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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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sichten abgeschlossene Auslieferungsverträge in so willfähriger Weise gedeutet
werden.

Die Superiorität, welche diese Maßregel anderen fremden Mächten gegen
Preußen gegeben hat, wird von dem preußischen Volk bereits mit tiefer
Scham empfunden, Selbst das Eine vermochte Herr von Bismarck nicht, was
man von dem früheren Gesandten in Paris als selbstverständlich erwarten
durfte, er vermochte nicht, sich ein Urtheil über die Stellung des Kaisers Na¬
poleon zu der Convention zu bilden. Der Kaiser, dem die polnische Jnsurrection
an sich betrachtet in diesem Augenblick nur Bedeutung hatte, insofern sie die
Nüssen engagirte. konnte keine willkommenere Gelegenheit erhalten, den populären
Stimmungen seines Volkes nachzugeben, die Aufmerksamkeit von Mexico abzu¬
ziehen, sich ohne jede Gefahr liberal zu erweisen und Preußens Ansehn durch
Aeußerungen der eigenen Humanität und Mäßigung hcrabzudrMen. Daß
die Partei des Herrn v. Bismarck die sittliche Empörung des gesammten
Europas über diese Convention nicht sehr schmerzlich empfindet, durfte
nicht auffallend sein, sie ist in der letzten Zeit an jede Art von mißachtenden
Urtheil gewöhnt worden. Daß man aber in Berlin keine Ahnung davon hatte,
wie diese außerordentliche und leidenschaftlich erklärte Hinneigung zu Nußland
den Westmächten allerdings Veranlassung zu Einmischungen gibt und wie sie
das Gefährlichste für Preußen heraufbeschwört, eine Tripleallianz zwischen
Frankreich, England und Oestreich, daß man von dieser Gefahr beim Abschluß
der Convention gar keine Ahnung hatte, ist sehr seltsam, und man ist wohl zu
der Ansicht berechtigt, daß es auf diese Weise in Preußen nicht mehr lange
fortgehen kann.

Es ist die Annahme glaubhaft gemacht worden, Herr v. Bismarck habe
vor Abschluß der Convention nichts davon gewußt. Diese Annahme ist wenig¬
stens nicht ganz begründet. Es ist möglich, daß der Plan zur Convention in
militärischen Kreisen gefaßt wurde, denen die Erinnerung an Paraden preußischer
Garden unter Kaiser Nikolaus mehr die Seele füllte, als die Rücksicht auf
Wohl und Wehe preußischer Grenzdörfer; aber gewußt hat Herr v. Bismarck
jedenfalls von der großen Action noch vor ihrem Abschluß. Dagegen wäre es
ungerecht, ihm zur Last zu legen, was hier und da in der Presse über die ge¬
heimen Artikel des Vertrages verlautet, über noch geheimere Intentionen der
Regierung und über vertrauliche Aeußerungen, die der offenherzige Minister¬
präsident hier und da ausgestreut habe. Es sei eine große Angelegenheit, un¬
gewöhnliche Vortheile stehen in Aussicht, die vierte Theilung Polens, Warschau
u. s. w. Wie viel man seinen Gegnern auch von geistvollen Einfällen zutrauen
möge, solches Schulknabengeschwätz sollte man preußischen Ministern nicht nach¬
sagen und wenn sie noch so sehr unsre Gegner sind. Denn dergleichen Pläne
in der gegenwärtigen traurigen Lage des preußischen Staates in Angriff zu


sichten abgeschlossene Auslieferungsverträge in so willfähriger Weise gedeutet
werden.

Die Superiorität, welche diese Maßregel anderen fremden Mächten gegen
Preußen gegeben hat, wird von dem preußischen Volk bereits mit tiefer
Scham empfunden, Selbst das Eine vermochte Herr von Bismarck nicht, was
man von dem früheren Gesandten in Paris als selbstverständlich erwarten
durfte, er vermochte nicht, sich ein Urtheil über die Stellung des Kaisers Na¬
poleon zu der Convention zu bilden. Der Kaiser, dem die polnische Jnsurrection
an sich betrachtet in diesem Augenblick nur Bedeutung hatte, insofern sie die
Nüssen engagirte. konnte keine willkommenere Gelegenheit erhalten, den populären
Stimmungen seines Volkes nachzugeben, die Aufmerksamkeit von Mexico abzu¬
ziehen, sich ohne jede Gefahr liberal zu erweisen und Preußens Ansehn durch
Aeußerungen der eigenen Humanität und Mäßigung hcrabzudrMen. Daß
die Partei des Herrn v. Bismarck die sittliche Empörung des gesammten
Europas über diese Convention nicht sehr schmerzlich empfindet, durfte
nicht auffallend sein, sie ist in der letzten Zeit an jede Art von mißachtenden
Urtheil gewöhnt worden. Daß man aber in Berlin keine Ahnung davon hatte,
wie diese außerordentliche und leidenschaftlich erklärte Hinneigung zu Nußland
den Westmächten allerdings Veranlassung zu Einmischungen gibt und wie sie
das Gefährlichste für Preußen heraufbeschwört, eine Tripleallianz zwischen
Frankreich, England und Oestreich, daß man von dieser Gefahr beim Abschluß
der Convention gar keine Ahnung hatte, ist sehr seltsam, und man ist wohl zu
der Ansicht berechtigt, daß es auf diese Weise in Preußen nicht mehr lange
fortgehen kann.

Es ist die Annahme glaubhaft gemacht worden, Herr v. Bismarck habe
vor Abschluß der Convention nichts davon gewußt. Diese Annahme ist wenig¬
stens nicht ganz begründet. Es ist möglich, daß der Plan zur Convention in
militärischen Kreisen gefaßt wurde, denen die Erinnerung an Paraden preußischer
Garden unter Kaiser Nikolaus mehr die Seele füllte, als die Rücksicht auf
Wohl und Wehe preußischer Grenzdörfer; aber gewußt hat Herr v. Bismarck
jedenfalls von der großen Action noch vor ihrem Abschluß. Dagegen wäre es
ungerecht, ihm zur Last zu legen, was hier und da in der Presse über die ge¬
heimen Artikel des Vertrages verlautet, über noch geheimere Intentionen der
Regierung und über vertrauliche Aeußerungen, die der offenherzige Minister¬
präsident hier und da ausgestreut habe. Es sei eine große Angelegenheit, un¬
gewöhnliche Vortheile stehen in Aussicht, die vierte Theilung Polens, Warschau
u. s. w. Wie viel man seinen Gegnern auch von geistvollen Einfällen zutrauen
möge, solches Schulknabengeschwätz sollte man preußischen Ministern nicht nach¬
sagen und wenn sie noch so sehr unsre Gegner sind. Denn dergleichen Pläne
in der gegenwärtigen traurigen Lage des preußischen Staates in Angriff zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/364>, abgerufen am 29.04.2024.