Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Washington von Mißvergnügten und für den Süden spionirenden Verräthern
Wimmelt, hat Richmond Ohren für das leiseste Geflüster, und es kann kein
Fremder hierher kommen, dessen Schritte nicht sorgsam bewacht und dessen
Absichten nicht sofort begriffen werden- In die Kanzlei General Winters muß
jeder Schenk- und Gastwirth alle Tage Conduitenlisten seiner Gäste bringen.
Die Verleiher von Reitpferden haben in gleicher Weise Rechenschaft von den
Namen und Zielen derer abzulegen, welche mit ihren Pferden oder Geschirren
die Grenzen des Stadtgebiets überschreiten. Vierzig geheime Polizisten kommen
und gehen Tag und Nacht wie Schatten zu ihrem Chef. Die Stadt ist mit
einer doppelten Linie von Polizeischildwachen umstellt, und wehe dem, der
nach dem Zapfenstreich sich noch auswärts blicken läßt. Missethäter werden
einzeln vor den Profoß gebracht, der sie mit einem ernsten, gebieterischen,
durch nichts zu störenden Rhadamanthusgesicht empfängt. Er hat kleine, sich
tief in den Angeschuldigten hineinfragende Augen, eine Habichtsnase und starr
emporstehendes weißes Haar, welches an das unnahbare Stachelschwein denken
läßt. Kriegsgefangene pflegt er barsch anzufahren, indem sich mit seiner Ge°
rechtigkeitslicbe vielleicht ein wenig Nachsucht mischt; denn ein Bruder von ihm
wurde von den Föderalisten lange Zeit in Fort Warren gefangen gehalten.

Die Gefängnisse in Richmond stehen unter Aufsicht des Provostmarschalls
und seiner Beigeordneten. Letztverflossenen August gab es deren neun, sieben
fürs Militär, zwei für Personen des Civilstandes. Gefangne befanden sich
damals über 7000 in Richmond. während Civilpersonen nur 200 in Haft
waren.

Castle Godwie ist die Vastille von Richmond. Es ist ein ehemaliger
Negermarkt und liegt in der Tiefe des Flußthales unter der Broadstrcet, von
welcher eine Treppe dahin führt. Eingeborne und Fremde, von letzteren
namentlich Deutsche, haben hier lange in Hast gesessen, und einige wurden
von hier, auf ihren Särgen sitzend, nach den hübschen Anlagen nördlich von
der Stadt gebracht, wo immer hin Galgen bereit steht. Der Strick wird ihnen
um den Hals gelegt, der Karren fortgetrieben, und der arme Sünder hängt
zwischen Himmel und Erde.

Die Militärgefängnisse, von denen die Libby das bekannteste ist. sind
'"eist verlassene Tabaksspeichcr, von Ziegeln erbaut und größtentheils geräumig,
luftig und abgesperrt von andern Häusern. Die blutige sechstägige Schlacht,
welche Richmond und den Süden rettete, füllte sie mit verwundeten, verstüm¬
melten und halbwahnsinnigcn Gefangnen, für welche wenig Vorbereitung zu
passender Verpflegung möglich gewesen war. Die Wunden der Leidenden
blieben die ganze Nacht unverbunden, und einige Leute, die nur leicht ver¬
wundet waren, lagen so lange vernachlässigt da. bis sie sich verblutet hatten.
Fieberkranke warfen sich mit brennenden Lippen und wehmüthigen Phantasien


Grenzboten I. 1S63. 63

Washington von Mißvergnügten und für den Süden spionirenden Verräthern
Wimmelt, hat Richmond Ohren für das leiseste Geflüster, und es kann kein
Fremder hierher kommen, dessen Schritte nicht sorgsam bewacht und dessen
Absichten nicht sofort begriffen werden- In die Kanzlei General Winters muß
jeder Schenk- und Gastwirth alle Tage Conduitenlisten seiner Gäste bringen.
Die Verleiher von Reitpferden haben in gleicher Weise Rechenschaft von den
Namen und Zielen derer abzulegen, welche mit ihren Pferden oder Geschirren
die Grenzen des Stadtgebiets überschreiten. Vierzig geheime Polizisten kommen
und gehen Tag und Nacht wie Schatten zu ihrem Chef. Die Stadt ist mit
einer doppelten Linie von Polizeischildwachen umstellt, und wehe dem, der
nach dem Zapfenstreich sich noch auswärts blicken läßt. Missethäter werden
einzeln vor den Profoß gebracht, der sie mit einem ernsten, gebieterischen,
durch nichts zu störenden Rhadamanthusgesicht empfängt. Er hat kleine, sich
tief in den Angeschuldigten hineinfragende Augen, eine Habichtsnase und starr
emporstehendes weißes Haar, welches an das unnahbare Stachelschwein denken
läßt. Kriegsgefangene pflegt er barsch anzufahren, indem sich mit seiner Ge°
rechtigkeitslicbe vielleicht ein wenig Nachsucht mischt; denn ein Bruder von ihm
wurde von den Föderalisten lange Zeit in Fort Warren gefangen gehalten.

Die Gefängnisse in Richmond stehen unter Aufsicht des Provostmarschalls
und seiner Beigeordneten. Letztverflossenen August gab es deren neun, sieben
fürs Militär, zwei für Personen des Civilstandes. Gefangne befanden sich
damals über 7000 in Richmond. während Civilpersonen nur 200 in Haft
waren.

Castle Godwie ist die Vastille von Richmond. Es ist ein ehemaliger
Negermarkt und liegt in der Tiefe des Flußthales unter der Broadstrcet, von
welcher eine Treppe dahin führt. Eingeborne und Fremde, von letzteren
namentlich Deutsche, haben hier lange in Hast gesessen, und einige wurden
von hier, auf ihren Särgen sitzend, nach den hübschen Anlagen nördlich von
der Stadt gebracht, wo immer hin Galgen bereit steht. Der Strick wird ihnen
um den Hals gelegt, der Karren fortgetrieben, und der arme Sünder hängt
zwischen Himmel und Erde.

Die Militärgefängnisse, von denen die Libby das bekannteste ist. sind
'"eist verlassene Tabaksspeichcr, von Ziegeln erbaut und größtentheils geräumig,
luftig und abgesperrt von andern Häusern. Die blutige sechstägige Schlacht,
welche Richmond und den Süden rettete, füllte sie mit verwundeten, verstüm¬
melten und halbwahnsinnigcn Gefangnen, für welche wenig Vorbereitung zu
passender Verpflegung möglich gewesen war. Die Wunden der Leidenden
blieben die ganze Nacht unverbunden, und einige Leute, die nur leicht ver¬
wundet waren, lagen so lange vernachlässigt da. bis sie sich verblutet hatten.
Fieberkranke warfen sich mit brennenden Lippen und wehmüthigen Phantasien


Grenzboten I. 1S63. 63
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187995"/>
            <p xml:id="ID_1838" prev="#ID_1837"> Washington von Mißvergnügten und für den Süden spionirenden Verräthern<lb/>
Wimmelt, hat Richmond Ohren für das leiseste Geflüster, und es kann kein<lb/>
Fremder hierher kommen, dessen Schritte nicht sorgsam bewacht und dessen<lb/>
Absichten nicht sofort begriffen werden- In die Kanzlei General Winters muß<lb/>
jeder Schenk- und Gastwirth alle Tage Conduitenlisten seiner Gäste bringen.<lb/>
Die Verleiher von Reitpferden haben in gleicher Weise Rechenschaft von den<lb/>
Namen und Zielen derer abzulegen, welche mit ihren Pferden oder Geschirren<lb/>
die Grenzen des Stadtgebiets überschreiten. Vierzig geheime Polizisten kommen<lb/>
und gehen Tag und Nacht wie Schatten zu ihrem Chef. Die Stadt ist mit<lb/>
einer doppelten Linie von Polizeischildwachen umstellt, und wehe dem, der<lb/>
nach dem Zapfenstreich sich noch auswärts blicken läßt. Missethäter werden<lb/>
einzeln vor den Profoß gebracht, der sie mit einem ernsten, gebieterischen,<lb/>
durch nichts zu störenden Rhadamanthusgesicht empfängt. Er hat kleine, sich<lb/>
tief in den Angeschuldigten hineinfragende Augen, eine Habichtsnase und starr<lb/>
emporstehendes weißes Haar, welches an das unnahbare Stachelschwein denken<lb/>
läßt. Kriegsgefangene pflegt er barsch anzufahren, indem sich mit seiner Ge°<lb/>
rechtigkeitslicbe vielleicht ein wenig Nachsucht mischt; denn ein Bruder von ihm<lb/>
wurde von den Föderalisten lange Zeit in Fort Warren gefangen gehalten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1839"> Die Gefängnisse in Richmond stehen unter Aufsicht des Provostmarschalls<lb/>
und seiner Beigeordneten. Letztverflossenen August gab es deren neun, sieben<lb/>
fürs Militär, zwei für Personen des Civilstandes. Gefangne befanden sich<lb/>
damals über 7000 in Richmond. während Civilpersonen nur 200 in Haft<lb/>
waren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1840"> Castle Godwie ist die Vastille von Richmond. Es ist ein ehemaliger<lb/>
Negermarkt und liegt in der Tiefe des Flußthales unter der Broadstrcet, von<lb/>
welcher eine Treppe dahin führt. Eingeborne und Fremde, von letzteren<lb/>
namentlich Deutsche, haben hier lange in Hast gesessen, und einige wurden<lb/>
von hier, auf ihren Särgen sitzend, nach den hübschen Anlagen nördlich von<lb/>
der Stadt gebracht, wo immer hin Galgen bereit steht. Der Strick wird ihnen<lb/>
um den Hals gelegt, der Karren fortgetrieben, und der arme Sünder hängt<lb/>
zwischen Himmel und Erde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1841" next="#ID_1842"> Die Militärgefängnisse, von denen die Libby das bekannteste ist. sind<lb/>
'"eist verlassene Tabaksspeichcr, von Ziegeln erbaut und größtentheils geräumig,<lb/>
luftig und abgesperrt von andern Häusern. Die blutige sechstägige Schlacht,<lb/>
welche Richmond und den Süden rettete, füllte sie mit verwundeten, verstüm¬<lb/>
melten und halbwahnsinnigcn Gefangnen, für welche wenig Vorbereitung zu<lb/>
passender Verpflegung möglich gewesen war. Die Wunden der Leidenden<lb/>
blieben die ganze Nacht unverbunden, und einige Leute, die nur leicht ver¬<lb/>
wundet waren, lagen so lange vernachlässigt da. bis sie sich verblutet hatten.<lb/>
Fieberkranke warfen sich mit brennenden Lippen und wehmüthigen Phantasien</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1S63. 63</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] Washington von Mißvergnügten und für den Süden spionirenden Verräthern Wimmelt, hat Richmond Ohren für das leiseste Geflüster, und es kann kein Fremder hierher kommen, dessen Schritte nicht sorgsam bewacht und dessen Absichten nicht sofort begriffen werden- In die Kanzlei General Winters muß jeder Schenk- und Gastwirth alle Tage Conduitenlisten seiner Gäste bringen. Die Verleiher von Reitpferden haben in gleicher Weise Rechenschaft von den Namen und Zielen derer abzulegen, welche mit ihren Pferden oder Geschirren die Grenzen des Stadtgebiets überschreiten. Vierzig geheime Polizisten kommen und gehen Tag und Nacht wie Schatten zu ihrem Chef. Die Stadt ist mit einer doppelten Linie von Polizeischildwachen umstellt, und wehe dem, der nach dem Zapfenstreich sich noch auswärts blicken läßt. Missethäter werden einzeln vor den Profoß gebracht, der sie mit einem ernsten, gebieterischen, durch nichts zu störenden Rhadamanthusgesicht empfängt. Er hat kleine, sich tief in den Angeschuldigten hineinfragende Augen, eine Habichtsnase und starr emporstehendes weißes Haar, welches an das unnahbare Stachelschwein denken läßt. Kriegsgefangene pflegt er barsch anzufahren, indem sich mit seiner Ge° rechtigkeitslicbe vielleicht ein wenig Nachsucht mischt; denn ein Bruder von ihm wurde von den Föderalisten lange Zeit in Fort Warren gefangen gehalten. Die Gefängnisse in Richmond stehen unter Aufsicht des Provostmarschalls und seiner Beigeordneten. Letztverflossenen August gab es deren neun, sieben fürs Militär, zwei für Personen des Civilstandes. Gefangne befanden sich damals über 7000 in Richmond. während Civilpersonen nur 200 in Haft waren. Castle Godwie ist die Vastille von Richmond. Es ist ein ehemaliger Negermarkt und liegt in der Tiefe des Flußthales unter der Broadstrcet, von welcher eine Treppe dahin führt. Eingeborne und Fremde, von letzteren namentlich Deutsche, haben hier lange in Hast gesessen, und einige wurden von hier, auf ihren Särgen sitzend, nach den hübschen Anlagen nördlich von der Stadt gebracht, wo immer hin Galgen bereit steht. Der Strick wird ihnen um den Hals gelegt, der Karren fortgetrieben, und der arme Sünder hängt zwischen Himmel und Erde. Die Militärgefängnisse, von denen die Libby das bekannteste ist. sind '"eist verlassene Tabaksspeichcr, von Ziegeln erbaut und größtentheils geräumig, luftig und abgesperrt von andern Häusern. Die blutige sechstägige Schlacht, welche Richmond und den Süden rettete, füllte sie mit verwundeten, verstüm¬ melten und halbwahnsinnigcn Gefangnen, für welche wenig Vorbereitung zu passender Verpflegung möglich gewesen war. Die Wunden der Leidenden blieben die ganze Nacht unverbunden, und einige Leute, die nur leicht ver¬ wundet waren, lagen so lange vernachlässigt da. bis sie sich verblutet hatten. Fieberkranke warfen sich mit brennenden Lippen und wehmüthigen Phantasien Grenzboten I. 1S63. 63

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/501>, abgerufen am 14.05.2024.