die bestehende Regierung Preußens einen Fun¬
damentalsatz des Staatsrechts, die erste Pflicht und das erste Ehrenrecht der
Landesregierung unbeachtet gelassen hat. Jede Regierung hat vor andern
Aufgaben die, nach Kräften zu verhindern, daß in ihrem Lande bewaffnete
Fremde Gewaltthat üben. Lange bevor die Anfänge von dem, was jetzt
Völkerrecht heißt, niedergeschrieben waren, galt die Grenze für eine heilige
Schranke, deren Überschreitung durch. Bewaffnete mit jedem Machtmittel
abgewehrt werde müsse. Vermochte eine Regierung nicht das Eindringen
fremder Bewaffneter zu verhindern oder zu strafen, so galt das von je für
ein Zeichen ihrer Ohnmacht. Daß aber eine Negierung das eigene Land,
den Grund, auf dem die Bürger wohnen, ihre Häuser, ihre Leiber, ihr Ver¬
mögen in irgend einer, wenn auch noch so beschränkten Ausdehnung, einer
fremden Macht aus Discretion preisgibt, damit diese ihre Staatszwecke auf
fremdem Boden durchsetzen könne, das ist ein Beginnen, welches nicht zahl¬
reiche Vorgänge in der Geschichte hat, welches jedesmal der gefälligen Neue¬
rung als Abhängigkeit und Würdelosigkeit gedeutet wurde, und welches dreizehn
Jahre nach dem Tag von Ollmüh jedem Preußen, dem die Ehre seines Staats
am Herzen liegt, heiße Nöthe in das Antlitz treibt. Und welcher Art sind
die Fremden, denen man die Erenzkreise auf einer Strecke von 175 Meilen
geöffnet hat? Verzweifelte Polen, trunkene, rachelustige Russen. Die Negie¬
rung hat ihr eigenes Land in die Möglichkeit gesetzt, daß Gemetzel unter den
Fremden die Saaten preußischer Bürger vernichtet , daß Menschenblut die Wände
und Thüren unserer Häuser beschmutzt, daß Mord und rasendes Getümmel die
Straßen der Grenzorte füllt. Sie, welche verständig Strafen ertheilen läßt,
wenn Jemand in der Nähe der Dorfdcichcr nur einmal sein Gewehr losschießt,
sie setzt Städte und Dörfer längs der ganzen Polargrenze in die Gefahr, daß
bewaffnete Fremdlinge im Getümmel ihre Gewehre in die Dächer, durch die
Fenster preußischer Bürger abfeuern, daß Gewaltthat, Feuersbrunst, Raub und
Mord auch an preußischen Bürgern innerhalb der Heimatsgrenze mitten im
Frieden verübt werde. Es ist eine elende Beschönigung durch die Regicrungs-
prcsse, daß dergleichen nicht wahrscheinlich sei, es kann in jeder Nacht, an jedem
Punkt der Grenze ein solcher Einbruch geschehen. Die völkerrechtliche Bestim¬
mung, daß jeder bewaffnete Hause bei Überschreitung der Grenze seine Waffen


liebe Bedeutung gewinnen. Und die Erwägung, ob wir einen solchen Staat
im preußischen und deutschen Interesse zu wünschen haben oder nicht, ist geeignet,
ernste Männer zu beschäftigen.

Die Convention, welche die preußische Regierung mit Nußland abgeschlossen
hat, zeigt freilich, daß das gegenwärtige Ministerium weder diese noch andere
weit näher liegende Erwägungen anzustellen geneigt war. Was von dieser
„Militärconvention" bis jetzt auf officiellen Wege bekannt wurde, gibt die
schmerzliche Ueberzeugung, daß die bestehende Regierung Preußens einen Fun¬
damentalsatz des Staatsrechts, die erste Pflicht und das erste Ehrenrecht der
Landesregierung unbeachtet gelassen hat. Jede Regierung hat vor andern
Aufgaben die, nach Kräften zu verhindern, daß in ihrem Lande bewaffnete
Fremde Gewaltthat üben. Lange bevor die Anfänge von dem, was jetzt
Völkerrecht heißt, niedergeschrieben waren, galt die Grenze für eine heilige
Schranke, deren Überschreitung durch. Bewaffnete mit jedem Machtmittel
abgewehrt werde müsse. Vermochte eine Regierung nicht das Eindringen
fremder Bewaffneter zu verhindern oder zu strafen, so galt das von je für
ein Zeichen ihrer Ohnmacht. Daß aber eine Negierung das eigene Land,
den Grund, auf dem die Bürger wohnen, ihre Häuser, ihre Leiber, ihr Ver¬
mögen in irgend einer, wenn auch noch so beschränkten Ausdehnung, einer
fremden Macht aus Discretion preisgibt, damit diese ihre Staatszwecke auf
fremdem Boden durchsetzen könne, das ist ein Beginnen, welches nicht zahl¬
reiche Vorgänge in der Geschichte hat, welches jedesmal der gefälligen Neue¬
rung als Abhängigkeit und Würdelosigkeit gedeutet wurde, und welches dreizehn
Jahre nach dem Tag von Ollmüh jedem Preußen, dem die Ehre seines Staats
am Herzen liegt, heiße Nöthe in das Antlitz treibt. Und welcher Art sind
die Fremden, denen man die Erenzkreise auf einer Strecke von 175 Meilen
geöffnet hat? Verzweifelte Polen, trunkene, rachelustige Russen. Die Negie¬
rung hat ihr eigenes Land in die Möglichkeit gesetzt, daß Gemetzel unter den
Fremden die Saaten preußischer Bürger vernichtet , daß Menschenblut die Wände
und Thüren unserer Häuser beschmutzt, daß Mord und rasendes Getümmel die
Straßen der Grenzorte füllt. Sie, welche verständig Strafen ertheilen läßt,
wenn Jemand in der Nähe der Dorfdcichcr nur einmal sein Gewehr losschießt,
sie setzt Städte und Dörfer längs der ganzen Polargrenze in die Gefahr, daß
bewaffnete Fremdlinge im Getümmel ihre Gewehre in die Dächer, durch die
Fenster preußischer Bürger abfeuern, daß Gewaltthat, Feuersbrunst, Raub und
Mord auch an preußischen Bürgern innerhalb der Heimatsgrenze mitten im
Frieden verübt werde. Es ist eine elende Beschönigung durch die Regicrungs-
prcsse, daß dergleichen nicht wahrscheinlich sei, es kann in jeder Nacht, an jedem
Punkt der Grenze ein solcher Einbruch geschehen. Die völkerrechtliche Bestim¬
mung, daß jeder bewaffnete Hause bei Überschreitung der Grenze seine Waffen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/362>, abgerufen am 28.05.2024.