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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Die Briefe an Ludwig Tieck.

Briefe an Lud wig Tieck. Ausgewählt und herausgegeben von Karl v. Holtei.
Band 1 und 2. Breslau, C. Trewendt. 1864.

Eine ziemlich neue und ungewöhnliche Erscheinung aus dem literarischen Ge¬
biete muß es genannt werden, wenn man von berühmten Männern nicht die
Briefe, die sie geschrieben, sondern die. welche sie erhalten, veröffentlicht.
Fast scheint es als ob unsrer bücherlustigen Zeit das Bewußtsein davon ab¬
handen gekommen wäre, daß nicht alles und jedes, was irgendwie mit einem
großen Namen zusammenhängt, der Verbreitung würdig ist und daß die un¬
befangene Weise, mit welcher Privatbriefe dem Publikum dargeboten werden,
leider nur zu oft den Vorwurf der Indiscretion verdient.

Das obengenannte Buch leidet in hohem Grade an jenen beiden Uebel-
ständen. Es will der Vorrede zufolge "als ein Nachtrag, ein Anhang zu
Koye'es vortrefflicher Lebensbeschreibung von L. Tieck betrachtet werden." Frei¬
lich hat der genannte Verfasser bereits alle diese Briefe durch persönliche
Mittheilung von Tieck zu seinem Buche benutzen dürfen. Es ist daher das,
was man im besten Falle nur als eine Materialiensammlung betrachten kann,
schon verwerthet und ausgebeutet. Wozu uns hier die ganze Masse des un-
gesäubertcn Erzes, unter dem sich eine gewaltige Menge tauben Gesteines findet,
noch einmal in extenso dargeboten wird, vermögen wir nicht abzusehen. Denn
man wird nicht einwenden, daß diese Briefe nicht nur für Tieck. sondern auch
für eine ganze Reihe von Helden unsrer Literaturgeschichte und von Trägern
unsrer gesammten geistigen Bewegung bezeichnend seien.

Dies würde der Fall sein können, wenn die Sammlung reicher wäre an
Inhalt und ärmer an Namen und wenn es möglich gewesen wäre, die Briefe
unverkürzt mitzutheilen. Wir müssen es dem Herausgeber allerdings nach¬
rühmen, daß "aller auf literarischen Scandal berechneter Effect" glücklich ver¬
mieden worden ist. Leider ist keineswegs in demselben Grade das Unbedeutende.
Triviale. Langweilige vermieden worden. Konnte es aber auch anders kommen?
Die mannigfaltige Individualität und die verschiedenartige phantastische Be¬
gabung unsrer dichtenden Epigonen in Ehren -- aber ihre schüchternen Jüng-


Grenzboten IV. 1864. 41
Die Briefe an Ludwig Tieck.

Briefe an Lud wig Tieck. Ausgewählt und herausgegeben von Karl v. Holtei.
Band 1 und 2. Breslau, C. Trewendt. 1864.

Eine ziemlich neue und ungewöhnliche Erscheinung aus dem literarischen Ge¬
biete muß es genannt werden, wenn man von berühmten Männern nicht die
Briefe, die sie geschrieben, sondern die. welche sie erhalten, veröffentlicht.
Fast scheint es als ob unsrer bücherlustigen Zeit das Bewußtsein davon ab¬
handen gekommen wäre, daß nicht alles und jedes, was irgendwie mit einem
großen Namen zusammenhängt, der Verbreitung würdig ist und daß die un¬
befangene Weise, mit welcher Privatbriefe dem Publikum dargeboten werden,
leider nur zu oft den Vorwurf der Indiscretion verdient.

Das obengenannte Buch leidet in hohem Grade an jenen beiden Uebel-
ständen. Es will der Vorrede zufolge „als ein Nachtrag, ein Anhang zu
Koye'es vortrefflicher Lebensbeschreibung von L. Tieck betrachtet werden." Frei¬
lich hat der genannte Verfasser bereits alle diese Briefe durch persönliche
Mittheilung von Tieck zu seinem Buche benutzen dürfen. Es ist daher das,
was man im besten Falle nur als eine Materialiensammlung betrachten kann,
schon verwerthet und ausgebeutet. Wozu uns hier die ganze Masse des un-
gesäubertcn Erzes, unter dem sich eine gewaltige Menge tauben Gesteines findet,
noch einmal in extenso dargeboten wird, vermögen wir nicht abzusehen. Denn
man wird nicht einwenden, daß diese Briefe nicht nur für Tieck. sondern auch
für eine ganze Reihe von Helden unsrer Literaturgeschichte und von Trägern
unsrer gesammten geistigen Bewegung bezeichnend seien.

Dies würde der Fall sein können, wenn die Sammlung reicher wäre an
Inhalt und ärmer an Namen und wenn es möglich gewesen wäre, die Briefe
unverkürzt mitzutheilen. Wir müssen es dem Herausgeber allerdings nach¬
rühmen, daß „aller auf literarischen Scandal berechneter Effect" glücklich ver¬
mieden worden ist. Leider ist keineswegs in demselben Grade das Unbedeutende.
Triviale. Langweilige vermieden worden. Konnte es aber auch anders kommen?
Die mannigfaltige Individualität und die verschiedenartige phantastische Be¬
gabung unsrer dichtenden Epigonen in Ehren — aber ihre schüchternen Jüng-


Grenzboten IV. 1864. 41
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[0325] Die Briefe an Ludwig Tieck. Briefe an Lud wig Tieck. Ausgewählt und herausgegeben von Karl v. Holtei. Band 1 und 2. Breslau, C. Trewendt. 1864. Eine ziemlich neue und ungewöhnliche Erscheinung aus dem literarischen Ge¬ biete muß es genannt werden, wenn man von berühmten Männern nicht die Briefe, die sie geschrieben, sondern die. welche sie erhalten, veröffentlicht. Fast scheint es als ob unsrer bücherlustigen Zeit das Bewußtsein davon ab¬ handen gekommen wäre, daß nicht alles und jedes, was irgendwie mit einem großen Namen zusammenhängt, der Verbreitung würdig ist und daß die un¬ befangene Weise, mit welcher Privatbriefe dem Publikum dargeboten werden, leider nur zu oft den Vorwurf der Indiscretion verdient. Das obengenannte Buch leidet in hohem Grade an jenen beiden Uebel- ständen. Es will der Vorrede zufolge „als ein Nachtrag, ein Anhang zu Koye'es vortrefflicher Lebensbeschreibung von L. Tieck betrachtet werden." Frei¬ lich hat der genannte Verfasser bereits alle diese Briefe durch persönliche Mittheilung von Tieck zu seinem Buche benutzen dürfen. Es ist daher das, was man im besten Falle nur als eine Materialiensammlung betrachten kann, schon verwerthet und ausgebeutet. Wozu uns hier die ganze Masse des un- gesäubertcn Erzes, unter dem sich eine gewaltige Menge tauben Gesteines findet, noch einmal in extenso dargeboten wird, vermögen wir nicht abzusehen. Denn man wird nicht einwenden, daß diese Briefe nicht nur für Tieck. sondern auch für eine ganze Reihe von Helden unsrer Literaturgeschichte und von Trägern unsrer gesammten geistigen Bewegung bezeichnend seien. Dies würde der Fall sein können, wenn die Sammlung reicher wäre an Inhalt und ärmer an Namen und wenn es möglich gewesen wäre, die Briefe unverkürzt mitzutheilen. Wir müssen es dem Herausgeber allerdings nach¬ rühmen, daß „aller auf literarischen Scandal berechneter Effect" glücklich ver¬ mieden worden ist. Leider ist keineswegs in demselben Grade das Unbedeutende. Triviale. Langweilige vermieden worden. Konnte es aber auch anders kommen? Die mannigfaltige Individualität und die verschiedenartige phantastische Be¬ gabung unsrer dichtenden Epigonen in Ehren — aber ihre schüchternen Jüng- Grenzboten IV. 1864. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/325>, abgerufen am 17.06.2024.