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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Geßlers Tod noch ein besonderes Zwischenspiel eingeflochten, dos ausschließlich
in Unterwalden spielt- die Eroberung von Tamm und die Vertreibung des
dortigen Schloßvogtes. Dazu beauftragt Tell den Ali von Gruob nebst sechs
Unterwaldner Bauern. Aber weder Ruoffs Stück noch das sogenannte Urner-
spiel wissen diesen Ali Gruob in Wort oder That dramatisch zu beschäftigen.
Ruoff legt ihm vor dem Bundesschwur nur die allgemeine Bravade in den
Mund:

Wozu nun dieser dritte unterwaldner Befreier und vierte Eidgenosse? Offenbar
dazu, um als überflüssiger Name an Luzern abgegeben werden zu können,
das bald als vierter Ort den drei Waldstätten beigetreten ist. Alsdann verliert
er sich für die Landesgeschichte wieder, ganz so wie sich auch Kuno von Alt¬
zellen aus der Reihe der Bundesstifter verlor und für sich den Walther Fürst
von Uri in die Eidgenossenreihe eintreten ließ. In der beabsichtigten Namens-
dreiheit der Gründer zählte man also: Staufacher, Melchthal, Kuno ab Alt-
zelleni; oder: Staufacher, Melchthal, Walther Fürst; und als ihr Obmann schloß
dann diese Dreiheit mit Recht Wilhelm Tell.

Dasselbe Wachsthum und Schwinden macht sich auch in der Zahl der
Vögte sichtbar. Der Vogt zu Schwanau im lowerzer See soll ein Jungfrauen¬
räuber gewesen und von Zwillingsbrüdern erschlagen worden sein; aber sein
Name ist verloren, und im Drama bleibt er ungebraucht, weil er der entbehrliche
vierte Vogt gewesen wäre für die drei Malstätten der drei Länder. Und so
mußte schließlich auch Wolfenschießen am Rvßberg und Landenberg zu Tamm
im Gedichte und in der Volkserinnerung dem einen Geßler weichen. Warum
letzterer hier Grisler. anstatt Geßler, heißt, dies wird im folgenden Abschnitt
besprochen werden. Tell steht entweder als Haupt über seinen drei Eidgenossen,
oder bildet innerhalb ihrer Reihe selbst ein Glied der Dreiheit; letzteres besagt
gleich die erste Strophe des Tellenliedes:

Keinem seiner vorhin genannten drei Bundesgenossen hat man ein Denkmal
errichtet; dagegen gelten ihm, dem einen, drei Kapellen: die eine in seiner
Wohnstätte Bürgem, die andere auf der Platte am See, die dritte in der
hohlen Gasse zu Küßnach. Aller guten Dinge sind drei; omno tiinum per-
fectuw! Drei Winkelriede zählt Unterwalden auf. Dreiunddreißig Mann stark
kommen die Verbündeten i. I. 1307 auf dem Rutil zusammen (Fäsi, Helvet.
Erdbeschreib. 2, ISO.) Ausdrücklich steht dasselbe ebenso in Schillers Rutil-


Geßlers Tod noch ein besonderes Zwischenspiel eingeflochten, dos ausschließlich
in Unterwalden spielt- die Eroberung von Tamm und die Vertreibung des
dortigen Schloßvogtes. Dazu beauftragt Tell den Ali von Gruob nebst sechs
Unterwaldner Bauern. Aber weder Ruoffs Stück noch das sogenannte Urner-
spiel wissen diesen Ali Gruob in Wort oder That dramatisch zu beschäftigen.
Ruoff legt ihm vor dem Bundesschwur nur die allgemeine Bravade in den
Mund:

Wozu nun dieser dritte unterwaldner Befreier und vierte Eidgenosse? Offenbar
dazu, um als überflüssiger Name an Luzern abgegeben werden zu können,
das bald als vierter Ort den drei Waldstätten beigetreten ist. Alsdann verliert
er sich für die Landesgeschichte wieder, ganz so wie sich auch Kuno von Alt¬
zellen aus der Reihe der Bundesstifter verlor und für sich den Walther Fürst
von Uri in die Eidgenossenreihe eintreten ließ. In der beabsichtigten Namens-
dreiheit der Gründer zählte man also: Staufacher, Melchthal, Kuno ab Alt-
zelleni; oder: Staufacher, Melchthal, Walther Fürst; und als ihr Obmann schloß
dann diese Dreiheit mit Recht Wilhelm Tell.

Dasselbe Wachsthum und Schwinden macht sich auch in der Zahl der
Vögte sichtbar. Der Vogt zu Schwanau im lowerzer See soll ein Jungfrauen¬
räuber gewesen und von Zwillingsbrüdern erschlagen worden sein; aber sein
Name ist verloren, und im Drama bleibt er ungebraucht, weil er der entbehrliche
vierte Vogt gewesen wäre für die drei Malstätten der drei Länder. Und so
mußte schließlich auch Wolfenschießen am Rvßberg und Landenberg zu Tamm
im Gedichte und in der Volkserinnerung dem einen Geßler weichen. Warum
letzterer hier Grisler. anstatt Geßler, heißt, dies wird im folgenden Abschnitt
besprochen werden. Tell steht entweder als Haupt über seinen drei Eidgenossen,
oder bildet innerhalb ihrer Reihe selbst ein Glied der Dreiheit; letzteres besagt
gleich die erste Strophe des Tellenliedes:

Keinem seiner vorhin genannten drei Bundesgenossen hat man ein Denkmal
errichtet; dagegen gelten ihm, dem einen, drei Kapellen: die eine in seiner
Wohnstätte Bürgem, die andere auf der Platte am See, die dritte in der
hohlen Gasse zu Küßnach. Aller guten Dinge sind drei; omno tiinum per-
fectuw! Drei Winkelriede zählt Unterwalden auf. Dreiunddreißig Mann stark
kommen die Verbündeten i. I. 1307 auf dem Rutil zusammen (Fäsi, Helvet.
Erdbeschreib. 2, ISO.) Ausdrücklich steht dasselbe ebenso in Schillers Rutil-


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[0204] Geßlers Tod noch ein besonderes Zwischenspiel eingeflochten, dos ausschließlich in Unterwalden spielt- die Eroberung von Tamm und die Vertreibung des dortigen Schloßvogtes. Dazu beauftragt Tell den Ali von Gruob nebst sechs Unterwaldner Bauern. Aber weder Ruoffs Stück noch das sogenannte Urner- spiel wissen diesen Ali Gruob in Wort oder That dramatisch zu beschäftigen. Ruoff legt ihm vor dem Bundesschwur nur die allgemeine Bravade in den Mund: Wozu nun dieser dritte unterwaldner Befreier und vierte Eidgenosse? Offenbar dazu, um als überflüssiger Name an Luzern abgegeben werden zu können, das bald als vierter Ort den drei Waldstätten beigetreten ist. Alsdann verliert er sich für die Landesgeschichte wieder, ganz so wie sich auch Kuno von Alt¬ zellen aus der Reihe der Bundesstifter verlor und für sich den Walther Fürst von Uri in die Eidgenossenreihe eintreten ließ. In der beabsichtigten Namens- dreiheit der Gründer zählte man also: Staufacher, Melchthal, Kuno ab Alt- zelleni; oder: Staufacher, Melchthal, Walther Fürst; und als ihr Obmann schloß dann diese Dreiheit mit Recht Wilhelm Tell. Dasselbe Wachsthum und Schwinden macht sich auch in der Zahl der Vögte sichtbar. Der Vogt zu Schwanau im lowerzer See soll ein Jungfrauen¬ räuber gewesen und von Zwillingsbrüdern erschlagen worden sein; aber sein Name ist verloren, und im Drama bleibt er ungebraucht, weil er der entbehrliche vierte Vogt gewesen wäre für die drei Malstätten der drei Länder. Und so mußte schließlich auch Wolfenschießen am Rvßberg und Landenberg zu Tamm im Gedichte und in der Volkserinnerung dem einen Geßler weichen. Warum letzterer hier Grisler. anstatt Geßler, heißt, dies wird im folgenden Abschnitt besprochen werden. Tell steht entweder als Haupt über seinen drei Eidgenossen, oder bildet innerhalb ihrer Reihe selbst ein Glied der Dreiheit; letzteres besagt gleich die erste Strophe des Tellenliedes: Keinem seiner vorhin genannten drei Bundesgenossen hat man ein Denkmal errichtet; dagegen gelten ihm, dem einen, drei Kapellen: die eine in seiner Wohnstätte Bürgem, die andere auf der Platte am See, die dritte in der hohlen Gasse zu Küßnach. Aller guten Dinge sind drei; omno tiinum per- fectuw! Drei Winkelriede zählt Unterwalden auf. Dreiunddreißig Mann stark kommen die Verbündeten i. I. 1307 auf dem Rutil zusammen (Fäsi, Helvet. Erdbeschreib. 2, ISO.) Ausdrücklich steht dasselbe ebenso in Schillers Rutil-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/204>, abgerufen am 21.05.2024.