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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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Der Communismus der mecklenburgischen Feudalen.

Das Naubritterthum hat nur die mittelalterliche Form abgestreift, aber
seinem Wesen nach ist es noch überall am Leben, wo eine feudale Partei
existirt. Der Ritter hat aufgehört Wegelagerer zu sein, er sprengt nicht mehr
hoch zu Roß mit eingelegter Lanze auf den friedlich daherziehenden Kaufmann
ein, er eignet sich nicht mehr mit gewaltsamer Hand fremdes Eigenthum an.
Aber der Sinn, aus welchem diese Gewaltthaten hervorgingen, ist bei ihm nicht
erloschen, der Mangel an Achtung gegen fremde Persönlichkeit, fremdes Gut,
fremden Erwerbfleiß, fremden Wohlstand ist ihm geblieben, und er hält es für
vollkommen erlaubt, die Macht, welche er besitzt, zur möglichsten Ausbeutung
der übrigen Staatsbürger für seine eigenen persönlichen und Standesinteresscn
zu gebrauchen. Wo er sich einen Einfluß auf die Gesetzgebung zu bewahren
gewußt hat, da benutzt er diese ohne Scheu, um auf Kosten seiner Mitbürger
für sein materielles Wohl zu sorgen. An keinem Lande kann man dieses commu-
nistische Wesen und Treiben der Feudalen besser studiren als an der alten festen
Burg des Junkerthums, dem Lande Mecklenburg. Einzelne Züge aus den Ver¬
handlungen des letzten Mecklenburgischen Landtages mögen die communisnsche
Tendenz der feudalen Partei in Mecklenburg, zur Lehre und Warnung Deutsch¬
lands und zur Erweckung der unentbehrlichen Hilfe für den Kampf gegenydie-
selbe. von Neuem zur Anschauung bringen.

Unter den aus dem Kreise der Ritterschaft hervorgegangenen Anträgen,
welche auf dem vorigjährigen Landtage zur Verhandlung kamen, beschäftigten
sich mehre mit den sogenannten Productenhändlcrn. So nennt man in Mecklen¬
burg die Personen in den Städten und Flecken, welche auf dem Lande umher¬
ziehend in den kleinen Wirthschaften, namentlich der Tagelöhner, Flachs, Lein¬
wand, Speck, Eier, Butter, Federvieh, auch Felle, Lumpen u. f. w. ankaufen
und dadurch eine nützliche Classe von Zwischenhändlern bilden, deren Betrieb
ebensosehr dem kleinen ländlichen Producenten wie dem städtischen Consumenten
zu Gute kommt. Für diesen Betrieb bedürfen sie einer Concession, welche ihnen
die städtischen Magistrate ertheilen, und eines Passes, den sie von den groß-
herzoglichen Steuerbehörden erhalten. Die Erlangung eines solchen Passes ist


Grenzboten I. 1864. 47
Der Communismus der mecklenburgischen Feudalen.

Das Naubritterthum hat nur die mittelalterliche Form abgestreift, aber
seinem Wesen nach ist es noch überall am Leben, wo eine feudale Partei
existirt. Der Ritter hat aufgehört Wegelagerer zu sein, er sprengt nicht mehr
hoch zu Roß mit eingelegter Lanze auf den friedlich daherziehenden Kaufmann
ein, er eignet sich nicht mehr mit gewaltsamer Hand fremdes Eigenthum an.
Aber der Sinn, aus welchem diese Gewaltthaten hervorgingen, ist bei ihm nicht
erloschen, der Mangel an Achtung gegen fremde Persönlichkeit, fremdes Gut,
fremden Erwerbfleiß, fremden Wohlstand ist ihm geblieben, und er hält es für
vollkommen erlaubt, die Macht, welche er besitzt, zur möglichsten Ausbeutung
der übrigen Staatsbürger für seine eigenen persönlichen und Standesinteresscn
zu gebrauchen. Wo er sich einen Einfluß auf die Gesetzgebung zu bewahren
gewußt hat, da benutzt er diese ohne Scheu, um auf Kosten seiner Mitbürger
für sein materielles Wohl zu sorgen. An keinem Lande kann man dieses commu-
nistische Wesen und Treiben der Feudalen besser studiren als an der alten festen
Burg des Junkerthums, dem Lande Mecklenburg. Einzelne Züge aus den Ver¬
handlungen des letzten Mecklenburgischen Landtages mögen die communisnsche
Tendenz der feudalen Partei in Mecklenburg, zur Lehre und Warnung Deutsch¬
lands und zur Erweckung der unentbehrlichen Hilfe für den Kampf gegenydie-
selbe. von Neuem zur Anschauung bringen.

Unter den aus dem Kreise der Ritterschaft hervorgegangenen Anträgen,
welche auf dem vorigjährigen Landtage zur Verhandlung kamen, beschäftigten
sich mehre mit den sogenannten Productenhändlcrn. So nennt man in Mecklen¬
burg die Personen in den Städten und Flecken, welche auf dem Lande umher¬
ziehend in den kleinen Wirthschaften, namentlich der Tagelöhner, Flachs, Lein¬
wand, Speck, Eier, Butter, Federvieh, auch Felle, Lumpen u. f. w. ankaufen
und dadurch eine nützliche Classe von Zwischenhändlern bilden, deren Betrieb
ebensosehr dem kleinen ländlichen Producenten wie dem städtischen Consumenten
zu Gute kommt. Für diesen Betrieb bedürfen sie einer Concession, welche ihnen
die städtischen Magistrate ertheilen, und eines Passes, den sie von den groß-
herzoglichen Steuerbehörden erhalten. Die Erlangung eines solchen Passes ist


Grenzboten I. 1864. 47
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[0375] Der Communismus der mecklenburgischen Feudalen. Das Naubritterthum hat nur die mittelalterliche Form abgestreift, aber seinem Wesen nach ist es noch überall am Leben, wo eine feudale Partei existirt. Der Ritter hat aufgehört Wegelagerer zu sein, er sprengt nicht mehr hoch zu Roß mit eingelegter Lanze auf den friedlich daherziehenden Kaufmann ein, er eignet sich nicht mehr mit gewaltsamer Hand fremdes Eigenthum an. Aber der Sinn, aus welchem diese Gewaltthaten hervorgingen, ist bei ihm nicht erloschen, der Mangel an Achtung gegen fremde Persönlichkeit, fremdes Gut, fremden Erwerbfleiß, fremden Wohlstand ist ihm geblieben, und er hält es für vollkommen erlaubt, die Macht, welche er besitzt, zur möglichsten Ausbeutung der übrigen Staatsbürger für seine eigenen persönlichen und Standesinteresscn zu gebrauchen. Wo er sich einen Einfluß auf die Gesetzgebung zu bewahren gewußt hat, da benutzt er diese ohne Scheu, um auf Kosten seiner Mitbürger für sein materielles Wohl zu sorgen. An keinem Lande kann man dieses commu- nistische Wesen und Treiben der Feudalen besser studiren als an der alten festen Burg des Junkerthums, dem Lande Mecklenburg. Einzelne Züge aus den Ver¬ handlungen des letzten Mecklenburgischen Landtages mögen die communisnsche Tendenz der feudalen Partei in Mecklenburg, zur Lehre und Warnung Deutsch¬ lands und zur Erweckung der unentbehrlichen Hilfe für den Kampf gegenydie- selbe. von Neuem zur Anschauung bringen. Unter den aus dem Kreise der Ritterschaft hervorgegangenen Anträgen, welche auf dem vorigjährigen Landtage zur Verhandlung kamen, beschäftigten sich mehre mit den sogenannten Productenhändlcrn. So nennt man in Mecklen¬ burg die Personen in den Städten und Flecken, welche auf dem Lande umher¬ ziehend in den kleinen Wirthschaften, namentlich der Tagelöhner, Flachs, Lein¬ wand, Speck, Eier, Butter, Federvieh, auch Felle, Lumpen u. f. w. ankaufen und dadurch eine nützliche Classe von Zwischenhändlern bilden, deren Betrieb ebensosehr dem kleinen ländlichen Producenten wie dem städtischen Consumenten zu Gute kommt. Für diesen Betrieb bedürfen sie einer Concession, welche ihnen die städtischen Magistrate ertheilen, und eines Passes, den sie von den groß- herzoglichen Steuerbehörden erhalten. Die Erlangung eines solchen Passes ist Grenzboten I. 1864. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/375>, abgerufen am 15.06.2024.