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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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daß nach vielen verschobenen und versäumten Terminen die Sache vor Gericht
verhandelt werden sollte, dann erklärten sich diese Leute für zu unvollkommen
instruirt, und die Geldschneiderei hatte noch lange nicht ihr Ziel erreicht. Frei¬
lich gibt Ammian auch zu, daß das Leben der Advocaten durck vielerlei Aerger
getrübt werde, und dazu zählt er den gegenseitigen Brodneid, die Zuziehung
vieler Feindschaften und die Sitte der Clienten, den ungünstigen Ausgang jedes
Processes niemals dem Übeln Stande der Angelegenheit, sondern der Ungeschick¬
lichkeit des Anwaltes zuzuschreiben.

Dieses Sinken des Sachwaltersiandes. sein im Ganzen geringes Ansehen,
sein Mangel an wissenschaftlichem Sinne ist nun um so auffälliger, als zu
gleicher Zeit die Jurisprudenz ihre höchste Blüthe erreichte, als das zweite
Jahrhundert die classische Literaturperiode des römischen Civilrechts genannt
werden muß, als die tüchtigsten Kräfte sich damals dem Juristenstande zuwen¬
deten, da die größere Complicirtheit der Verfassung, die weitere Ausdehnung
der Verwaltung in allen Zweigen der öffentlichen Geschäfte Rechtsgelehrte oder
wenigstens juristisch Gebildete unentbehrlich machte. Dieser Widerspruch löst
sich jedoch dadurch, daß sich in der Kaiserzeit die angesehenen. Juristen gar
nicht mehr zum Proccßführen und zum Bcistandleisten vor Gericht hergaben,
sondern nur noch durch Gutachten und Consultationen thätig waren. Die er¬
höhte Bedeutung der früheren juristischen Consulenten schreibt sich bereits von
Augustus her, der aus der Befugniß, auf Befragen Gutachten zu ertheilen, ein
Privilegium machte, welches er einer Anzahl von Juristen selbst verlieh. Ihre
Antworten sollten Gesetzen gleich gelten und auch wenn sie die Entscheidungs-
gründe nicht beigefügt hatten, waren die Richter an dieselben gebunden. Der
Kaiser Tiberius führte es ein, daß sie ihre Antworten schriftlich und versiegelt
abgeben sollten. Caligula, dem in seinem Allmachtsschwindel ihre patentirte
Stellung ein Dorn im Auge war, drohte, dieselbe aufzuheben und es dahin
zu bringen, daß die Juristen nur antworten sollten, was ihm gefällig wäre!
Hadrian traf noch die Bestimmung, daß der Richter für den Fall, daß die
Ansichten der Respondenten getheilt waren, seiner eigenen Ansicht folgen
durfte. Noch unter Constantin wurde das Recht des Gutachtenertheilens ver¬
liehen; später aber trat der todte Buchstabe des Gesetzes an die Stelle der
lebendig fortbildenden Wissenschaft. Schon unter Augustus ging auch der
Name aclvoeg.tu8 von dem Rechtsbeistand auf den Sachwalter über. Wenn die
gewöhnlichen Advocaten später zu ihrem Geschäfte juristische Beihülfe brauchten
scheinen sie sich, wie man aus der oben angeführten Stelle Juvenals schließen
kann, an Leute gewendet zu haben, die mit den griechischen Pragmatikern auf
einer Stufe standen und sich mit dem Bruchtheile eines Goldstückes bezahlen
ließen. Ihre Bildung empfingen die Juristen auch später noch durch den
früheren praktischen Unterricht. Aber das Studium der juristischen Literatur


Grenzvoten l. 1S63. 6

daß nach vielen verschobenen und versäumten Terminen die Sache vor Gericht
verhandelt werden sollte, dann erklärten sich diese Leute für zu unvollkommen
instruirt, und die Geldschneiderei hatte noch lange nicht ihr Ziel erreicht. Frei¬
lich gibt Ammian auch zu, daß das Leben der Advocaten durck vielerlei Aerger
getrübt werde, und dazu zählt er den gegenseitigen Brodneid, die Zuziehung
vieler Feindschaften und die Sitte der Clienten, den ungünstigen Ausgang jedes
Processes niemals dem Übeln Stande der Angelegenheit, sondern der Ungeschick¬
lichkeit des Anwaltes zuzuschreiben.

Dieses Sinken des Sachwaltersiandes. sein im Ganzen geringes Ansehen,
sein Mangel an wissenschaftlichem Sinne ist nun um so auffälliger, als zu
gleicher Zeit die Jurisprudenz ihre höchste Blüthe erreichte, als das zweite
Jahrhundert die classische Literaturperiode des römischen Civilrechts genannt
werden muß, als die tüchtigsten Kräfte sich damals dem Juristenstande zuwen¬
deten, da die größere Complicirtheit der Verfassung, die weitere Ausdehnung
der Verwaltung in allen Zweigen der öffentlichen Geschäfte Rechtsgelehrte oder
wenigstens juristisch Gebildete unentbehrlich machte. Dieser Widerspruch löst
sich jedoch dadurch, daß sich in der Kaiserzeit die angesehenen. Juristen gar
nicht mehr zum Proccßführen und zum Bcistandleisten vor Gericht hergaben,
sondern nur noch durch Gutachten und Consultationen thätig waren. Die er¬
höhte Bedeutung der früheren juristischen Consulenten schreibt sich bereits von
Augustus her, der aus der Befugniß, auf Befragen Gutachten zu ertheilen, ein
Privilegium machte, welches er einer Anzahl von Juristen selbst verlieh. Ihre
Antworten sollten Gesetzen gleich gelten und auch wenn sie die Entscheidungs-
gründe nicht beigefügt hatten, waren die Richter an dieselben gebunden. Der
Kaiser Tiberius führte es ein, daß sie ihre Antworten schriftlich und versiegelt
abgeben sollten. Caligula, dem in seinem Allmachtsschwindel ihre patentirte
Stellung ein Dorn im Auge war, drohte, dieselbe aufzuheben und es dahin
zu bringen, daß die Juristen nur antworten sollten, was ihm gefällig wäre!
Hadrian traf noch die Bestimmung, daß der Richter für den Fall, daß die
Ansichten der Respondenten getheilt waren, seiner eigenen Ansicht folgen
durfte. Noch unter Constantin wurde das Recht des Gutachtenertheilens ver¬
liehen; später aber trat der todte Buchstabe des Gesetzes an die Stelle der
lebendig fortbildenden Wissenschaft. Schon unter Augustus ging auch der
Name aclvoeg.tu8 von dem Rechtsbeistand auf den Sachwalter über. Wenn die
gewöhnlichen Advocaten später zu ihrem Geschäfte juristische Beihülfe brauchten
scheinen sie sich, wie man aus der oben angeführten Stelle Juvenals schließen
kann, an Leute gewendet zu haben, die mit den griechischen Pragmatikern auf
einer Stufe standen und sich mit dem Bruchtheile eines Goldstückes bezahlen
ließen. Ihre Bildung empfingen die Juristen auch später noch durch den
früheren praktischen Unterricht. Aber das Studium der juristischen Literatur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/41>, abgerufen am 29.04.2024.