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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Ziegelhaus von Chancellorsville hinter sich hatten, von dem aus ihre Artillerie
ein heftiges Feuer eröffnete.

Die Schlacht bei Chancellorsville war für diesen Tag vorüber. Der
Verlust von Poseys und Wrights Brigade war trotz der Furchtbarkeit der
Schanzen, welche sie gestürmt, unbeträchtlich. Aber die drei Divisionen des
jacksonschen Corps Können an Todten, Verwundeten und Vermißten nicht
weniger als sechstausend Mann eingebüßt haben. Einen Anblick, wie ihn das
Innere der Schanzen, welche die Unionisten innegehabt, kurz nach deren Ver¬
treibung darbot, wünsche ich nie wieder zu haben. Mit erstaunlicher Ge¬
nauigkeit hatte Stuarts enfüirendes Feuer in ihre Reihen Lücken gerissen. In
jeder denkbaren Stellung und Lage sah ich hier zerschmettert, zerfleischt und in
kaum noch erkennbaren Stücken herumgestreut, was vor einigen Stunden noch
geathmet und sich bewegt hatte. Noch gräßlicher war das Bild, welches die
Strecke zwischen Chancellorsville und Orange Court House, wo Jackson zur Ernte
des Todes herabgestiegen war, darbot. Umgestürzte Munitionswagen. Splitter
von aufgeflogenen Protzkasten, todte und sterbende Pferde, bisweilen mit ge¬
brochenen Beinen, bisweilen mit fürchterlichen Wunden, menschliche Körper in
jeder Art von Todesqual umherliegend, von Geschossen entästete und geknickte
Bäume und -- das Schrecklichste von Allem -- ein flackerndes Lauffeuer,
welches rasch durch das Eichengebüsch um sich fraß und entsetzliche Gedanken
an die verwundet und hilflos umherliegenden Menschen erweckte, die es mit
dem qualvollsten Tode bedrohte, ließen das Blut vor Grausen gerinnen und
den Zuschauer die Augen gen Himmel richten, um einen Augenblick von der
unaussprechlichen Qual befreit zu sein, welche die Erde durch den Anblick dieser
Wahlstatt erregte.

Bald nach ein Uhr traf ich zum ersten Mal den General Lee ruhig, heiter,
gleichmüthig, ja selbst in dieser Zeit nicht ganz ohne jenen wunderlichen Humor,
von dem eine so reiche Ader durch sein Wesen geht. Auf meinen herzlichen
Glückwunsch antwortete er. daß er noch vor der Zeit käme, daß die Dinge
noch nicht auf dem Punkte wären, wo er sie gern hätte; "denn." sagte er. "wir
haben Maryes Heights verloren." Ich erfuhr dann, daß am Morgen des
Sonntags in aller Frühe die Unionisten zwei oder drei fruchtlose Versuche
gemacht hatten, diese Höhen, welche oben von dem 21. und unten aus der Wiese
vom 18. Mississippi-Regimente vertheidigt wurden, zu erstürmen. Sie hatten
dann einen Parlamentär gesandt, angeblich, um Erlaubniß zur Beerdigung
ihrer Todten und Wegbringung ihrer Verwundeten zu erbitten, in Wahrheit
aber, um sich über die Stärke der Conföderirten an dieser Stelle Gewißheit zu
verschaffen. Sie erhielten die Erlaubniß von Oberst Griffin. Aber kaum war
der Parlamentär zurückgekehrt, als aus Fredericksburg drei starke Heersäulen
der Yankees, zusammen gegen 20,000 Mann, debouchirten und im Laufschritt auf


Ziegelhaus von Chancellorsville hinter sich hatten, von dem aus ihre Artillerie
ein heftiges Feuer eröffnete.

Die Schlacht bei Chancellorsville war für diesen Tag vorüber. Der
Verlust von Poseys und Wrights Brigade war trotz der Furchtbarkeit der
Schanzen, welche sie gestürmt, unbeträchtlich. Aber die drei Divisionen des
jacksonschen Corps Können an Todten, Verwundeten und Vermißten nicht
weniger als sechstausend Mann eingebüßt haben. Einen Anblick, wie ihn das
Innere der Schanzen, welche die Unionisten innegehabt, kurz nach deren Ver¬
treibung darbot, wünsche ich nie wieder zu haben. Mit erstaunlicher Ge¬
nauigkeit hatte Stuarts enfüirendes Feuer in ihre Reihen Lücken gerissen. In
jeder denkbaren Stellung und Lage sah ich hier zerschmettert, zerfleischt und in
kaum noch erkennbaren Stücken herumgestreut, was vor einigen Stunden noch
geathmet und sich bewegt hatte. Noch gräßlicher war das Bild, welches die
Strecke zwischen Chancellorsville und Orange Court House, wo Jackson zur Ernte
des Todes herabgestiegen war, darbot. Umgestürzte Munitionswagen. Splitter
von aufgeflogenen Protzkasten, todte und sterbende Pferde, bisweilen mit ge¬
brochenen Beinen, bisweilen mit fürchterlichen Wunden, menschliche Körper in
jeder Art von Todesqual umherliegend, von Geschossen entästete und geknickte
Bäume und — das Schrecklichste von Allem — ein flackerndes Lauffeuer,
welches rasch durch das Eichengebüsch um sich fraß und entsetzliche Gedanken
an die verwundet und hilflos umherliegenden Menschen erweckte, die es mit
dem qualvollsten Tode bedrohte, ließen das Blut vor Grausen gerinnen und
den Zuschauer die Augen gen Himmel richten, um einen Augenblick von der
unaussprechlichen Qual befreit zu sein, welche die Erde durch den Anblick dieser
Wahlstatt erregte.

Bald nach ein Uhr traf ich zum ersten Mal den General Lee ruhig, heiter,
gleichmüthig, ja selbst in dieser Zeit nicht ganz ohne jenen wunderlichen Humor,
von dem eine so reiche Ader durch sein Wesen geht. Auf meinen herzlichen
Glückwunsch antwortete er. daß er noch vor der Zeit käme, daß die Dinge
noch nicht auf dem Punkte wären, wo er sie gern hätte; „denn." sagte er. „wir
haben Maryes Heights verloren." Ich erfuhr dann, daß am Morgen des
Sonntags in aller Frühe die Unionisten zwei oder drei fruchtlose Versuche
gemacht hatten, diese Höhen, welche oben von dem 21. und unten aus der Wiese
vom 18. Mississippi-Regimente vertheidigt wurden, zu erstürmen. Sie hatten
dann einen Parlamentär gesandt, angeblich, um Erlaubniß zur Beerdigung
ihrer Todten und Wegbringung ihrer Verwundeten zu erbitten, in Wahrheit
aber, um sich über die Stärke der Conföderirten an dieser Stelle Gewißheit zu
verschaffen. Sie erhielten die Erlaubniß von Oberst Griffin. Aber kaum war
der Parlamentär zurückgekehrt, als aus Fredericksburg drei starke Heersäulen
der Yankees, zusammen gegen 20,000 Mann, debouchirten und im Laufschritt auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/506>, abgerufen am 02.06.2024.