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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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"Das ist ein seltsames Stück Papier. Ich denke wie Ew. Durchlaucht
darüber*), aber andrerseits ist es gewiß, daß der Verfasser nie in Frankreich
war und daß es diesem Menschen an Geist nicht fehlte. Ich würde versucht sein
zu glauben, daß es eine Schrift ist, die man dem großen Friedrich, bevor er
sie noch ausbessern konnte, gestohlen und nachher gefälscht hat, indem man ihn
mit einer über alle Wahrscheinlichkeit hinausgehenden Aufrichtigkeit sprechen
läßt. Denn die erste aller Eigenschaften eines Fürsten, der diese Grundsätze
hätte, wäre, sie mit der tiefsten Verstellung zu verbergen. Von dem Augen¬
blick an, da man ihn für den Verfasser dieser Nu-tiiwes hielte, müßte man
ihn als verrückt betrachten. Man muß aber auch zugestehen, daß, wenn es
ein Streich ist, den man ihm spielen wollte, man das Ziel durchaus verfehlt
hat. Denn aus diesen Nirtin^W ergibt sich, daß ein solcher Fürst, wie man
dort sprechen läßt, doch noch ein großer Fürst wäre."

Grimm hielt es, nachdem er auch die sechste und siebente, mehr sachliche
Nktiiws gelesen hatte, für möglich, daß vielleicht eigenhändige Aufzeichnungen
des Königs für die Ng-tinvös benutzt und durch die Hand des Fälschers in
jenes Carricaturbild verwandelt sein möchten.

Man muß zugestehen, daß die Annahme TlMbaults und Grimms an sich
nichts Unwahrscheinliches hat. Wenn man mit Ersterem die von Personen
seiner Umgebung herrührende Aufzeichnung mündlicher und gelegentlicher Aeuße¬
rungen des Königs unterstellt, so kann man sogar sehr weit gehen; denn der
König liebte bei seiner Disputirlust, namentlich seinen Tischgenossen gegenüber,
scherzweise die gewagtesten Behauptungen aufzustellen.

Indessen liegt auch andrerseits für diese Annahme kein Grund vor. Wenn
Grimm versucht war, sie aufzustellen, weil die Schrift voll unfranzösischer
Sprachwendungen sei, so bedachte er nicht, daß die modernen Fälscher antiker
Münzen nicht blos das Original nachahmen, sondern ihrer Arbeit auch die
Beschädigungen künstlich zufügen, welche bei der echten Münze durch Umlauf
und Alter auf natürlichem Wege zu entstehen Pflegen. Im Uebrigen, basn't
jene Hypothese nur auf dem Satze des täglichen Lebens, "daß doch etwas
daran sein werde" -- ein Satz, den die Erfahrung ebenso oft widerlegt, als
bestätigt.

Gegen diese Hypothese sprechen aber Gründe, die Grimm bei dem ersten
Hervortreten der Natiii6<zg noch nicht kannte. Wenn irgendwelche Aufzeich¬
nungen des Königs in die NatinttLS verwebt waren, so hatte der König
allen Grund, bei jener Zurückweisung seiner Autorschaft in den öffentlichen
Blättern den Sachverhalt einfach angeben zu lassen.

Andrerseits aber kennen wir heute die schriftstellerischen Arbeiten des



') Der Brief der Herzogin hat sich nicht erhalten.

„Das ist ein seltsames Stück Papier. Ich denke wie Ew. Durchlaucht
darüber*), aber andrerseits ist es gewiß, daß der Verfasser nie in Frankreich
war und daß es diesem Menschen an Geist nicht fehlte. Ich würde versucht sein
zu glauben, daß es eine Schrift ist, die man dem großen Friedrich, bevor er
sie noch ausbessern konnte, gestohlen und nachher gefälscht hat, indem man ihn
mit einer über alle Wahrscheinlichkeit hinausgehenden Aufrichtigkeit sprechen
läßt. Denn die erste aller Eigenschaften eines Fürsten, der diese Grundsätze
hätte, wäre, sie mit der tiefsten Verstellung zu verbergen. Von dem Augen¬
blick an, da man ihn für den Verfasser dieser Nu-tiiwes hielte, müßte man
ihn als verrückt betrachten. Man muß aber auch zugestehen, daß, wenn es
ein Streich ist, den man ihm spielen wollte, man das Ziel durchaus verfehlt
hat. Denn aus diesen Nirtin^W ergibt sich, daß ein solcher Fürst, wie man
dort sprechen läßt, doch noch ein großer Fürst wäre."

Grimm hielt es, nachdem er auch die sechste und siebente, mehr sachliche
Nktiiws gelesen hatte, für möglich, daß vielleicht eigenhändige Aufzeichnungen
des Königs für die Ng-tinvös benutzt und durch die Hand des Fälschers in
jenes Carricaturbild verwandelt sein möchten.

Man muß zugestehen, daß die Annahme TlMbaults und Grimms an sich
nichts Unwahrscheinliches hat. Wenn man mit Ersterem die von Personen
seiner Umgebung herrührende Aufzeichnung mündlicher und gelegentlicher Aeuße¬
rungen des Königs unterstellt, so kann man sogar sehr weit gehen; denn der
König liebte bei seiner Disputirlust, namentlich seinen Tischgenossen gegenüber,
scherzweise die gewagtesten Behauptungen aufzustellen.

Indessen liegt auch andrerseits für diese Annahme kein Grund vor. Wenn
Grimm versucht war, sie aufzustellen, weil die Schrift voll unfranzösischer
Sprachwendungen sei, so bedachte er nicht, daß die modernen Fälscher antiker
Münzen nicht blos das Original nachahmen, sondern ihrer Arbeit auch die
Beschädigungen künstlich zufügen, welche bei der echten Münze durch Umlauf
und Alter auf natürlichem Wege zu entstehen Pflegen. Im Uebrigen, basn't
jene Hypothese nur auf dem Satze des täglichen Lebens, „daß doch etwas
daran sein werde" — ein Satz, den die Erfahrung ebenso oft widerlegt, als
bestätigt.

Gegen diese Hypothese sprechen aber Gründe, die Grimm bei dem ersten
Hervortreten der Natiii6<zg noch nicht kannte. Wenn irgendwelche Aufzeich¬
nungen des Königs in die NatinttLS verwebt waren, so hatte der König
allen Grund, bei jener Zurückweisung seiner Autorschaft in den öffentlichen
Blättern den Sachverhalt einfach angeben zu lassen.

Andrerseits aber kennen wir heute die schriftstellerischen Arbeiten des



') Der Brief der Herzogin hat sich nicht erhalten.
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[0522] „Das ist ein seltsames Stück Papier. Ich denke wie Ew. Durchlaucht darüber*), aber andrerseits ist es gewiß, daß der Verfasser nie in Frankreich war und daß es diesem Menschen an Geist nicht fehlte. Ich würde versucht sein zu glauben, daß es eine Schrift ist, die man dem großen Friedrich, bevor er sie noch ausbessern konnte, gestohlen und nachher gefälscht hat, indem man ihn mit einer über alle Wahrscheinlichkeit hinausgehenden Aufrichtigkeit sprechen läßt. Denn die erste aller Eigenschaften eines Fürsten, der diese Grundsätze hätte, wäre, sie mit der tiefsten Verstellung zu verbergen. Von dem Augen¬ blick an, da man ihn für den Verfasser dieser Nu-tiiwes hielte, müßte man ihn als verrückt betrachten. Man muß aber auch zugestehen, daß, wenn es ein Streich ist, den man ihm spielen wollte, man das Ziel durchaus verfehlt hat. Denn aus diesen Nirtin^W ergibt sich, daß ein solcher Fürst, wie man dort sprechen läßt, doch noch ein großer Fürst wäre." Grimm hielt es, nachdem er auch die sechste und siebente, mehr sachliche Nktiiws gelesen hatte, für möglich, daß vielleicht eigenhändige Aufzeichnungen des Königs für die Ng-tinvös benutzt und durch die Hand des Fälschers in jenes Carricaturbild verwandelt sein möchten. Man muß zugestehen, daß die Annahme TlMbaults und Grimms an sich nichts Unwahrscheinliches hat. Wenn man mit Ersterem die von Personen seiner Umgebung herrührende Aufzeichnung mündlicher und gelegentlicher Aeuße¬ rungen des Königs unterstellt, so kann man sogar sehr weit gehen; denn der König liebte bei seiner Disputirlust, namentlich seinen Tischgenossen gegenüber, scherzweise die gewagtesten Behauptungen aufzustellen. Indessen liegt auch andrerseits für diese Annahme kein Grund vor. Wenn Grimm versucht war, sie aufzustellen, weil die Schrift voll unfranzösischer Sprachwendungen sei, so bedachte er nicht, daß die modernen Fälscher antiker Münzen nicht blos das Original nachahmen, sondern ihrer Arbeit auch die Beschädigungen künstlich zufügen, welche bei der echten Münze durch Umlauf und Alter auf natürlichem Wege zu entstehen Pflegen. Im Uebrigen, basn't jene Hypothese nur auf dem Satze des täglichen Lebens, „daß doch etwas daran sein werde" — ein Satz, den die Erfahrung ebenso oft widerlegt, als bestätigt. Gegen diese Hypothese sprechen aber Gründe, die Grimm bei dem ersten Hervortreten der Natiii6<zg noch nicht kannte. Wenn irgendwelche Aufzeich¬ nungen des Königs in die NatinttLS verwebt waren, so hatte der König allen Grund, bei jener Zurückweisung seiner Autorschaft in den öffentlichen Blättern den Sachverhalt einfach angeben zu lassen. Andrerseits aber kennen wir heute die schriftstellerischen Arbeiten des ') Der Brief der Herzogin hat sich nicht erhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/522>, abgerufen am 14.05.2024.