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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Ueberall sieht man die Folgen des Kriegs in den mannigfaltigsten Erschei¬
nungen vertreten. In den Hotels lungern mit breiten Bandelieren und riesigen
Sporen Herren von der Familie Bramarbas herum. Viele Läden sind ge¬
schlossen, ebenso die meisten Fabriken. Die Schulen haben fortwährende Ferien.
Auf den schattigen Promenaden stecken alte Leute die Köpfe zusammen, um
sich über die gute alte und die böse neue Zeit zu unterhalten und die Achseln
zu zucken. Die Negerweiber kreischen entzückt über vorübermarschircnde Musik
und versuchen zugleich bei Gelegenheit, trotz der Schildwachen nach dem Norden,
der terrg. ilreogriita, ihrer Träume, zu entwischen, was gar oft gelingt. Dann
wieder bemerkt man die ernstere Seite des Kriegs. Tausende von Arbeitern
bauen seltsam construirte schwimmende Batterien für den Fluß oder gießen in
den Trcdegarworks große Kanonen und Mörser. Buntscheckige Züge -von
Transportfuhrwerken, Pulver- und Proviantwagen poltern über die Brücken und
bewegen sich in unabsehbaren Linien auf den Landstraßen hin. Haufen von
Schwarzen werden, von Wachen mit geladenem Gewehr begleitet, nach der
und jener Stelle geführt, um Verschanzungen aufzuwerfen oder andere Arbeiten
für die Negierung zu fördern. Regimenter auf Regimenter, alle in "nomespull
ÄNÄ buttsrnut,"*) gekleidet, schleppen sich in Staubwolken gehüllt, müde und
oft ohne Schuh werk durch die Stadt nach entfernten Feldlagern.

Der Krieg sieht uns ferner aus den Fenstern von Kirchen an, die in La-
zarethe verwandelt sind. Er zeigt uns seine Noth in den zahlreichen Krüppeln,
welche an den Straßen betteln, in den vielen Trauerflören, die uns begegnen,
in den von Fieber glühenden Augen der auf Wagen herbeigeschafften Soldaten.
Er ruft uns in dem Geschrei der Zeitungsjungen Kunde von neuem Blutver¬
gießen, neuem Brudermord zu.

Richmond ist durch den Krieg nicht weniger verwandelt worden wie
Washington. Aber es unterscheidet sich von diesem zu seinem Vortheil wenig¬
stens in einer wichtigen Beziehung. Es steht unter festerer, energischerer Hand,
und seine dürftigen Hülfsquellen werden besser benutzt. Washington ist von
Spitzbuben, Kundschaftern und Demagogen von Profession überlaufen. Rich¬
mond wird streng unter dem Kriegsgesetz regiert, und alle Verhältnisse durch¬
dringt ein oberster Wille, der nicht mit sich scherzen läßt.

Wenn endlich, wozu jetzt entschiedene Aussicht vorhanden ist, friedliche
Gedanken die Oberhand in der Union gewinnen, und der Potomac die Grenz¬
linie zwischen den uneins gewordenen ehemaligen Vereinigten Staaten bildet,
so wird Richmond vielleicht die erste Binnenstadt des Südens werden. Aber



*) Homespun ist ein grobes graues Gewebe von Wolle und Baumwolle, wie es die
Frauen der Farmer selbst machen, buttorrmt die Farbe des grünen Kragens und Aufschlags
an der Montur des conföderirtcn Soldaten.

Ueberall sieht man die Folgen des Kriegs in den mannigfaltigsten Erschei¬
nungen vertreten. In den Hotels lungern mit breiten Bandelieren und riesigen
Sporen Herren von der Familie Bramarbas herum. Viele Läden sind ge¬
schlossen, ebenso die meisten Fabriken. Die Schulen haben fortwährende Ferien.
Auf den schattigen Promenaden stecken alte Leute die Köpfe zusammen, um
sich über die gute alte und die böse neue Zeit zu unterhalten und die Achseln
zu zucken. Die Negerweiber kreischen entzückt über vorübermarschircnde Musik
und versuchen zugleich bei Gelegenheit, trotz der Schildwachen nach dem Norden,
der terrg. ilreogriita, ihrer Träume, zu entwischen, was gar oft gelingt. Dann
wieder bemerkt man die ernstere Seite des Kriegs. Tausende von Arbeitern
bauen seltsam construirte schwimmende Batterien für den Fluß oder gießen in
den Trcdegarworks große Kanonen und Mörser. Buntscheckige Züge -von
Transportfuhrwerken, Pulver- und Proviantwagen poltern über die Brücken und
bewegen sich in unabsehbaren Linien auf den Landstraßen hin. Haufen von
Schwarzen werden, von Wachen mit geladenem Gewehr begleitet, nach der
und jener Stelle geführt, um Verschanzungen aufzuwerfen oder andere Arbeiten
für die Negierung zu fördern. Regimenter auf Regimenter, alle in „nomespull
ÄNÄ buttsrnut,"*) gekleidet, schleppen sich in Staubwolken gehüllt, müde und
oft ohne Schuh werk durch die Stadt nach entfernten Feldlagern.

Der Krieg sieht uns ferner aus den Fenstern von Kirchen an, die in La-
zarethe verwandelt sind. Er zeigt uns seine Noth in den zahlreichen Krüppeln,
welche an den Straßen betteln, in den vielen Trauerflören, die uns begegnen,
in den von Fieber glühenden Augen der auf Wagen herbeigeschafften Soldaten.
Er ruft uns in dem Geschrei der Zeitungsjungen Kunde von neuem Blutver¬
gießen, neuem Brudermord zu.

Richmond ist durch den Krieg nicht weniger verwandelt worden wie
Washington. Aber es unterscheidet sich von diesem zu seinem Vortheil wenig¬
stens in einer wichtigen Beziehung. Es steht unter festerer, energischerer Hand,
und seine dürftigen Hülfsquellen werden besser benutzt. Washington ist von
Spitzbuben, Kundschaftern und Demagogen von Profession überlaufen. Rich¬
mond wird streng unter dem Kriegsgesetz regiert, und alle Verhältnisse durch¬
dringt ein oberster Wille, der nicht mit sich scherzen läßt.

Wenn endlich, wozu jetzt entschiedene Aussicht vorhanden ist, friedliche
Gedanken die Oberhand in der Union gewinnen, und der Potomac die Grenz¬
linie zwischen den uneins gewordenen ehemaligen Vereinigten Staaten bildet,
so wird Richmond vielleicht die erste Binnenstadt des Südens werden. Aber



*) Homespun ist ein grobes graues Gewebe von Wolle und Baumwolle, wie es die
Frauen der Farmer selbst machen, buttorrmt die Farbe des grünen Kragens und Aufschlags
an der Montur des conföderirtcn Soldaten.
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[0504] Ueberall sieht man die Folgen des Kriegs in den mannigfaltigsten Erschei¬ nungen vertreten. In den Hotels lungern mit breiten Bandelieren und riesigen Sporen Herren von der Familie Bramarbas herum. Viele Läden sind ge¬ schlossen, ebenso die meisten Fabriken. Die Schulen haben fortwährende Ferien. Auf den schattigen Promenaden stecken alte Leute die Köpfe zusammen, um sich über die gute alte und die böse neue Zeit zu unterhalten und die Achseln zu zucken. Die Negerweiber kreischen entzückt über vorübermarschircnde Musik und versuchen zugleich bei Gelegenheit, trotz der Schildwachen nach dem Norden, der terrg. ilreogriita, ihrer Träume, zu entwischen, was gar oft gelingt. Dann wieder bemerkt man die ernstere Seite des Kriegs. Tausende von Arbeitern bauen seltsam construirte schwimmende Batterien für den Fluß oder gießen in den Trcdegarworks große Kanonen und Mörser. Buntscheckige Züge -von Transportfuhrwerken, Pulver- und Proviantwagen poltern über die Brücken und bewegen sich in unabsehbaren Linien auf den Landstraßen hin. Haufen von Schwarzen werden, von Wachen mit geladenem Gewehr begleitet, nach der und jener Stelle geführt, um Verschanzungen aufzuwerfen oder andere Arbeiten für die Negierung zu fördern. Regimenter auf Regimenter, alle in „nomespull ÄNÄ buttsrnut,"*) gekleidet, schleppen sich in Staubwolken gehüllt, müde und oft ohne Schuh werk durch die Stadt nach entfernten Feldlagern. Der Krieg sieht uns ferner aus den Fenstern von Kirchen an, die in La- zarethe verwandelt sind. Er zeigt uns seine Noth in den zahlreichen Krüppeln, welche an den Straßen betteln, in den vielen Trauerflören, die uns begegnen, in den von Fieber glühenden Augen der auf Wagen herbeigeschafften Soldaten. Er ruft uns in dem Geschrei der Zeitungsjungen Kunde von neuem Blutver¬ gießen, neuem Brudermord zu. Richmond ist durch den Krieg nicht weniger verwandelt worden wie Washington. Aber es unterscheidet sich von diesem zu seinem Vortheil wenig¬ stens in einer wichtigen Beziehung. Es steht unter festerer, energischerer Hand, und seine dürftigen Hülfsquellen werden besser benutzt. Washington ist von Spitzbuben, Kundschaftern und Demagogen von Profession überlaufen. Rich¬ mond wird streng unter dem Kriegsgesetz regiert, und alle Verhältnisse durch¬ dringt ein oberster Wille, der nicht mit sich scherzen läßt. Wenn endlich, wozu jetzt entschiedene Aussicht vorhanden ist, friedliche Gedanken die Oberhand in der Union gewinnen, und der Potomac die Grenz¬ linie zwischen den uneins gewordenen ehemaligen Vereinigten Staaten bildet, so wird Richmond vielleicht die erste Binnenstadt des Südens werden. Aber *) Homespun ist ein grobes graues Gewebe von Wolle und Baumwolle, wie es die Frauen der Farmer selbst machen, buttorrmt die Farbe des grünen Kragens und Aufschlags an der Montur des conföderirtcn Soldaten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/504>, abgerufen am 14.05.2024.