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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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niederzulegen habe, soll nicht mir die Hochachtung vor dem dritten, nicht
c"n Streite betheiligten Staat ausdrücken, sie ist auch eine nothwendige Maßregel
zum Schutz der Bürger dieses Staats. Wenn Todesnot!) und Rachsucht, alle
die finstern.Leidenschaften des Krieges ungehindert und ungestraft in das Land
brechen dürfen, werden dann die verfolgten Kämpfer in ihrer eigenen legten
Gefahr sich an dem Grenzpfahl zur Erde beugen und ihre Aufregung und
Wuth in Resignation abdämpfen? Und wenn es möglich wäre, daß die bevor-
zugten Russen zu so zweitheiligen Verhalten gezwungen werden könnten, jenseit
der Grenze wie Banditen zu plündern und zu morden, diesseits mit bescheidener
Enthaltsamkeit die Ankunft preußischer Truppen zu erwarten, kann man dasselbe
von den verzweifelten Polen hoffen, von ihnen, die jetzt durch Preußen so gut
>vie durch Russen gehetzt, zerstreut, gefangen und erschossen werden sollen?

Denn ein zweiter Fundamentalsatz der politischen Selbständigkeit war
bis jetzt, daß jeder Fremde, der nicht gegen die Gesetze des Staates
verstößt, das Gastrecht des fremden Landes genieße, Freiheit der Person.
Sicherheit seiner Habe, gleiches Recht mit den Bürgern des Landes. Nur
für gewisse Classen von Criminalverbrechen, welche in der ganzen civilisir-
ten Gesellschaft ebenmäßig verurtheilt werden, haben unsere Culturstaaten
vorsichtige Ausnahmen von dieser Regel zugelassen. Solche Auslieferung
Einzelner, welche gewisse schwere Verbrechen begangen haben, geschieht
nur unter bestimmten Vorsichtsmaßregeln. Eifersüchtig aus ihre Hoheits-
rechte wachen auch kleine Staaten mit Tapferkeit darüber, daß dieses Aus'
lieferungsrecht nicht von einer heischenden Regierung für politische Par-
teizwecke gemißbraucht werde. Männer, welche an der Grenze die Waffen
niederlegen und unbewaffnet preußisches Gebiet betreten, haben gegen unsere
Gesetze in keiner Weise gefrevelt. Sie haben Anspruch darauf, unter dem
Schutz dieser Gesetze zu stehen und darnach behandelt zu werden. Die Würde
des Staates verlangt, daß er ihnen unparteiisch den ganzen Schutz seiner Ge¬
setze gewähre. Jetzt aber sollen preußische Truppen dazu gebraucht werden, um
die gehässigsten Dienste russischer Gensdarmen zu verrichten, die Uebergetretenen
an ihre unmenschlichen Verfolger auszuliefern. Ja noch mehr, die Zeitungen
melden übereinstimmend, daß sogar durchreisende Polen, welche aus andern
Ländern kamen, im Frieden und ohne Waffen, nur wegen der Absicht nach
Polen zu reisen, von preußischen Militärbehörden als Verbrecher an die Russen
ausgeliefert worden sind. Eine solche demüthigende und gegen alle Humanität
streitende Willfährigkeit ist nicht mehr Freundschaft gegen den benachbarten
Staat, es ist ein Aufgeben des nationalen Stolzes. Und dieses Uebersehen
der Staatsehre und Staatswürde wird dadurch nicht geringer, daß der un¬
geheure Apparat dreier Armeecorps deshalb in Bewegung gesetzt worden
>se. Niemals dürfen auch früher mit Nußland aus weit andern Ruck-


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niederzulegen habe, soll nicht mir die Hochachtung vor dem dritten, nicht
c»n Streite betheiligten Staat ausdrücken, sie ist auch eine nothwendige Maßregel
zum Schutz der Bürger dieses Staats. Wenn Todesnot!) und Rachsucht, alle
die finstern.Leidenschaften des Krieges ungehindert und ungestraft in das Land
brechen dürfen, werden dann die verfolgten Kämpfer in ihrer eigenen legten
Gefahr sich an dem Grenzpfahl zur Erde beugen und ihre Aufregung und
Wuth in Resignation abdämpfen? Und wenn es möglich wäre, daß die bevor-
zugten Russen zu so zweitheiligen Verhalten gezwungen werden könnten, jenseit
der Grenze wie Banditen zu plündern und zu morden, diesseits mit bescheidener
Enthaltsamkeit die Ankunft preußischer Truppen zu erwarten, kann man dasselbe
von den verzweifelten Polen hoffen, von ihnen, die jetzt durch Preußen so gut
>vie durch Russen gehetzt, zerstreut, gefangen und erschossen werden sollen?

Denn ein zweiter Fundamentalsatz der politischen Selbständigkeit war
bis jetzt, daß jeder Fremde, der nicht gegen die Gesetze des Staates
verstößt, das Gastrecht des fremden Landes genieße, Freiheit der Person.
Sicherheit seiner Habe, gleiches Recht mit den Bürgern des Landes. Nur
für gewisse Classen von Criminalverbrechen, welche in der ganzen civilisir-
ten Gesellschaft ebenmäßig verurtheilt werden, haben unsere Culturstaaten
vorsichtige Ausnahmen von dieser Regel zugelassen. Solche Auslieferung
Einzelner, welche gewisse schwere Verbrechen begangen haben, geschieht
nur unter bestimmten Vorsichtsmaßregeln. Eifersüchtig aus ihre Hoheits-
rechte wachen auch kleine Staaten mit Tapferkeit darüber, daß dieses Aus'
lieferungsrecht nicht von einer heischenden Regierung für politische Par-
teizwecke gemißbraucht werde. Männer, welche an der Grenze die Waffen
niederlegen und unbewaffnet preußisches Gebiet betreten, haben gegen unsere
Gesetze in keiner Weise gefrevelt. Sie haben Anspruch darauf, unter dem
Schutz dieser Gesetze zu stehen und darnach behandelt zu werden. Die Würde
des Staates verlangt, daß er ihnen unparteiisch den ganzen Schutz seiner Ge¬
setze gewähre. Jetzt aber sollen preußische Truppen dazu gebraucht werden, um
die gehässigsten Dienste russischer Gensdarmen zu verrichten, die Uebergetretenen
an ihre unmenschlichen Verfolger auszuliefern. Ja noch mehr, die Zeitungen
melden übereinstimmend, daß sogar durchreisende Polen, welche aus andern
Ländern kamen, im Frieden und ohne Waffen, nur wegen der Absicht nach
Polen zu reisen, von preußischen Militärbehörden als Verbrecher an die Russen
ausgeliefert worden sind. Eine solche demüthigende und gegen alle Humanität
streitende Willfährigkeit ist nicht mehr Freundschaft gegen den benachbarten
Staat, es ist ein Aufgeben des nationalen Stolzes. Und dieses Uebersehen
der Staatsehre und Staatswürde wird dadurch nicht geringer, daß der un¬
geheure Apparat dreier Armeecorps deshalb in Bewegung gesetzt worden
>se. Niemals dürfen auch früher mit Nußland aus weit andern Ruck-


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[0363] niederzulegen habe, soll nicht mir die Hochachtung vor dem dritten, nicht c»n Streite betheiligten Staat ausdrücken, sie ist auch eine nothwendige Maßregel zum Schutz der Bürger dieses Staats. Wenn Todesnot!) und Rachsucht, alle die finstern.Leidenschaften des Krieges ungehindert und ungestraft in das Land brechen dürfen, werden dann die verfolgten Kämpfer in ihrer eigenen legten Gefahr sich an dem Grenzpfahl zur Erde beugen und ihre Aufregung und Wuth in Resignation abdämpfen? Und wenn es möglich wäre, daß die bevor- zugten Russen zu so zweitheiligen Verhalten gezwungen werden könnten, jenseit der Grenze wie Banditen zu plündern und zu morden, diesseits mit bescheidener Enthaltsamkeit die Ankunft preußischer Truppen zu erwarten, kann man dasselbe von den verzweifelten Polen hoffen, von ihnen, die jetzt durch Preußen so gut >vie durch Russen gehetzt, zerstreut, gefangen und erschossen werden sollen? Denn ein zweiter Fundamentalsatz der politischen Selbständigkeit war bis jetzt, daß jeder Fremde, der nicht gegen die Gesetze des Staates verstößt, das Gastrecht des fremden Landes genieße, Freiheit der Person. Sicherheit seiner Habe, gleiches Recht mit den Bürgern des Landes. Nur für gewisse Classen von Criminalverbrechen, welche in der ganzen civilisir- ten Gesellschaft ebenmäßig verurtheilt werden, haben unsere Culturstaaten vorsichtige Ausnahmen von dieser Regel zugelassen. Solche Auslieferung Einzelner, welche gewisse schwere Verbrechen begangen haben, geschieht nur unter bestimmten Vorsichtsmaßregeln. Eifersüchtig aus ihre Hoheits- rechte wachen auch kleine Staaten mit Tapferkeit darüber, daß dieses Aus' lieferungsrecht nicht von einer heischenden Regierung für politische Par- teizwecke gemißbraucht werde. Männer, welche an der Grenze die Waffen niederlegen und unbewaffnet preußisches Gebiet betreten, haben gegen unsere Gesetze in keiner Weise gefrevelt. Sie haben Anspruch darauf, unter dem Schutz dieser Gesetze zu stehen und darnach behandelt zu werden. Die Würde des Staates verlangt, daß er ihnen unparteiisch den ganzen Schutz seiner Ge¬ setze gewähre. Jetzt aber sollen preußische Truppen dazu gebraucht werden, um die gehässigsten Dienste russischer Gensdarmen zu verrichten, die Uebergetretenen an ihre unmenschlichen Verfolger auszuliefern. Ja noch mehr, die Zeitungen melden übereinstimmend, daß sogar durchreisende Polen, welche aus andern Ländern kamen, im Frieden und ohne Waffen, nur wegen der Absicht nach Polen zu reisen, von preußischen Militärbehörden als Verbrecher an die Russen ausgeliefert worden sind. Eine solche demüthigende und gegen alle Humanität streitende Willfährigkeit ist nicht mehr Freundschaft gegen den benachbarten Staat, es ist ein Aufgeben des nationalen Stolzes. Und dieses Uebersehen der Staatsehre und Staatswürde wird dadurch nicht geringer, daß der un¬ geheure Apparat dreier Armeecorps deshalb in Bewegung gesetzt worden >se. Niemals dürfen auch früher mit Nußland aus weit andern Ruck- 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/363>, abgerufen am 16.05.2024.