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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Diese drei Vögte nennt uns vor Tschudi kein früherer Chronist, erst mit
jenem kommen sie zu einiger Unterscheidbarkeil, Tschudi aber stirbt Hornung
1372. Es können also die Schauspielscenen, in denen sie auftreten, gleichfalls
nicht um vieles älter sein. Und wenn ein Urner sich gegen der Urnervogt
Geßler empört, ihn aber zu Küßnach auf Schwyzerbvden erschießt, so daß da¬
mit Uri und Schwyz indirect an diesem einen Tyrannenmord Participiren, so
kommen doch auf das eine Ländchen Unterwalden zugleich zwei Vögte, die hier
überwunden werden. Unterwalden ist hiermit zu reichlich, Schwyz gar nicht
bedacht, nach dem Wesen der Dreiheit hätte auf jede der drei Waldstätte gleich'
mäßig ein besonderer Vogt und ein besonderer Eidgenosse zu fallen.

Aber diese Verwirrung über die Personen und die Zahl der Stifter des
Bundes soll noch wachsen. Das Weiße Buch im Archiv von Obwalten, das
durch G. Meyer von Knonau aufgefunden und durch Georg von Wyß 1836 ver¬
öffentlicht worden ist, läßt nicht drei Eidgenossen, sondern vier zusammen
schwören, die da wörtlich so benannt sind:

1) der Stoupacher von Switz vnd 2) Einer der Fürsten von Arc vnd
3) der vßer Melche von Vnterwalden; bald finden diese drei 4) "einen nit dem
Wald". Dasselbe berichtet auch der luzerner Stadtschreiber Rennwart Cysat,
der noch zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts lebte; er bemerkt in seinen
zu Luzern handschriftlich liegenden Collectaneen Bd L., 3^: Obwohl man ge¬
meiniglich nur drei Männer als die drei ersten Eidgenossen oder Stifter nenne,
nämlich Wilhelm Tell von Uri, Dietrich Stausacher von Schwyz und Erni
aus dem Melchthal von Unterwalden -- so seien es doch nach Angabe etlicher
Historien vier gewesen, nämlich die beiden Erstgenannten, dazu aber Erni
aus Melchthal Ob dem Wald, und als vierter Kuno ab Altzellen nit dem Wald.
Dieselben Vier nennt auch Peter Villinger. Kirchherr zu Art. welcher i. I.
1571 schrieb. (Kopp. Geschichtsblätt. 2. 336.) Diese Vierzahl rührt daher
daß sich Unterwalden bereits in einen Landestheil nit dem Kernwald und in
ein Ob dem Wald staatlich geschieden hatte. Um allen Theilen der Waldstätte
gerecht zu werden, mußten für diese zwei gesonderten unterwaldner Rhoden
auch zwei besondere Landvögte aufgestellt werden, mithin ebenso zwei Lands¬
leute aus beiden Rhoden, die sich an jenen versuchen. Doch auch damit war
noch kein Stillstand gemacht, Unterwalden schien seine eignen drei Teilen zu
verlangen, und daher nennt Ruoffs Personenverzeichniß:

Erni vß Melchtal Ob dem Wald.
Cuno ab Alzella nit dem Wald.
Vly von Gruob Ob dem Wald.

Wenn daher dann im Spiel Tell seine Mitgenossen anredet, (S. 12,1 des
Mayerschen Druckes) so nennt er sie zu Viert: Vly, Cunno. Stvffacher. Erne!

Aus demselben Grunde nun hat Ruoff unmittelbar nach der Scene ,von


25*

Diese drei Vögte nennt uns vor Tschudi kein früherer Chronist, erst mit
jenem kommen sie zu einiger Unterscheidbarkeil, Tschudi aber stirbt Hornung
1372. Es können also die Schauspielscenen, in denen sie auftreten, gleichfalls
nicht um vieles älter sein. Und wenn ein Urner sich gegen der Urnervogt
Geßler empört, ihn aber zu Küßnach auf Schwyzerbvden erschießt, so daß da¬
mit Uri und Schwyz indirect an diesem einen Tyrannenmord Participiren, so
kommen doch auf das eine Ländchen Unterwalden zugleich zwei Vögte, die hier
überwunden werden. Unterwalden ist hiermit zu reichlich, Schwyz gar nicht
bedacht, nach dem Wesen der Dreiheit hätte auf jede der drei Waldstätte gleich'
mäßig ein besonderer Vogt und ein besonderer Eidgenosse zu fallen.

Aber diese Verwirrung über die Personen und die Zahl der Stifter des
Bundes soll noch wachsen. Das Weiße Buch im Archiv von Obwalten, das
durch G. Meyer von Knonau aufgefunden und durch Georg von Wyß 1836 ver¬
öffentlicht worden ist, läßt nicht drei Eidgenossen, sondern vier zusammen
schwören, die da wörtlich so benannt sind:

1) der Stoupacher von Switz vnd 2) Einer der Fürsten von Arc vnd
3) der vßer Melche von Vnterwalden; bald finden diese drei 4) „einen nit dem
Wald". Dasselbe berichtet auch der luzerner Stadtschreiber Rennwart Cysat,
der noch zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts lebte; er bemerkt in seinen
zu Luzern handschriftlich liegenden Collectaneen Bd L., 3^: Obwohl man ge¬
meiniglich nur drei Männer als die drei ersten Eidgenossen oder Stifter nenne,
nämlich Wilhelm Tell von Uri, Dietrich Stausacher von Schwyz und Erni
aus dem Melchthal von Unterwalden — so seien es doch nach Angabe etlicher
Historien vier gewesen, nämlich die beiden Erstgenannten, dazu aber Erni
aus Melchthal Ob dem Wald, und als vierter Kuno ab Altzellen nit dem Wald.
Dieselben Vier nennt auch Peter Villinger. Kirchherr zu Art. welcher i. I.
1571 schrieb. (Kopp. Geschichtsblätt. 2. 336.) Diese Vierzahl rührt daher
daß sich Unterwalden bereits in einen Landestheil nit dem Kernwald und in
ein Ob dem Wald staatlich geschieden hatte. Um allen Theilen der Waldstätte
gerecht zu werden, mußten für diese zwei gesonderten unterwaldner Rhoden
auch zwei besondere Landvögte aufgestellt werden, mithin ebenso zwei Lands¬
leute aus beiden Rhoden, die sich an jenen versuchen. Doch auch damit war
noch kein Stillstand gemacht, Unterwalden schien seine eignen drei Teilen zu
verlangen, und daher nennt Ruoffs Personenverzeichniß:

Erni vß Melchtal Ob dem Wald.
Cuno ab Alzella nit dem Wald.
Vly von Gruob Ob dem Wald.

Wenn daher dann im Spiel Tell seine Mitgenossen anredet, (S. 12,1 des
Mayerschen Druckes) so nennt er sie zu Viert: Vly, Cunno. Stvffacher. Erne!

Aus demselben Grunde nun hat Ruoff unmittelbar nach der Scene ,von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/203>, abgerufen am 15.06.2024.