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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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und Angel geschwebt. "Dennoch hielten sich die Bewohner dieser Löcher sämmt¬
lich für Edelleute."

Schon auf der letzten Strecke des Wegs hatte Buch lebhafte Bedeuten
gegen die Fortsetzung dieses Marsches geäußert. Jetzt stieg die Kälte so, daß
bei der äußerst dürftigen Verpflegung die Leute oft Glieder erfroren, ein Paar
sogar dem Frost erlagen. Es wurde deshalb von dieser Expedition auch wirtlich
abgestanden. Nur Schöning sollte mit einem angemessenen Corps dem Feinde
gegen die curländische Grenze folgen. Die Landleute zeigten sich dabei sehr
behilflich; es schlossen sich den Brandenburgern sogar etlich berittene Compagnien
Polen an. Noch zweimal dans zu ernsten Treffen, zuletzt bei Tettsche, wo der
Feind, obgleich von Hunger und Krankheit mehr als decimirt, wacker Stand
hielt, aber dennoch zuletzt weichen mußte.

Der Kurfürst machte noch einen Abstecher nach Memel und war Mitte
Februar wieder in Königsberg, wo ihm die "Schüler" der Stadt (die Stu¬
denten wohl inbegriffen) ein Ständchen brachten, bei welchem über 120 Violinen
in Thätigkeit kamen. Die Revanche bestand in einer Collativn, "wo jene sich
übermäßig sättigten". Mitte März wurde die Heimkehr angetreten. In polnischen
Kleidern, die der Kurfürst -- vielleicht aus Courtoisie gegen den König von
Polen -- vor dem Eintritt in Ermland ausdrücklich anzulegen befohlen hatte,
traf er mit den Genügen und mit Buch am 28. in Berlin ein.

Er wurde durch die übelsten Nachrichten i" seine Erdtaube eingeholt. Im
Clevischen halten die Franzosen um sich gegriffen und rückten gegen Westfalen vor,
in Regensburg hatte das Reich den Frieden mit ihnen so gut wie ratisicirt.
Das war das Schlimme. Der Kurfürst hatte jetzt eben erst gezeigt, wie un¬
ermüdlich und wie schlagfertig er war, wenn es im Frischer Arbeit galt.
Jetzt war der Boden unter den Füßen morsch; was er auch crrcitern und
erstreiten mochte, die kaiserliche Politik machte alles zur Ncirrethei. "Ich sehe
wohl," schreibt Buch, "daß nicht die Fremden die größten Feinde meines un¬
vergleichlichen Herrn sind, sondern die Deutschen selbst, und zwar durch eine
bestimme Unlust;" er deutete mit richtiger Empfindung auf den instinctiven
Schauer vor Preußens Größe, der an allen deutschen Höfen schon vor 200 Jahren
lebendig war. Immer heftiger und unverschämter geberdete sich Ludwig der Vier¬
zehnte mit der Parole, nur gegen die Restitution der Schweden in Pommern vom
Kriege abzustchn, schickte er seine Armee im Juni bis an die Weser; niemand
rührte sich. Die Treffen, welche die brandenburgischen Truppen im Verein mit
Soldaten des Herzogs von Hannover bestanden, der nur dürftige Nothwehr trieb,
vermochten nicht, dauernd Einhalt zu gebieten. Es war nicht daran zu denken,
daß der Kurfürst jetzt sich den Franzosen persönlich entgegenwerfen konnte, denn
er war dann den schwedischen Angriffen aufs Neue und in viel ungünstigerer
Lage ausgesetzt, da er so gut wie völlig allein stand; sahen doch auch die Ge-


und Angel geschwebt. „Dennoch hielten sich die Bewohner dieser Löcher sämmt¬
lich für Edelleute."

Schon auf der letzten Strecke des Wegs hatte Buch lebhafte Bedeuten
gegen die Fortsetzung dieses Marsches geäußert. Jetzt stieg die Kälte so, daß
bei der äußerst dürftigen Verpflegung die Leute oft Glieder erfroren, ein Paar
sogar dem Frost erlagen. Es wurde deshalb von dieser Expedition auch wirtlich
abgestanden. Nur Schöning sollte mit einem angemessenen Corps dem Feinde
gegen die curländische Grenze folgen. Die Landleute zeigten sich dabei sehr
behilflich; es schlossen sich den Brandenburgern sogar etlich berittene Compagnien
Polen an. Noch zweimal dans zu ernsten Treffen, zuletzt bei Tettsche, wo der
Feind, obgleich von Hunger und Krankheit mehr als decimirt, wacker Stand
hielt, aber dennoch zuletzt weichen mußte.

Der Kurfürst machte noch einen Abstecher nach Memel und war Mitte
Februar wieder in Königsberg, wo ihm die „Schüler" der Stadt (die Stu¬
denten wohl inbegriffen) ein Ständchen brachten, bei welchem über 120 Violinen
in Thätigkeit kamen. Die Revanche bestand in einer Collativn, „wo jene sich
übermäßig sättigten". Mitte März wurde die Heimkehr angetreten. In polnischen
Kleidern, die der Kurfürst — vielleicht aus Courtoisie gegen den König von
Polen — vor dem Eintritt in Ermland ausdrücklich anzulegen befohlen hatte,
traf er mit den Genügen und mit Buch am 28. in Berlin ein.

Er wurde durch die übelsten Nachrichten i» seine Erdtaube eingeholt. Im
Clevischen halten die Franzosen um sich gegriffen und rückten gegen Westfalen vor,
in Regensburg hatte das Reich den Frieden mit ihnen so gut wie ratisicirt.
Das war das Schlimme. Der Kurfürst hatte jetzt eben erst gezeigt, wie un¬
ermüdlich und wie schlagfertig er war, wenn es im Frischer Arbeit galt.
Jetzt war der Boden unter den Füßen morsch; was er auch crrcitern und
erstreiten mochte, die kaiserliche Politik machte alles zur Ncirrethei. „Ich sehe
wohl," schreibt Buch, „daß nicht die Fremden die größten Feinde meines un¬
vergleichlichen Herrn sind, sondern die Deutschen selbst, und zwar durch eine
bestimme Unlust;" er deutete mit richtiger Empfindung auf den instinctiven
Schauer vor Preußens Größe, der an allen deutschen Höfen schon vor 200 Jahren
lebendig war. Immer heftiger und unverschämter geberdete sich Ludwig der Vier¬
zehnte mit der Parole, nur gegen die Restitution der Schweden in Pommern vom
Kriege abzustchn, schickte er seine Armee im Juni bis an die Weser; niemand
rührte sich. Die Treffen, welche die brandenburgischen Truppen im Verein mit
Soldaten des Herzogs von Hannover bestanden, der nur dürftige Nothwehr trieb,
vermochten nicht, dauernd Einhalt zu gebieten. Es war nicht daran zu denken,
daß der Kurfürst jetzt sich den Franzosen persönlich entgegenwerfen konnte, denn
er war dann den schwedischen Angriffen aufs Neue und in viel ungünstigerer
Lage ausgesetzt, da er so gut wie völlig allein stand; sahen doch auch die Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/476>, abgerufen am 09.06.2024.