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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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er noch die Offenbarung des Johannes als echt an. während die paulinischen
Briefe bei ihm noch ebenso ausgeschlossen sind, wie bei Papias.

In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts läßt dann die Spannung des
Gegensatzes nach. Das Lucas- und Johannesevangelium, wie die paulinischen
Briefe finden Eingang bei den Judenchristen, wie umgekehrt sich der Paulinis¬
mus zu Zugeständnissen genöthigt sieht. Mit dem Auftauchen der katholischen
Bestrebungen geht die allmälige Bildung eines Gesammtkanons Hand in Hand,
und das Evangelium und die apostolische Briefsammlung werden von nun an
die beiden Grundbestandtheile des neuen Testaments. Jetzt erst wird auch der
Begriff der heiligen Schrift auf die neutestamentlichen Bücher angewandt. Um
das Jahr 170 wird zum ersten Mal die Apostelgeschichte, die recht eigentlich im
Sinn der katholischen Ausgleichung verfaßt ist, erwähnt. Zwar finden sich in
dieser Zeit immer noch außerkanonische Schriften, wie z. B. die Evangelien
des Jacobus und des Petrus benutzt, und der bekannte heidnische Gegner der
Christen, Celsus (etwa 165--170) macht ihnen "och das Schwanken in der
Zahl ihrer kirchlichen Evangelien zum Vorwurf. Aber am Ende des Jahr¬
hunderts werden diese allmälig durch die kanonischen beseitigt, und zwar sind
es jetzt die mit monarchischer Gewalt an der Spitze der Gemeinden stehenden
Bischöfe, deren Autorität auch für den Gebrauch der heiligen Schriften ent¬
scheidet. Das Aufkommen der ketzerischen Sekten, die sich gleichfalls auf die
Schrift beriefen, war hierzu die Hauptveranlassung. Um ihnen wirksamer zu
begegnen, spitzte sich das Institut des Episkopats immer monarchischer zu. An
den Episkopat, d. h. an die bischöfliche Nachfolge knüpfte man sofort die Tradi¬
tion, an die Tradition die Kirchenlehre, und der Kirchenlehre gab man zur
festen, unverrückbaren Unterlage ?me Reihe schriftlicher Urkunden, den neu¬
testamentlichen Kanon.

So erscheint' denn mit den Kirchenlehrern am Ende des zweiten und zu
Anfang des dritten Jahrhunderts unser Kanon wenigstens insofern abgeschlossen,
als gegen die beiden Hauptbestandtheile der Schrift innerhall) der Kirche kein
principieller Widerspruch mehr erhoben wird, und bei Irenäus (geht. um 200)
findet sich auch der dogmatische Begriff des Kanon im Wesentlichen so vor, wie
er seitdem überhaupt in der Kirche giltig blieb. Gleichwohl fehlt es noch lange
Zeit nicht an Schwankungen, Zweifeln und einzelnen Lücken. So muß z. B.
Irenäus gestehen, daß die Echtheit des Johannesevangeliums zu seiner Zeit
noch keineswegs unbestritten feststeht, während er selbst den Brief des Judas,
den Jacobus-, den zweiten Petrus- und dritten Johannesbrief noch nicht kennt
und andrerseits noch den Hirten des Hermas als kanonisch gebraucht. So ver¬
wirft Tertullian (geht. um 220) den Hebräerbrief und kennt den Jacobusbrief
noch nicht. Der schon erwähnte muratorischc Kanon, welcher derselben Zeit
angehört, verwirft den Hebräer- und Epheserbricf. kennt die Briefe des Petrus


er noch die Offenbarung des Johannes als echt an. während die paulinischen
Briefe bei ihm noch ebenso ausgeschlossen sind, wie bei Papias.

In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts läßt dann die Spannung des
Gegensatzes nach. Das Lucas- und Johannesevangelium, wie die paulinischen
Briefe finden Eingang bei den Judenchristen, wie umgekehrt sich der Paulinis¬
mus zu Zugeständnissen genöthigt sieht. Mit dem Auftauchen der katholischen
Bestrebungen geht die allmälige Bildung eines Gesammtkanons Hand in Hand,
und das Evangelium und die apostolische Briefsammlung werden von nun an
die beiden Grundbestandtheile des neuen Testaments. Jetzt erst wird auch der
Begriff der heiligen Schrift auf die neutestamentlichen Bücher angewandt. Um
das Jahr 170 wird zum ersten Mal die Apostelgeschichte, die recht eigentlich im
Sinn der katholischen Ausgleichung verfaßt ist, erwähnt. Zwar finden sich in
dieser Zeit immer noch außerkanonische Schriften, wie z. B. die Evangelien
des Jacobus und des Petrus benutzt, und der bekannte heidnische Gegner der
Christen, Celsus (etwa 165—170) macht ihnen »och das Schwanken in der
Zahl ihrer kirchlichen Evangelien zum Vorwurf. Aber am Ende des Jahr¬
hunderts werden diese allmälig durch die kanonischen beseitigt, und zwar sind
es jetzt die mit monarchischer Gewalt an der Spitze der Gemeinden stehenden
Bischöfe, deren Autorität auch für den Gebrauch der heiligen Schriften ent¬
scheidet. Das Aufkommen der ketzerischen Sekten, die sich gleichfalls auf die
Schrift beriefen, war hierzu die Hauptveranlassung. Um ihnen wirksamer zu
begegnen, spitzte sich das Institut des Episkopats immer monarchischer zu. An
den Episkopat, d. h. an die bischöfliche Nachfolge knüpfte man sofort die Tradi¬
tion, an die Tradition die Kirchenlehre, und der Kirchenlehre gab man zur
festen, unverrückbaren Unterlage ?me Reihe schriftlicher Urkunden, den neu¬
testamentlichen Kanon.

So erscheint' denn mit den Kirchenlehrern am Ende des zweiten und zu
Anfang des dritten Jahrhunderts unser Kanon wenigstens insofern abgeschlossen,
als gegen die beiden Hauptbestandtheile der Schrift innerhall) der Kirche kein
principieller Widerspruch mehr erhoben wird, und bei Irenäus (geht. um 200)
findet sich auch der dogmatische Begriff des Kanon im Wesentlichen so vor, wie
er seitdem überhaupt in der Kirche giltig blieb. Gleichwohl fehlt es noch lange
Zeit nicht an Schwankungen, Zweifeln und einzelnen Lücken. So muß z. B.
Irenäus gestehen, daß die Echtheit des Johannesevangeliums zu seiner Zeit
noch keineswegs unbestritten feststeht, während er selbst den Brief des Judas,
den Jacobus-, den zweiten Petrus- und dritten Johannesbrief noch nicht kennt
und andrerseits noch den Hirten des Hermas als kanonisch gebraucht. So ver¬
wirft Tertullian (geht. um 220) den Hebräerbrief und kennt den Jacobusbrief
noch nicht. Der schon erwähnte muratorischc Kanon, welcher derselben Zeit
angehört, verwirft den Hebräer- und Epheserbricf. kennt die Briefe des Petrus


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[0256] er noch die Offenbarung des Johannes als echt an. während die paulinischen Briefe bei ihm noch ebenso ausgeschlossen sind, wie bei Papias. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts läßt dann die Spannung des Gegensatzes nach. Das Lucas- und Johannesevangelium, wie die paulinischen Briefe finden Eingang bei den Judenchristen, wie umgekehrt sich der Paulinis¬ mus zu Zugeständnissen genöthigt sieht. Mit dem Auftauchen der katholischen Bestrebungen geht die allmälige Bildung eines Gesammtkanons Hand in Hand, und das Evangelium und die apostolische Briefsammlung werden von nun an die beiden Grundbestandtheile des neuen Testaments. Jetzt erst wird auch der Begriff der heiligen Schrift auf die neutestamentlichen Bücher angewandt. Um das Jahr 170 wird zum ersten Mal die Apostelgeschichte, die recht eigentlich im Sinn der katholischen Ausgleichung verfaßt ist, erwähnt. Zwar finden sich in dieser Zeit immer noch außerkanonische Schriften, wie z. B. die Evangelien des Jacobus und des Petrus benutzt, und der bekannte heidnische Gegner der Christen, Celsus (etwa 165—170) macht ihnen »och das Schwanken in der Zahl ihrer kirchlichen Evangelien zum Vorwurf. Aber am Ende des Jahr¬ hunderts werden diese allmälig durch die kanonischen beseitigt, und zwar sind es jetzt die mit monarchischer Gewalt an der Spitze der Gemeinden stehenden Bischöfe, deren Autorität auch für den Gebrauch der heiligen Schriften ent¬ scheidet. Das Aufkommen der ketzerischen Sekten, die sich gleichfalls auf die Schrift beriefen, war hierzu die Hauptveranlassung. Um ihnen wirksamer zu begegnen, spitzte sich das Institut des Episkopats immer monarchischer zu. An den Episkopat, d. h. an die bischöfliche Nachfolge knüpfte man sofort die Tradi¬ tion, an die Tradition die Kirchenlehre, und der Kirchenlehre gab man zur festen, unverrückbaren Unterlage ?me Reihe schriftlicher Urkunden, den neu¬ testamentlichen Kanon. So erscheint' denn mit den Kirchenlehrern am Ende des zweiten und zu Anfang des dritten Jahrhunderts unser Kanon wenigstens insofern abgeschlossen, als gegen die beiden Hauptbestandtheile der Schrift innerhall) der Kirche kein principieller Widerspruch mehr erhoben wird, und bei Irenäus (geht. um 200) findet sich auch der dogmatische Begriff des Kanon im Wesentlichen so vor, wie er seitdem überhaupt in der Kirche giltig blieb. Gleichwohl fehlt es noch lange Zeit nicht an Schwankungen, Zweifeln und einzelnen Lücken. So muß z. B. Irenäus gestehen, daß die Echtheit des Johannesevangeliums zu seiner Zeit noch keineswegs unbestritten feststeht, während er selbst den Brief des Judas, den Jacobus-, den zweiten Petrus- und dritten Johannesbrief noch nicht kennt und andrerseits noch den Hirten des Hermas als kanonisch gebraucht. So ver¬ wirft Tertullian (geht. um 220) den Hebräerbrief und kennt den Jacobusbrief noch nicht. Der schon erwähnte muratorischc Kanon, welcher derselben Zeit angehört, verwirft den Hebräer- und Epheserbricf. kennt die Briefe des Petrus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/256>, abgerufen am 17.06.2024.