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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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unmittelbar an den Gegner gelangen zu können, er denselben nicht erst losgelassen
hätte und drei Meilen sott nach Arms marschirt wäre, sondern daß er allenfalls
die Stellung angegriffen, Missunde umsaßt, gestürmt und gleichzeitig unmittelbar
dabei z. 'B, bei Königsburg einen Uebergang versucht hätte.

Also wir sind der Ansicht, daß eine kunstgerecht geführte Schlacht in ihren
großen Zügen zu allen Zeiten dieselbe gewesen ist und daß die Verschiedenheit
nur in den Mitteln liegt, mit denen die Schlacht geführt wurde. Zu den ver¬
schiedenen Mitteln gehören auch die Menschen. Wie heute noch die Nationen
Russe. Oestreicher. Preuße. Franzose und Engländer verschieden in Charakter
und militärischer Leistung sind, so ist es auel das einzelne Volk in seinem Ent¬
wickelungsgang durch die Jahrhunderte und ost durch die Jahrzehnte. Die
Preußen Friedrichs des Großen gingen noch ganz in ihrem Könige aus. während
die Preußen der Neuzeit nach der Selbständigkeit der Individuen drängen; daher
wir damals das Heer in geschlossenen Linien ein den Feind rücken und mit
Kugel und Bajonnet um das Leben ringen sehen, während wir heute dasselbe
in Tirailleurlinien thun. Nur weil es heute Tirailleure sind, weiche jeder für
sich mit aller Intelligenz und mit allen Vortheilen, die das Terrain bietet,
kämpfen, deshalb dauert der Kampf länger, ist die einzelne Armee nicht mehr
ein in eine gewisse Stellung gefügtes und von dem Terrain mehr oder minder
abhängiges Ganze, sondern es bildet eine" lebendigen, beweglichen Körper.
Deshalb ist der Kampf schwieriger, kann nicht gleich der Angriff auf den schwäch¬
sten Punkt des Feindes hingeführt und dort concentrirt werden, sondern es
muß diese Schwäche wohl herausgefühlt werden. Es genügt uicht mehr em
künstlicher Schlachtplan, sondern das stete, lebendige Eingreifen in den Gang
der Schlacht wird nothwendig und weil diese lebendige Wirkung so schwer wird,
muß bei gleich guten Armeen das intelligentere Volk leichter siegen, muß bei
gleicher Intelligenz vor allen Dingen die Zahl den Ausschlag geben, Em Re¬
cept, wie man eine Schlacht führt, kann man ebensowenig geben, als eine
Vorschrift, wie man ein guteo Bild macht. Man kann dem Künstler nur die
Materialien und die Art ihrer Anwendung lehren, das Bild selbst muß leben¬
dig aus seinem Geiste springen, sonst ist er kein Künstler. Ebenso steht es um
den Schlachtenkünstler. Der Gang des Gefechts muß ihm aus der Kenntniß
seiner Gegner und seiner eigenen Truppen, aus der Aufstellung, dem Terrain
und aus dem ganzen Feldzugsplan herausspringen.

Und jetzt sei zum Schluß noch einmal das Zündnadelgewehr erwähnt. Aus
der oben gegebnen Gefechtsschilderung erhellt, wie groß die Gefahr ist, daß die
mit Zündnadelgewehren bewaffnete Infanterie sich rascher verschießt, und zur
"Schlacke" wird, bevor die zur vollen Gluth gekommene Hitze des Gefechts die
ganze Fülle des vorhandenen Metalls, das moralische Element, ganz heraus-


^ Grenzboten II. 1864. 10

unmittelbar an den Gegner gelangen zu können, er denselben nicht erst losgelassen
hätte und drei Meilen sott nach Arms marschirt wäre, sondern daß er allenfalls
die Stellung angegriffen, Missunde umsaßt, gestürmt und gleichzeitig unmittelbar
dabei z. 'B, bei Königsburg einen Uebergang versucht hätte.

Also wir sind der Ansicht, daß eine kunstgerecht geführte Schlacht in ihren
großen Zügen zu allen Zeiten dieselbe gewesen ist und daß die Verschiedenheit
nur in den Mitteln liegt, mit denen die Schlacht geführt wurde. Zu den ver¬
schiedenen Mitteln gehören auch die Menschen. Wie heute noch die Nationen
Russe. Oestreicher. Preuße. Franzose und Engländer verschieden in Charakter
und militärischer Leistung sind, so ist es auel das einzelne Volk in seinem Ent¬
wickelungsgang durch die Jahrhunderte und ost durch die Jahrzehnte. Die
Preußen Friedrichs des Großen gingen noch ganz in ihrem Könige aus. während
die Preußen der Neuzeit nach der Selbständigkeit der Individuen drängen; daher
wir damals das Heer in geschlossenen Linien ein den Feind rücken und mit
Kugel und Bajonnet um das Leben ringen sehen, während wir heute dasselbe
in Tirailleurlinien thun. Nur weil es heute Tirailleure sind, weiche jeder für
sich mit aller Intelligenz und mit allen Vortheilen, die das Terrain bietet,
kämpfen, deshalb dauert der Kampf länger, ist die einzelne Armee nicht mehr
ein in eine gewisse Stellung gefügtes und von dem Terrain mehr oder minder
abhängiges Ganze, sondern es bildet eine» lebendigen, beweglichen Körper.
Deshalb ist der Kampf schwieriger, kann nicht gleich der Angriff auf den schwäch¬
sten Punkt des Feindes hingeführt und dort concentrirt werden, sondern es
muß diese Schwäche wohl herausgefühlt werden. Es genügt uicht mehr em
künstlicher Schlachtplan, sondern das stete, lebendige Eingreifen in den Gang
der Schlacht wird nothwendig und weil diese lebendige Wirkung so schwer wird,
muß bei gleich guten Armeen das intelligentere Volk leichter siegen, muß bei
gleicher Intelligenz vor allen Dingen die Zahl den Ausschlag geben, Em Re¬
cept, wie man eine Schlacht führt, kann man ebensowenig geben, als eine
Vorschrift, wie man ein guteo Bild macht. Man kann dem Künstler nur die
Materialien und die Art ihrer Anwendung lehren, das Bild selbst muß leben¬
dig aus seinem Geiste springen, sonst ist er kein Künstler. Ebenso steht es um
den Schlachtenkünstler. Der Gang des Gefechts muß ihm aus der Kenntniß
seiner Gegner und seiner eigenen Truppen, aus der Aufstellung, dem Terrain
und aus dem ganzen Feldzugsplan herausspringen.

Und jetzt sei zum Schluß noch einmal das Zündnadelgewehr erwähnt. Aus
der oben gegebnen Gefechtsschilderung erhellt, wie groß die Gefahr ist, daß die
mit Zündnadelgewehren bewaffnete Infanterie sich rascher verschießt, und zur
„Schlacke" wird, bevor die zur vollen Gluth gekommene Hitze des Gefechts die
ganze Fülle des vorhandenen Metalls, das moralische Element, ganz heraus-


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[0081] unmittelbar an den Gegner gelangen zu können, er denselben nicht erst losgelassen hätte und drei Meilen sott nach Arms marschirt wäre, sondern daß er allenfalls die Stellung angegriffen, Missunde umsaßt, gestürmt und gleichzeitig unmittelbar dabei z. 'B, bei Königsburg einen Uebergang versucht hätte. Also wir sind der Ansicht, daß eine kunstgerecht geführte Schlacht in ihren großen Zügen zu allen Zeiten dieselbe gewesen ist und daß die Verschiedenheit nur in den Mitteln liegt, mit denen die Schlacht geführt wurde. Zu den ver¬ schiedenen Mitteln gehören auch die Menschen. Wie heute noch die Nationen Russe. Oestreicher. Preuße. Franzose und Engländer verschieden in Charakter und militärischer Leistung sind, so ist es auel das einzelne Volk in seinem Ent¬ wickelungsgang durch die Jahrhunderte und ost durch die Jahrzehnte. Die Preußen Friedrichs des Großen gingen noch ganz in ihrem Könige aus. während die Preußen der Neuzeit nach der Selbständigkeit der Individuen drängen; daher wir damals das Heer in geschlossenen Linien ein den Feind rücken und mit Kugel und Bajonnet um das Leben ringen sehen, während wir heute dasselbe in Tirailleurlinien thun. Nur weil es heute Tirailleure sind, weiche jeder für sich mit aller Intelligenz und mit allen Vortheilen, die das Terrain bietet, kämpfen, deshalb dauert der Kampf länger, ist die einzelne Armee nicht mehr ein in eine gewisse Stellung gefügtes und von dem Terrain mehr oder minder abhängiges Ganze, sondern es bildet eine» lebendigen, beweglichen Körper. Deshalb ist der Kampf schwieriger, kann nicht gleich der Angriff auf den schwäch¬ sten Punkt des Feindes hingeführt und dort concentrirt werden, sondern es muß diese Schwäche wohl herausgefühlt werden. Es genügt uicht mehr em künstlicher Schlachtplan, sondern das stete, lebendige Eingreifen in den Gang der Schlacht wird nothwendig und weil diese lebendige Wirkung so schwer wird, muß bei gleich guten Armeen das intelligentere Volk leichter siegen, muß bei gleicher Intelligenz vor allen Dingen die Zahl den Ausschlag geben, Em Re¬ cept, wie man eine Schlacht führt, kann man ebensowenig geben, als eine Vorschrift, wie man ein guteo Bild macht. Man kann dem Künstler nur die Materialien und die Art ihrer Anwendung lehren, das Bild selbst muß leben¬ dig aus seinem Geiste springen, sonst ist er kein Künstler. Ebenso steht es um den Schlachtenkünstler. Der Gang des Gefechts muß ihm aus der Kenntniß seiner Gegner und seiner eigenen Truppen, aus der Aufstellung, dem Terrain und aus dem ganzen Feldzugsplan herausspringen. Und jetzt sei zum Schluß noch einmal das Zündnadelgewehr erwähnt. Aus der oben gegebnen Gefechtsschilderung erhellt, wie groß die Gefahr ist, daß die mit Zündnadelgewehren bewaffnete Infanterie sich rascher verschießt, und zur „Schlacke" wird, bevor die zur vollen Gluth gekommene Hitze des Gefechts die ganze Fülle des vorhandenen Metalls, das moralische Element, ganz heraus- ^ Grenzboten II. 1864. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/81>, abgerufen am 19.05.2024.