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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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dere. Hellen wohnt ja Beredsamkeit in einem schäbigen Gewände. Nach Gallien
mußt Du reisen oder lieber nach Afrika, der Säugamme der Advocaten, wenn
Du Lohn von Deiner Zunge ernten willst." Uebrigens scheinen die genannten
200 Sestertien (9 Thlr.) das geringste Honorar gewesen zu sein; denn auch
Martial sagt über einen Winkeladvocaten: "Der Du lange Bäcker warst, führst
jetzt Processe und verlangst 200 Sestertien; aber Du brauchst es und borgst
wieder. So weichst Du vom Bäcker nicht ab: denn Du machst Brod und machst
Mehl" (d. h. verthust es wieder).

In der späteren Kaiserzeit war bei jedem Gerichte eine bestimmte Anzahl von
Advocaten angestellt, z. B. bei dem Gouverneur von Rom 80, bei dem Präfecten
des Prätvriums 180; und diese bildeten Corporcitivnen und genossen mannigfache
Privilegien, waren aber auch hinsichtlich ihrer Amtspflichten einer besonderen Dis-
ciplin unterworfen, waren absetzbar und mußten sich über ihre Studienzeit und ihre
Kenntnisse durch Examina ausweisen. Ueberzählige mußten warten. Aber die frühe¬
ren Mißbräuche dauerten in vergrößertem Maßstabe fort und die Maßregeln recht¬
licher Kaiser wie Hadrians, des ersten Antonius, Alexanders Severus und Julians
wurden immer wieder unter schlechten Regenten vergessen. Eine höchst ungün¬
stige Schilderung des Advocatenstandes, besonders in den östlichen Provinzen
des Reichs, im vierten Jahrhundert n. Chr. liefert aus eigener Anschauung der
Geschichtschreiber Ammianus Marcellinus. Er theilt die Sachwalter, "die
wie spartanische oder kretische Hunde auf die reichen Häuser Jagd machen",
in vier Classen. In die erste stellt er diejenigen, welche geldgierig und in
Folge dessen äußerst geschäftig wären, Zwietracht zu säen und Familien zu ent¬
zweien. Sie benutzten ihr Talent dazu, um die Richter zu verwirren und von
einem Raube zum andern zu eilen. Die zweite Gattung enthält nach ihm
solche, die eine tiefe Rechtsgelehrsamkeit und Gesetzkenntniß zur Schau trugen
und mit ernster Miene ihre Orakelsprüche ertheilten. "Und wenn Du vorgibst,
mit Willen Deine Mutter getödtet zu haben, so versprechen sie Dir, daß viele
verborgene Gesetzesstellen Dir Freisprechung v.crheißen. wenn sie merken, daß Du
Geld hast." Unter die dritte Classe rechnet er die Ehrgeizigen, die auf jede
Weise berühmt werden wollten, "die, wen" sie auf dem rechten Wege vorwärts
kommen, Heiligthümer der Gerechtigkeit sind, wenn sie aber verdorben werden,
betrügliche Fallgruben, aus welchen Einer erst nach vielen Jäher und bis aufs
Mark ausgesogen wieder herauskommt." Die vierte Classe endlich sollte die
ungebildeten Rabulisten umfassen, "die zu bald der Schule entlaufen sind und
hinter Unverschämtheit und Schimpfen ihre Unwissenheit verbergen. Unter
ihnen sind Einige so ungebildet, daß sie sich nicht erinnern können, je Bücher
besessen zu haben. Und wenn in einer Gesellschaft von Gebildeten der Name
eines allen Schriftstellers ausgesprochen wird, so halten sie ihn für die auslän¬
dische Bezeichnung eines Fisches oder einer Eßwaare." Kam es endlich dazu,


dere. Hellen wohnt ja Beredsamkeit in einem schäbigen Gewände. Nach Gallien
mußt Du reisen oder lieber nach Afrika, der Säugamme der Advocaten, wenn
Du Lohn von Deiner Zunge ernten willst." Uebrigens scheinen die genannten
200 Sestertien (9 Thlr.) das geringste Honorar gewesen zu sein; denn auch
Martial sagt über einen Winkeladvocaten: „Der Du lange Bäcker warst, führst
jetzt Processe und verlangst 200 Sestertien; aber Du brauchst es und borgst
wieder. So weichst Du vom Bäcker nicht ab: denn Du machst Brod und machst
Mehl" (d. h. verthust es wieder).

In der späteren Kaiserzeit war bei jedem Gerichte eine bestimmte Anzahl von
Advocaten angestellt, z. B. bei dem Gouverneur von Rom 80, bei dem Präfecten
des Prätvriums 180; und diese bildeten Corporcitivnen und genossen mannigfache
Privilegien, waren aber auch hinsichtlich ihrer Amtspflichten einer besonderen Dis-
ciplin unterworfen, waren absetzbar und mußten sich über ihre Studienzeit und ihre
Kenntnisse durch Examina ausweisen. Ueberzählige mußten warten. Aber die frühe¬
ren Mißbräuche dauerten in vergrößertem Maßstabe fort und die Maßregeln recht¬
licher Kaiser wie Hadrians, des ersten Antonius, Alexanders Severus und Julians
wurden immer wieder unter schlechten Regenten vergessen. Eine höchst ungün¬
stige Schilderung des Advocatenstandes, besonders in den östlichen Provinzen
des Reichs, im vierten Jahrhundert n. Chr. liefert aus eigener Anschauung der
Geschichtschreiber Ammianus Marcellinus. Er theilt die Sachwalter, „die
wie spartanische oder kretische Hunde auf die reichen Häuser Jagd machen",
in vier Classen. In die erste stellt er diejenigen, welche geldgierig und in
Folge dessen äußerst geschäftig wären, Zwietracht zu säen und Familien zu ent¬
zweien. Sie benutzten ihr Talent dazu, um die Richter zu verwirren und von
einem Raube zum andern zu eilen. Die zweite Gattung enthält nach ihm
solche, die eine tiefe Rechtsgelehrsamkeit und Gesetzkenntniß zur Schau trugen
und mit ernster Miene ihre Orakelsprüche ertheilten. „Und wenn Du vorgibst,
mit Willen Deine Mutter getödtet zu haben, so versprechen sie Dir, daß viele
verborgene Gesetzesstellen Dir Freisprechung v.crheißen. wenn sie merken, daß Du
Geld hast." Unter die dritte Classe rechnet er die Ehrgeizigen, die auf jede
Weise berühmt werden wollten, „die, wen» sie auf dem rechten Wege vorwärts
kommen, Heiligthümer der Gerechtigkeit sind, wenn sie aber verdorben werden,
betrügliche Fallgruben, aus welchen Einer erst nach vielen Jäher und bis aufs
Mark ausgesogen wieder herauskommt." Die vierte Classe endlich sollte die
ungebildeten Rabulisten umfassen, „die zu bald der Schule entlaufen sind und
hinter Unverschämtheit und Schimpfen ihre Unwissenheit verbergen. Unter
ihnen sind Einige so ungebildet, daß sie sich nicht erinnern können, je Bücher
besessen zu haben. Und wenn in einer Gesellschaft von Gebildeten der Name
eines allen Schriftstellers ausgesprochen wird, so halten sie ihn für die auslän¬
dische Bezeichnung eines Fisches oder einer Eßwaare." Kam es endlich dazu,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/40>, abgerufen am 28.04.2024.