Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Man hat das Capitol, das Postamt, das Patentamt, das Schatzgebäude, das
Haus des Präsidenten und das smithsonische Institut, Die fünf ersten sind
in griechischem, das letzte in romanischem Geschmack erbaut, das heißt in
einem Geschmack, den man in Washington romanisch nennt, während Trol-
lope ihn lieber als bastardgothisch bezeichnen -mochte.

Das Capitol ist unzweifelhaft ein imposanter Bau, und es würde auch ein
schöner Bau sein, wenn man es nicht in neuester Zeit durch Anbauten verdorben
hätte. Die Freitreppe und der große Porticus im Osten, die Kuppel in der
Mitte waren von vortrefflichem Geschmack, die Flügel zur Rechten und Lin¬
ken standen in gutem Verhältniß zum Mittelgebäude, der Stein war glänzend
wie Marmor. Es ließ sich nichts aussetzen, als daß die Front, wie schon
bemerkt, statt nach der Stadt im Westen, nach der Wildniß im Osten hinsah,
und daß diese Front mit Statuen und Gruppen amerikanischer Bildhauer geziert
war, die nur von fern leidlich, von nahe betrachtet aber geradezu lächerlich sind.
"Die Bildhauerei beschäftigt sich," wie Trollopc sagt, "in Washington vor¬
züglich mit zwei Gegenständen, die bis zum Ueberdruß wiederholt werden.
Der eine ist ein steifer, gesund, aber häßlich aussehender Herr mit riesigen
Kinnladen und dicken Backen, welcher den großen Kriegsmann repräsentirt.
Der andere ist eine schwermüthige, schwächliche Gestalt, ohne Haare, aber oft
mit Federn auf dem Kopfe, die den rothen Indianer vorstellen soll. Es wird
immer angenommen, der Indianer empfange irgend eine Wohlthat, aber er
sieht stets so aus, als freue ihn diese Wohlthat ganz und gar nicht. Auch
der kolossale Washington von Greenough, der vor dem Gebäude sitzt und der
einen Arm nach der Stadt ausstreckt, ist wenig werth. Es ist wuchtige Gro߬
artigkeit, aber steif, häßlich, ohne Leben."

Dennoch muß das Gebäude in seiner ursprünglichen Gestalt einen sehr
guten Eindruck gemacht haben. Seitdem sind demselben aber schwere Flügel
angesetzt worden, so schwere Flügel, daß sie größer als das eigentliche Gebäude
erscheinen und die Symmetrie des Ganzen wesentlich beeinträchtigt worden ist.
Diese Anbauten, denen es an sich nicht gerade an Schönheit fehlt, hat man
an den Hauptbau mit so schmalen Zwischenräumen angefügt, daß der Davor¬
stehende das Licht durch dieselben hindurch sieht, und dies nimmt dem Ganzen
die Einheit, das Aussehen der Zusammengehörigkeit, welches einem so kolossalen
Bau- am wenigsten mangeln sollte. Auch die Kuppel ist erhöht worden, und
man hat ihr eine doppelte Trommel gegeben, die noch nicht fertig ist und
darum noch nicht beurtheilt werden sollte, von der man aber doch schon jetzt
sagen darf, daß auch sie ein Mißgriff ist. Wäre die Stadt rings um das Capitol
aus weite Strecken vollendet, so würde sich letzteres wahrscheinlich weit besser
aufnehmen. Jetzt ist daran nicht viel mehr zu loben als die hübschen Garten¬
anlagen, die sich vor der östlichen Front hinziehen.


Man hat das Capitol, das Postamt, das Patentamt, das Schatzgebäude, das
Haus des Präsidenten und das smithsonische Institut, Die fünf ersten sind
in griechischem, das letzte in romanischem Geschmack erbaut, das heißt in
einem Geschmack, den man in Washington romanisch nennt, während Trol-
lope ihn lieber als bastardgothisch bezeichnen -mochte.

Das Capitol ist unzweifelhaft ein imposanter Bau, und es würde auch ein
schöner Bau sein, wenn man es nicht in neuester Zeit durch Anbauten verdorben
hätte. Die Freitreppe und der große Porticus im Osten, die Kuppel in der
Mitte waren von vortrefflichem Geschmack, die Flügel zur Rechten und Lin¬
ken standen in gutem Verhältniß zum Mittelgebäude, der Stein war glänzend
wie Marmor. Es ließ sich nichts aussetzen, als daß die Front, wie schon
bemerkt, statt nach der Stadt im Westen, nach der Wildniß im Osten hinsah,
und daß diese Front mit Statuen und Gruppen amerikanischer Bildhauer geziert
war, die nur von fern leidlich, von nahe betrachtet aber geradezu lächerlich sind.
„Die Bildhauerei beschäftigt sich," wie Trollopc sagt, „in Washington vor¬
züglich mit zwei Gegenständen, die bis zum Ueberdruß wiederholt werden.
Der eine ist ein steifer, gesund, aber häßlich aussehender Herr mit riesigen
Kinnladen und dicken Backen, welcher den großen Kriegsmann repräsentirt.
Der andere ist eine schwermüthige, schwächliche Gestalt, ohne Haare, aber oft
mit Federn auf dem Kopfe, die den rothen Indianer vorstellen soll. Es wird
immer angenommen, der Indianer empfange irgend eine Wohlthat, aber er
sieht stets so aus, als freue ihn diese Wohlthat ganz und gar nicht. Auch
der kolossale Washington von Greenough, der vor dem Gebäude sitzt und der
einen Arm nach der Stadt ausstreckt, ist wenig werth. Es ist wuchtige Gro߬
artigkeit, aber steif, häßlich, ohne Leben."

Dennoch muß das Gebäude in seiner ursprünglichen Gestalt einen sehr
guten Eindruck gemacht haben. Seitdem sind demselben aber schwere Flügel
angesetzt worden, so schwere Flügel, daß sie größer als das eigentliche Gebäude
erscheinen und die Symmetrie des Ganzen wesentlich beeinträchtigt worden ist.
Diese Anbauten, denen es an sich nicht gerade an Schönheit fehlt, hat man
an den Hauptbau mit so schmalen Zwischenräumen angefügt, daß der Davor¬
stehende das Licht durch dieselben hindurch sieht, und dies nimmt dem Ganzen
die Einheit, das Aussehen der Zusammengehörigkeit, welches einem so kolossalen
Bau- am wenigsten mangeln sollte. Auch die Kuppel ist erhöht worden, und
man hat ihr eine doppelte Trommel gegeben, die noch nicht fertig ist und
darum noch nicht beurtheilt werden sollte, von der man aber doch schon jetzt
sagen darf, daß auch sie ein Mißgriff ist. Wäre die Stadt rings um das Capitol
aus weite Strecken vollendet, so würde sich letzteres wahrscheinlich weit besser
aufnehmen. Jetzt ist daran nicht viel mehr zu loben als die hübschen Garten¬
anlagen, die sich vor der östlichen Front hinziehen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0412" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187906"/>
            <p xml:id="ID_1489" prev="#ID_1488"> Man hat das Capitol, das Postamt, das Patentamt, das Schatzgebäude, das<lb/>
Haus des Präsidenten und das smithsonische Institut, Die fünf ersten sind<lb/>
in griechischem, das letzte in romanischem Geschmack erbaut, das heißt in<lb/>
einem Geschmack, den man in Washington romanisch nennt, während Trol-<lb/>
lope ihn lieber als bastardgothisch bezeichnen -mochte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1490"> Das Capitol ist unzweifelhaft ein imposanter Bau, und es würde auch ein<lb/>
schöner Bau sein, wenn man es nicht in neuester Zeit durch Anbauten verdorben<lb/>
hätte. Die Freitreppe und der große Porticus im Osten, die Kuppel in der<lb/>
Mitte waren von vortrefflichem Geschmack, die Flügel zur Rechten und Lin¬<lb/>
ken standen in gutem Verhältniß zum Mittelgebäude, der Stein war glänzend<lb/>
wie Marmor. Es ließ sich nichts aussetzen, als daß die Front, wie schon<lb/>
bemerkt, statt nach der Stadt im Westen, nach der Wildniß im Osten hinsah,<lb/>
und daß diese Front mit Statuen und Gruppen amerikanischer Bildhauer geziert<lb/>
war, die nur von fern leidlich, von nahe betrachtet aber geradezu lächerlich sind.<lb/>
&#x201E;Die Bildhauerei beschäftigt sich," wie Trollopc sagt, &#x201E;in Washington vor¬<lb/>
züglich mit zwei Gegenständen, die bis zum Ueberdruß wiederholt werden.<lb/>
Der eine ist ein steifer, gesund, aber häßlich aussehender Herr mit riesigen<lb/>
Kinnladen und dicken Backen, welcher den großen Kriegsmann repräsentirt.<lb/>
Der andere ist eine schwermüthige, schwächliche Gestalt, ohne Haare, aber oft<lb/>
mit Federn auf dem Kopfe, die den rothen Indianer vorstellen soll. Es wird<lb/>
immer angenommen, der Indianer empfange irgend eine Wohlthat, aber er<lb/>
sieht stets so aus, als freue ihn diese Wohlthat ganz und gar nicht. Auch<lb/>
der kolossale Washington von Greenough, der vor dem Gebäude sitzt und der<lb/>
einen Arm nach der Stadt ausstreckt, ist wenig werth. Es ist wuchtige Gro߬<lb/>
artigkeit, aber steif, häßlich, ohne Leben."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1491"> Dennoch muß das Gebäude in seiner ursprünglichen Gestalt einen sehr<lb/>
guten Eindruck gemacht haben. Seitdem sind demselben aber schwere Flügel<lb/>
angesetzt worden, so schwere Flügel, daß sie größer als das eigentliche Gebäude<lb/>
erscheinen und die Symmetrie des Ganzen wesentlich beeinträchtigt worden ist.<lb/>
Diese Anbauten, denen es an sich nicht gerade an Schönheit fehlt, hat man<lb/>
an den Hauptbau mit so schmalen Zwischenräumen angefügt, daß der Davor¬<lb/>
stehende das Licht durch dieselben hindurch sieht, und dies nimmt dem Ganzen<lb/>
die Einheit, das Aussehen der Zusammengehörigkeit, welches einem so kolossalen<lb/>
Bau- am wenigsten mangeln sollte. Auch die Kuppel ist erhöht worden, und<lb/>
man hat ihr eine doppelte Trommel gegeben, die noch nicht fertig ist und<lb/>
darum noch nicht beurtheilt werden sollte, von der man aber doch schon jetzt<lb/>
sagen darf, daß auch sie ein Mißgriff ist. Wäre die Stadt rings um das Capitol<lb/>
aus weite Strecken vollendet, so würde sich letzteres wahrscheinlich weit besser<lb/>
aufnehmen. Jetzt ist daran nicht viel mehr zu loben als die hübschen Garten¬<lb/>
anlagen, die sich vor der östlichen Front hinziehen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0412] Man hat das Capitol, das Postamt, das Patentamt, das Schatzgebäude, das Haus des Präsidenten und das smithsonische Institut, Die fünf ersten sind in griechischem, das letzte in romanischem Geschmack erbaut, das heißt in einem Geschmack, den man in Washington romanisch nennt, während Trol- lope ihn lieber als bastardgothisch bezeichnen -mochte. Das Capitol ist unzweifelhaft ein imposanter Bau, und es würde auch ein schöner Bau sein, wenn man es nicht in neuester Zeit durch Anbauten verdorben hätte. Die Freitreppe und der große Porticus im Osten, die Kuppel in der Mitte waren von vortrefflichem Geschmack, die Flügel zur Rechten und Lin¬ ken standen in gutem Verhältniß zum Mittelgebäude, der Stein war glänzend wie Marmor. Es ließ sich nichts aussetzen, als daß die Front, wie schon bemerkt, statt nach der Stadt im Westen, nach der Wildniß im Osten hinsah, und daß diese Front mit Statuen und Gruppen amerikanischer Bildhauer geziert war, die nur von fern leidlich, von nahe betrachtet aber geradezu lächerlich sind. „Die Bildhauerei beschäftigt sich," wie Trollopc sagt, „in Washington vor¬ züglich mit zwei Gegenständen, die bis zum Ueberdruß wiederholt werden. Der eine ist ein steifer, gesund, aber häßlich aussehender Herr mit riesigen Kinnladen und dicken Backen, welcher den großen Kriegsmann repräsentirt. Der andere ist eine schwermüthige, schwächliche Gestalt, ohne Haare, aber oft mit Federn auf dem Kopfe, die den rothen Indianer vorstellen soll. Es wird immer angenommen, der Indianer empfange irgend eine Wohlthat, aber er sieht stets so aus, als freue ihn diese Wohlthat ganz und gar nicht. Auch der kolossale Washington von Greenough, der vor dem Gebäude sitzt und der einen Arm nach der Stadt ausstreckt, ist wenig werth. Es ist wuchtige Gro߬ artigkeit, aber steif, häßlich, ohne Leben." Dennoch muß das Gebäude in seiner ursprünglichen Gestalt einen sehr guten Eindruck gemacht haben. Seitdem sind demselben aber schwere Flügel angesetzt worden, so schwere Flügel, daß sie größer als das eigentliche Gebäude erscheinen und die Symmetrie des Ganzen wesentlich beeinträchtigt worden ist. Diese Anbauten, denen es an sich nicht gerade an Schönheit fehlt, hat man an den Hauptbau mit so schmalen Zwischenräumen angefügt, daß der Davor¬ stehende das Licht durch dieselben hindurch sieht, und dies nimmt dem Ganzen die Einheit, das Aussehen der Zusammengehörigkeit, welches einem so kolossalen Bau- am wenigsten mangeln sollte. Auch die Kuppel ist erhöht worden, und man hat ihr eine doppelte Trommel gegeben, die noch nicht fertig ist und darum noch nicht beurtheilt werden sollte, von der man aber doch schon jetzt sagen darf, daß auch sie ein Mißgriff ist. Wäre die Stadt rings um das Capitol aus weite Strecken vollendet, so würde sich letzteres wahrscheinlich weit besser aufnehmen. Jetzt ist daran nicht viel mehr zu loben als die hübschen Garten¬ anlagen, die sich vor der östlichen Front hinziehen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/412
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/412>, abgerufen am 28.05.2024.