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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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nicht das Letzte sein. Denn so lange er sich für den Messias hielt, habe er von
der persönlichen Betheiligung an der Stiftung des Reichs nicht abgehen können.
Aber er mildert die Undenkbarkeit dieser Vorstellung einmal durch die Erinne¬
rung an den weliüberwindendcn Idealismus, an den felsenfesten Glauben an
die Zukunft, der hinter dieser Hülle lag, und dann durch die Hindeutung auf
den der damaligen Judenwelt geläufigen Auscrstehungsglauben. Der Glaube
an seine Wiederkunft sei nur die eigenthümliche durch sein messianisches Be¬
wußtsein bestimmte Anwendung eines Glaubens gewesen, der allen gemein war;
die Auferstehung sollte sich an ihm blos zuerst vollziehen, und damit die Voll¬
endung des messianischen Reichs eintreten.

Colani weist vor allem, und mit Recht, die Annahme, daß jene Reden
bildlich zu nehmen seien, in ihre gebührenden Schranken zurück. Jesus habe
sich allerdings der Bildersprache und der Begriffe seiner Zeit bedienen können
und wirklich bedient, aber die Accommodation habe ihre Grenzen und niemand
könne in einem Kurs der Astronomie, wenn es sich darum handle, die Be¬
ziehungen der Sonne zur Erde darzulegen, sagen: die Sonne geht aus, die
Sonne geht unter. Und nun weist er -- nicht vom Standpunkt der psycholo¬
gischen Denkbarkeit oder Undenkbarkeit, was doch zumal bei einer so außeror¬
dentlichen Erscheinung immer eine zweifelhafte Instanz bleibt -- sondern auf
exegetischen Weg, durch Untersuchung der einzelnen Stellen, durch Vergleich der
Berichte, durch Gegenüberstellung von Worten größerer und geringerer Authentie
nach, daß jene Wiederkunftsrcden unecht seien und Jesus weder geglaubt habe,
auferweckt zu werden, noch wiederzukommen, noch dem Schlußgerichte vor-
zustehn.

Dieser negative Beweis ist überzeugend geführt. Vielleicht daß sich durch
ein ähnliches Verfahren noch weitere Resultate gewinnen lassen. Nachdem durch
Strauß die Kritik des Thatsächlichen in der evangelischen Geschichte abge¬
schlossen ist, wäre es vielleicht an der Zeit, die uns überlieferten Reden Jesu
gleichfalls im Zusammenhang zu untersuchen, und so die Aufzeigung der my¬
thischen Geschichte durch die Aufzeigung der mythischen Reden zu ergänzen. An
wichtigen Vorarbeiten fehlt es nicht. Es handelt sich blos darum, Forschungen;
deren Resultat bisher nur nach der Seite des apostolischen und nachaposto¬
lischen Zeitalters verwerthet worden sind, auf die Geschichte Jesu anzuwenden.
Was auch das Ergebniß wäre, das wirkliche Geschichtsbild Jesu könnte davon
nur gewinnen, wie ja erst durch den Nachweis der mythischen Elemente das,
was wir vom Leben Jesu noch wissen können, sicher gestellt worden ist. Aber
auch davon könnte nicht die Rede sein, daß damit der Größe der Persönlichkeit
unseres Religionsstifters Eintrag geschähe. Denn alles das, womit die Phan-
tasie und das Glaubensinteresse der Jünger nach dem Hingang ihres Meisters
sein Bild ausstatteten, vergrößerten und endlich über die Wolken erhoben, giebt


Grenzboten I. 1KL5, 18

nicht das Letzte sein. Denn so lange er sich für den Messias hielt, habe er von
der persönlichen Betheiligung an der Stiftung des Reichs nicht abgehen können.
Aber er mildert die Undenkbarkeit dieser Vorstellung einmal durch die Erinne¬
rung an den weliüberwindendcn Idealismus, an den felsenfesten Glauben an
die Zukunft, der hinter dieser Hülle lag, und dann durch die Hindeutung auf
den der damaligen Judenwelt geläufigen Auscrstehungsglauben. Der Glaube
an seine Wiederkunft sei nur die eigenthümliche durch sein messianisches Be¬
wußtsein bestimmte Anwendung eines Glaubens gewesen, der allen gemein war;
die Auferstehung sollte sich an ihm blos zuerst vollziehen, und damit die Voll¬
endung des messianischen Reichs eintreten.

Colani weist vor allem, und mit Recht, die Annahme, daß jene Reden
bildlich zu nehmen seien, in ihre gebührenden Schranken zurück. Jesus habe
sich allerdings der Bildersprache und der Begriffe seiner Zeit bedienen können
und wirklich bedient, aber die Accommodation habe ihre Grenzen und niemand
könne in einem Kurs der Astronomie, wenn es sich darum handle, die Be¬
ziehungen der Sonne zur Erde darzulegen, sagen: die Sonne geht aus, die
Sonne geht unter. Und nun weist er — nicht vom Standpunkt der psycholo¬
gischen Denkbarkeit oder Undenkbarkeit, was doch zumal bei einer so außeror¬
dentlichen Erscheinung immer eine zweifelhafte Instanz bleibt — sondern auf
exegetischen Weg, durch Untersuchung der einzelnen Stellen, durch Vergleich der
Berichte, durch Gegenüberstellung von Worten größerer und geringerer Authentie
nach, daß jene Wiederkunftsrcden unecht seien und Jesus weder geglaubt habe,
auferweckt zu werden, noch wiederzukommen, noch dem Schlußgerichte vor-
zustehn.

Dieser negative Beweis ist überzeugend geführt. Vielleicht daß sich durch
ein ähnliches Verfahren noch weitere Resultate gewinnen lassen. Nachdem durch
Strauß die Kritik des Thatsächlichen in der evangelischen Geschichte abge¬
schlossen ist, wäre es vielleicht an der Zeit, die uns überlieferten Reden Jesu
gleichfalls im Zusammenhang zu untersuchen, und so die Aufzeigung der my¬
thischen Geschichte durch die Aufzeigung der mythischen Reden zu ergänzen. An
wichtigen Vorarbeiten fehlt es nicht. Es handelt sich blos darum, Forschungen;
deren Resultat bisher nur nach der Seite des apostolischen und nachaposto¬
lischen Zeitalters verwerthet worden sind, auf die Geschichte Jesu anzuwenden.
Was auch das Ergebniß wäre, das wirkliche Geschichtsbild Jesu könnte davon
nur gewinnen, wie ja erst durch den Nachweis der mythischen Elemente das,
was wir vom Leben Jesu noch wissen können, sicher gestellt worden ist. Aber
auch davon könnte nicht die Rede sein, daß damit der Größe der Persönlichkeit
unseres Religionsstifters Eintrag geschähe. Denn alles das, womit die Phan-
tasie und das Glaubensinteresse der Jünger nach dem Hingang ihres Meisters
sein Bild ausstatteten, vergrößerten und endlich über die Wolken erhoben, giebt


Grenzboten I. 1KL5, 18
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[0149] nicht das Letzte sein. Denn so lange er sich für den Messias hielt, habe er von der persönlichen Betheiligung an der Stiftung des Reichs nicht abgehen können. Aber er mildert die Undenkbarkeit dieser Vorstellung einmal durch die Erinne¬ rung an den weliüberwindendcn Idealismus, an den felsenfesten Glauben an die Zukunft, der hinter dieser Hülle lag, und dann durch die Hindeutung auf den der damaligen Judenwelt geläufigen Auscrstehungsglauben. Der Glaube an seine Wiederkunft sei nur die eigenthümliche durch sein messianisches Be¬ wußtsein bestimmte Anwendung eines Glaubens gewesen, der allen gemein war; die Auferstehung sollte sich an ihm blos zuerst vollziehen, und damit die Voll¬ endung des messianischen Reichs eintreten. Colani weist vor allem, und mit Recht, die Annahme, daß jene Reden bildlich zu nehmen seien, in ihre gebührenden Schranken zurück. Jesus habe sich allerdings der Bildersprache und der Begriffe seiner Zeit bedienen können und wirklich bedient, aber die Accommodation habe ihre Grenzen und niemand könne in einem Kurs der Astronomie, wenn es sich darum handle, die Be¬ ziehungen der Sonne zur Erde darzulegen, sagen: die Sonne geht aus, die Sonne geht unter. Und nun weist er — nicht vom Standpunkt der psycholo¬ gischen Denkbarkeit oder Undenkbarkeit, was doch zumal bei einer so außeror¬ dentlichen Erscheinung immer eine zweifelhafte Instanz bleibt — sondern auf exegetischen Weg, durch Untersuchung der einzelnen Stellen, durch Vergleich der Berichte, durch Gegenüberstellung von Worten größerer und geringerer Authentie nach, daß jene Wiederkunftsrcden unecht seien und Jesus weder geglaubt habe, auferweckt zu werden, noch wiederzukommen, noch dem Schlußgerichte vor- zustehn. Dieser negative Beweis ist überzeugend geführt. Vielleicht daß sich durch ein ähnliches Verfahren noch weitere Resultate gewinnen lassen. Nachdem durch Strauß die Kritik des Thatsächlichen in der evangelischen Geschichte abge¬ schlossen ist, wäre es vielleicht an der Zeit, die uns überlieferten Reden Jesu gleichfalls im Zusammenhang zu untersuchen, und so die Aufzeigung der my¬ thischen Geschichte durch die Aufzeigung der mythischen Reden zu ergänzen. An wichtigen Vorarbeiten fehlt es nicht. Es handelt sich blos darum, Forschungen; deren Resultat bisher nur nach der Seite des apostolischen und nachaposto¬ lischen Zeitalters verwerthet worden sind, auf die Geschichte Jesu anzuwenden. Was auch das Ergebniß wäre, das wirkliche Geschichtsbild Jesu könnte davon nur gewinnen, wie ja erst durch den Nachweis der mythischen Elemente das, was wir vom Leben Jesu noch wissen können, sicher gestellt worden ist. Aber auch davon könnte nicht die Rede sein, daß damit der Größe der Persönlichkeit unseres Religionsstifters Eintrag geschähe. Denn alles das, womit die Phan- tasie und das Glaubensinteresse der Jünger nach dem Hingang ihres Meisters sein Bild ausstatteten, vergrößerten und endlich über die Wolken erhoben, giebt Grenzboten I. 1KL5, 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/149>, abgerufen am 16.05.2024.