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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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von der Heimath stundenlang herum, und einige, welche starben, blieben tage¬
lang unbeerdigt, in schrecklicher Genossenschaft mit den Lebenden. Alle litten
Hunger. Es stellten sich ansteckende Krankheiten ein. Unter den rohen und
verzweifelten Menschen kam es zu Lastern und Verbrechen aller Art. Einige ver¬
trieben sich die Zeit mit Karten und Würfeln, andere bestasten die Kameraden,
die Hülflos dalagen, um Dinge, die sie selbst nicht wahren konnten. Als die
feindlichen Regierungen sich über eine Auswechselung der Gefangnen verstän¬
digt hatten, ließ man die Uebriggebliebnen in Abtheilungen nach dem Flusse
Hinabmarschiren und schiffte sie dort ein. Zerlumpt, halb erfroren, von Un¬
geziefer gepeinigt, lagerten sie sich auf das Ufer und schauten sehnsüchtig nach
dem erwarteten Transportschiffe aus. Und wenn der schwarze Rumpf des Er¬
sehnten in Sicht kam, erkennbar an der weißen Flagge an der Gaffel, da
warf der Krüppel seine Krücke weg, und die Kranken wurden auf ein Weilchen
gesund.

Der Zustand der zurückgekehrten Kriegsgefangenen erregte im Norden große
Entrüstung und man gab den richmonder Behörden absichtliche Grausamkeit
schuld. Unser Berichterstatter im "Cornhill Magazine" dagegen meint, diese
Behörden hätten nur nicht gethan, was sie nicht zu thun im Stande gewesen.
Ihre eignen Verwundeten füllten die Stadt und nahmen alle Aufmerksamkeit
in Anspruch, und Tausende ihrer Todten bedeckten die Schlachtfelder bei der
Stadt. Die Zahl der Aerzte war nicht groß, und man hatte fast gar keine
Arzneien. Die Gefangnen waren gewöhnlich zügellos in ihren Kundgebungen
und verhöhnten in und außer dem Gefängniß den Präsidenten Jefferson Davis
und seine Flagge. Dafür mag ihnen gelegentlich ein Hieb oder Schuß geworden
sein, aber der am besten bezeugte von diesen Fällen ist der, wo ein föderali¬
stischer Soldat, der zu den Conföderirten übergegangen und deshalb von
einem der Kriegsgefangnen ein Schurke gescholten worden war, letzteren
niederschoß.

Die Stadt ist schlecht befestigt und läßt sich in dieser Hinsicht mit Washington
nicht vergleichen. Kleine Erdschanzen krönen den Spring-, den Richmond-, den
Fuss-, den Church- und den Libbyhügel, und eine Linie von Brustwehren,
Gräben und Sümpfen umgibt die Vorstädte im Norden und Osten. Aber die
einzigen beträchtlichen Festungswerke sind so nahe bei der Stadt erbaut, daß
die weittragenden Geschütze der Föderalisten die Einwohnerschaft leicht aus
ihren Häusern hinausbvinbardiren könnten. Nach den Schlachten bei Williams-
burg und Westpoint herrschte panischer Schrecken in der Stadt. Die gesetz¬
gebenden Körperschaften vertagten sich in aller Eile, und die Bürger Nichmonds
schafften ihre Sklaven und ihre Möbel weg. Dämonie, eine Eisenbahnstation an
der Grenze von Nordcarolina, wurde zum Sitz der- Regierung erwählt, und
einige bei der Sache nicht interessirte Patrioten verkündeten schon mit prahlenden


von der Heimath stundenlang herum, und einige, welche starben, blieben tage¬
lang unbeerdigt, in schrecklicher Genossenschaft mit den Lebenden. Alle litten
Hunger. Es stellten sich ansteckende Krankheiten ein. Unter den rohen und
verzweifelten Menschen kam es zu Lastern und Verbrechen aller Art. Einige ver¬
trieben sich die Zeit mit Karten und Würfeln, andere bestasten die Kameraden,
die Hülflos dalagen, um Dinge, die sie selbst nicht wahren konnten. Als die
feindlichen Regierungen sich über eine Auswechselung der Gefangnen verstän¬
digt hatten, ließ man die Uebriggebliebnen in Abtheilungen nach dem Flusse
Hinabmarschiren und schiffte sie dort ein. Zerlumpt, halb erfroren, von Un¬
geziefer gepeinigt, lagerten sie sich auf das Ufer und schauten sehnsüchtig nach
dem erwarteten Transportschiffe aus. Und wenn der schwarze Rumpf des Er¬
sehnten in Sicht kam, erkennbar an der weißen Flagge an der Gaffel, da
warf der Krüppel seine Krücke weg, und die Kranken wurden auf ein Weilchen
gesund.

Der Zustand der zurückgekehrten Kriegsgefangenen erregte im Norden große
Entrüstung und man gab den richmonder Behörden absichtliche Grausamkeit
schuld. Unser Berichterstatter im „Cornhill Magazine" dagegen meint, diese
Behörden hätten nur nicht gethan, was sie nicht zu thun im Stande gewesen.
Ihre eignen Verwundeten füllten die Stadt und nahmen alle Aufmerksamkeit
in Anspruch, und Tausende ihrer Todten bedeckten die Schlachtfelder bei der
Stadt. Die Zahl der Aerzte war nicht groß, und man hatte fast gar keine
Arzneien. Die Gefangnen waren gewöhnlich zügellos in ihren Kundgebungen
und verhöhnten in und außer dem Gefängniß den Präsidenten Jefferson Davis
und seine Flagge. Dafür mag ihnen gelegentlich ein Hieb oder Schuß geworden
sein, aber der am besten bezeugte von diesen Fällen ist der, wo ein föderali¬
stischer Soldat, der zu den Conföderirten übergegangen und deshalb von
einem der Kriegsgefangnen ein Schurke gescholten worden war, letzteren
niederschoß.

Die Stadt ist schlecht befestigt und läßt sich in dieser Hinsicht mit Washington
nicht vergleichen. Kleine Erdschanzen krönen den Spring-, den Richmond-, den
Fuss-, den Church- und den Libbyhügel, und eine Linie von Brustwehren,
Gräben und Sümpfen umgibt die Vorstädte im Norden und Osten. Aber die
einzigen beträchtlichen Festungswerke sind so nahe bei der Stadt erbaut, daß
die weittragenden Geschütze der Föderalisten die Einwohnerschaft leicht aus
ihren Häusern hinausbvinbardiren könnten. Nach den Schlachten bei Williams-
burg und Westpoint herrschte panischer Schrecken in der Stadt. Die gesetz¬
gebenden Körperschaften vertagten sich in aller Eile, und die Bürger Nichmonds
schafften ihre Sklaven und ihre Möbel weg. Dämonie, eine Eisenbahnstation an
der Grenze von Nordcarolina, wurde zum Sitz der- Regierung erwählt, und
einige bei der Sache nicht interessirte Patrioten verkündeten schon mit prahlenden


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[0502] von der Heimath stundenlang herum, und einige, welche starben, blieben tage¬ lang unbeerdigt, in schrecklicher Genossenschaft mit den Lebenden. Alle litten Hunger. Es stellten sich ansteckende Krankheiten ein. Unter den rohen und verzweifelten Menschen kam es zu Lastern und Verbrechen aller Art. Einige ver¬ trieben sich die Zeit mit Karten und Würfeln, andere bestasten die Kameraden, die Hülflos dalagen, um Dinge, die sie selbst nicht wahren konnten. Als die feindlichen Regierungen sich über eine Auswechselung der Gefangnen verstän¬ digt hatten, ließ man die Uebriggebliebnen in Abtheilungen nach dem Flusse Hinabmarschiren und schiffte sie dort ein. Zerlumpt, halb erfroren, von Un¬ geziefer gepeinigt, lagerten sie sich auf das Ufer und schauten sehnsüchtig nach dem erwarteten Transportschiffe aus. Und wenn der schwarze Rumpf des Er¬ sehnten in Sicht kam, erkennbar an der weißen Flagge an der Gaffel, da warf der Krüppel seine Krücke weg, und die Kranken wurden auf ein Weilchen gesund. Der Zustand der zurückgekehrten Kriegsgefangenen erregte im Norden große Entrüstung und man gab den richmonder Behörden absichtliche Grausamkeit schuld. Unser Berichterstatter im „Cornhill Magazine" dagegen meint, diese Behörden hätten nur nicht gethan, was sie nicht zu thun im Stande gewesen. Ihre eignen Verwundeten füllten die Stadt und nahmen alle Aufmerksamkeit in Anspruch, und Tausende ihrer Todten bedeckten die Schlachtfelder bei der Stadt. Die Zahl der Aerzte war nicht groß, und man hatte fast gar keine Arzneien. Die Gefangnen waren gewöhnlich zügellos in ihren Kundgebungen und verhöhnten in und außer dem Gefängniß den Präsidenten Jefferson Davis und seine Flagge. Dafür mag ihnen gelegentlich ein Hieb oder Schuß geworden sein, aber der am besten bezeugte von diesen Fällen ist der, wo ein föderali¬ stischer Soldat, der zu den Conföderirten übergegangen und deshalb von einem der Kriegsgefangnen ein Schurke gescholten worden war, letzteren niederschoß. Die Stadt ist schlecht befestigt und läßt sich in dieser Hinsicht mit Washington nicht vergleichen. Kleine Erdschanzen krönen den Spring-, den Richmond-, den Fuss-, den Church- und den Libbyhügel, und eine Linie von Brustwehren, Gräben und Sümpfen umgibt die Vorstädte im Norden und Osten. Aber die einzigen beträchtlichen Festungswerke sind so nahe bei der Stadt erbaut, daß die weittragenden Geschütze der Föderalisten die Einwohnerschaft leicht aus ihren Häusern hinausbvinbardiren könnten. Nach den Schlachten bei Williams- burg und Westpoint herrschte panischer Schrecken in der Stadt. Die gesetz¬ gebenden Körperschaften vertagten sich in aller Eile, und die Bürger Nichmonds schafften ihre Sklaven und ihre Möbel weg. Dämonie, eine Eisenbahnstation an der Grenze von Nordcarolina, wurde zum Sitz der- Regierung erwählt, und einige bei der Sache nicht interessirte Patrioten verkündeten schon mit prahlenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/502>, abgerufen am 14.05.2024.