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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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dem hiesigen Lande", so konnte das mecklenburgische Gesammtministerium in
einem Schreiben an die provisorische Bundes-Central-Commission vom 19. Ja¬
nuar 1850 mit Recht behaupten. Die Unruhe begann erst wieder, als in dem
bekannten Wege das eben erst gelegte Fundament wieder zerstört und die alte
Ritter- und Landschaft wieder ins Dasein gerufen ward. Und wenn die da¬
durch geschaffene innere Zerrissenheit nicht sofort in deutlichen Symptomen
hervortrat, so lag dies theils an den strengen Maßregeln, durch welche die zur
Herrschaft gelangte Partei ihre Gegner zum Schweigen brachte, theils an der
allgemeinen Abspannung. Naturgemäß aber mußte schon nach Verlauf einiger
Jahre das Verlangen des Volkes nach einer Rückkehr zu der ihm verheißenen
constitutionellen Verfassung wieder hervortreten, und es ist nicht eine Umsturz¬
tendenz, sondern die klarste Gewißheit von dem Bedürfnisse des Landes, was
seitdem mit steigender Kraft die Wiederherstellung des von der Adelspartei
unter der Maske von Rechtsformen gestürzten Staatsgrundgesetzes fordert und
auch nicht eher davon ablassen wird als bis das Ziel erreicht ist. Wie wäre
es auch wohl möglich, anzunehmen, daß die 82 Rittergutsbesitzer, welche im
Jahre 1860 den Antrag auf Wiedereinführung einer Repräsentativverfassung
stellten, das aus den Handwerkszünften gebildete zweite bürgerschastliche Quar¬
tier zu Rostock, welches im Anschluß an den Antrag der 82 die Verfassung
von 1849 zurückforderte, und so viele andere Körperschaften und Personen,
welche zu den ruheliebendsten und conservativsten Elementen im Staate gehö¬
ren, in diesem Punkte Umsturztendenzen huldigen sollten? Man will nichts
weiter als von der Herrschaft der Adelspartei frei werden, welche auf dem
Landtage die ihr nicht genehmen Anträge nicht einmal zur Verhandlung zuläßt,
und welche gerade die in der ganzen Geschichte Mecklenburgs erkennbare Partei
ist, die "allen gesunden Fortschritt hindert und unmöglich macht".

Die Rede des Großherzogs, anfangs von Mund zu Munde sich verbrei¬
tend, ward demnächst in dem ministeriellen Organ, "Norddeutscher Correspon-
dent" genannt, in der obigen authentischen Fassung veröffentlicht. Aus dem
nach Mittheilung der Rede kurz abbrechenden Bericht dieses Blattes hätte man
folgern sollen, daß der Großherzog sofort nach deren Beendigung die Depu¬
tation entlassen habe. Es verlautete aber nachträglich, daß dies keineswegs der
Fall war, sondern daß der Bürgermeister Möller noch Gelegenheit zu einer
Erwiderung fand, in welcher er muthig und würdevoll die Sache des Magi¬
strats vertheidigte. Nach glaubwürdigen Nachrichten sprach er ungefähr fol¬
gende Worte: Zwar sei die Deputation nicht beauftragt, auf diese Willens¬
meinung sich zu erklären, da der Magistrat nicht gewußt habe, um was es sich
handle. Indessen wolle er doch jetzt schon darauf aufmerksam machen, daß
hier die Instruction eines Landtagsdeputirten zur Frage stehe, für deren Inhalt
der Magistrat nur Gott und seinem Gewissen verantwortlich sei. So vielen


dem hiesigen Lande", so konnte das mecklenburgische Gesammtministerium in
einem Schreiben an die provisorische Bundes-Central-Commission vom 19. Ja¬
nuar 1850 mit Recht behaupten. Die Unruhe begann erst wieder, als in dem
bekannten Wege das eben erst gelegte Fundament wieder zerstört und die alte
Ritter- und Landschaft wieder ins Dasein gerufen ward. Und wenn die da¬
durch geschaffene innere Zerrissenheit nicht sofort in deutlichen Symptomen
hervortrat, so lag dies theils an den strengen Maßregeln, durch welche die zur
Herrschaft gelangte Partei ihre Gegner zum Schweigen brachte, theils an der
allgemeinen Abspannung. Naturgemäß aber mußte schon nach Verlauf einiger
Jahre das Verlangen des Volkes nach einer Rückkehr zu der ihm verheißenen
constitutionellen Verfassung wieder hervortreten, und es ist nicht eine Umsturz¬
tendenz, sondern die klarste Gewißheit von dem Bedürfnisse des Landes, was
seitdem mit steigender Kraft die Wiederherstellung des von der Adelspartei
unter der Maske von Rechtsformen gestürzten Staatsgrundgesetzes fordert und
auch nicht eher davon ablassen wird als bis das Ziel erreicht ist. Wie wäre
es auch wohl möglich, anzunehmen, daß die 82 Rittergutsbesitzer, welche im
Jahre 1860 den Antrag auf Wiedereinführung einer Repräsentativverfassung
stellten, das aus den Handwerkszünften gebildete zweite bürgerschastliche Quar¬
tier zu Rostock, welches im Anschluß an den Antrag der 82 die Verfassung
von 1849 zurückforderte, und so viele andere Körperschaften und Personen,
welche zu den ruheliebendsten und conservativsten Elementen im Staate gehö¬
ren, in diesem Punkte Umsturztendenzen huldigen sollten? Man will nichts
weiter als von der Herrschaft der Adelspartei frei werden, welche auf dem
Landtage die ihr nicht genehmen Anträge nicht einmal zur Verhandlung zuläßt,
und welche gerade die in der ganzen Geschichte Mecklenburgs erkennbare Partei
ist, die „allen gesunden Fortschritt hindert und unmöglich macht".

Die Rede des Großherzogs, anfangs von Mund zu Munde sich verbrei¬
tend, ward demnächst in dem ministeriellen Organ, „Norddeutscher Correspon-
dent" genannt, in der obigen authentischen Fassung veröffentlicht. Aus dem
nach Mittheilung der Rede kurz abbrechenden Bericht dieses Blattes hätte man
folgern sollen, daß der Großherzog sofort nach deren Beendigung die Depu¬
tation entlassen habe. Es verlautete aber nachträglich, daß dies keineswegs der
Fall war, sondern daß der Bürgermeister Möller noch Gelegenheit zu einer
Erwiderung fand, in welcher er muthig und würdevoll die Sache des Magi¬
strats vertheidigte. Nach glaubwürdigen Nachrichten sprach er ungefähr fol¬
gende Worte: Zwar sei die Deputation nicht beauftragt, auf diese Willens¬
meinung sich zu erklären, da der Magistrat nicht gewußt habe, um was es sich
handle. Indessen wolle er doch jetzt schon darauf aufmerksam machen, daß
hier die Instruction eines Landtagsdeputirten zur Frage stehe, für deren Inhalt
der Magistrat nur Gott und seinem Gewissen verantwortlich sei. So vielen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/98>, abgerufen am 15.05.2024.