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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Theil sich zu den ultramontanen Grundsätzen bekenne. Die Negierung sah sich
unter diesen Umständen in der That machtlos, wenn sie nicht geradezu den
offenen Bruch provociren wollte; sie konnte wohl einzelne Bischöfe, die sich zu
weit vorgewagt, wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt vor den Staatsrath belangen,
aber es war dies eine bloße Formalität, durch welche das Ansehen der Re¬
gierung nichts gewann, das der Bischöfe nichts verlor. S.tritt sie zu wirk¬
lichen Strafen fort, die ihr das Gesetz allerdings an die Hand gab, so ver¬
wickelte sie sich immer mehr in eine Sache, aus der es für sie schwieriger
herauszukommen war, als für die Bischöfe, die stets im Vortheil einer klaren
Position blieben und noch unterliegend das Prestige unterdrückter Dulder für
sich hatten.

Der Episkopat selbst rettete die Regierung aus dieser Verlegenheit. Er
bewies ebenso wenig Lust, den Conflict auf die Spitze zu treiben. Es zeigte
sich, daß doch nur eine Minderzahl mit öffentlichen Protesten hervortrat, und
daß auch diese nur eine Demonstration, nicht einen entschiedenen Bruch beab¬
sichtigten. Gingen auch Einzelne bis zu offner Renitenz fort, so begnügten sie
sich doch damit, ihr geistliches Gewissen salvirt zu haben. Das Bezeichnendste
war, daß wohl einige Bischöfe die ganze Encyklika verlasen, daß aber keiner
der niederen Geistlichkeit aufgab, ein Gleiches zu thun. Diese blieb somit gänz¬
lich aus dem Spiel, der Conflict beschränkte sich auf die Spitzen der Hierarchie.
Möglich daß der Episkopat des niederen Klerus nicht sicher war. aber gewiß
ist, daß seine diplomatische Handlungsweise zugleich von dem Wunsche dictirt
wurde, es jetzt nicht aufs Aeußerste zu treiben. Wirklich konnte es auch nicht im
Interesse des Klerus liegen, einen Kampf voreilig herauszufordern, der doch ein¬
mal unausbleiblich ist, und in welchen er schwerlich mit Siegeszuversicht ein¬
treten wird. So haben sich denn die aufgeregten Wogen bald wieder beruhigt.
Die Episode darf als beendigt angesehen werden, sie verlief in einen Federstrcit
ohne Resultat; der Vatikan hat wenigstens die Genugthuung, mit seiner Bulle
ein paar Wochen lang die Federn der Bischöfe und der gestimmten französischen
Presse in Bewegung gesetzt zu haben.

Daß jede principielle Lösung im jetzigen Augenblick verfrüht und künstlich
gewesen wäre, zeigten übrigens auch die Aeußerungen der öffentlichen Meinung
in Frankreich. Auch diese war sichtlich unvorbereitet für die Entscheidung eines
großen Problems, und die Schlagwörter, welche als Mittel zur Lösung auftauch¬
ten, bewiesen nur, wie unklar noch immer die letzten Ziele sind. Das Interesse
war aufs Lebhafteste erregt, wie es sich in einer Gesellschaft nicht anders denken
läßt, welche eben durch Renans Leben Jesu für die religiösen Fragen wieder
empfänglich geworden war und durch die Convention zum Nachdenken über das
Verhältniß des Staats zur katholischen Kirche sich aufgefordert sah. Aber die
Vorschläge liefen bunt durcheinander und fast wurde der Streit innerhalb der


Grenzboten I. 1865. ?6

Theil sich zu den ultramontanen Grundsätzen bekenne. Die Negierung sah sich
unter diesen Umständen in der That machtlos, wenn sie nicht geradezu den
offenen Bruch provociren wollte; sie konnte wohl einzelne Bischöfe, die sich zu
weit vorgewagt, wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt vor den Staatsrath belangen,
aber es war dies eine bloße Formalität, durch welche das Ansehen der Re¬
gierung nichts gewann, das der Bischöfe nichts verlor. S.tritt sie zu wirk¬
lichen Strafen fort, die ihr das Gesetz allerdings an die Hand gab, so ver¬
wickelte sie sich immer mehr in eine Sache, aus der es für sie schwieriger
herauszukommen war, als für die Bischöfe, die stets im Vortheil einer klaren
Position blieben und noch unterliegend das Prestige unterdrückter Dulder für
sich hatten.

Der Episkopat selbst rettete die Regierung aus dieser Verlegenheit. Er
bewies ebenso wenig Lust, den Conflict auf die Spitze zu treiben. Es zeigte
sich, daß doch nur eine Minderzahl mit öffentlichen Protesten hervortrat, und
daß auch diese nur eine Demonstration, nicht einen entschiedenen Bruch beab¬
sichtigten. Gingen auch Einzelne bis zu offner Renitenz fort, so begnügten sie
sich doch damit, ihr geistliches Gewissen salvirt zu haben. Das Bezeichnendste
war, daß wohl einige Bischöfe die ganze Encyklika verlasen, daß aber keiner
der niederen Geistlichkeit aufgab, ein Gleiches zu thun. Diese blieb somit gänz¬
lich aus dem Spiel, der Conflict beschränkte sich auf die Spitzen der Hierarchie.
Möglich daß der Episkopat des niederen Klerus nicht sicher war. aber gewiß
ist, daß seine diplomatische Handlungsweise zugleich von dem Wunsche dictirt
wurde, es jetzt nicht aufs Aeußerste zu treiben. Wirklich konnte es auch nicht im
Interesse des Klerus liegen, einen Kampf voreilig herauszufordern, der doch ein¬
mal unausbleiblich ist, und in welchen er schwerlich mit Siegeszuversicht ein¬
treten wird. So haben sich denn die aufgeregten Wogen bald wieder beruhigt.
Die Episode darf als beendigt angesehen werden, sie verlief in einen Federstrcit
ohne Resultat; der Vatikan hat wenigstens die Genugthuung, mit seiner Bulle
ein paar Wochen lang die Federn der Bischöfe und der gestimmten französischen
Presse in Bewegung gesetzt zu haben.

Daß jede principielle Lösung im jetzigen Augenblick verfrüht und künstlich
gewesen wäre, zeigten übrigens auch die Aeußerungen der öffentlichen Meinung
in Frankreich. Auch diese war sichtlich unvorbereitet für die Entscheidung eines
großen Problems, und die Schlagwörter, welche als Mittel zur Lösung auftauch¬
ten, bewiesen nur, wie unklar noch immer die letzten Ziele sind. Das Interesse
war aufs Lebhafteste erregt, wie es sich in einer Gesellschaft nicht anders denken
läßt, welche eben durch Renans Leben Jesu für die religiösen Fragen wieder
empfänglich geworden war und durch die Convention zum Nachdenken über das
Verhältniß des Staats zur katholischen Kirche sich aufgefordert sah. Aber die
Vorschläge liefen bunt durcheinander und fast wurde der Streit innerhalb der


Grenzboten I. 1865. ?6
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[0207] Theil sich zu den ultramontanen Grundsätzen bekenne. Die Negierung sah sich unter diesen Umständen in der That machtlos, wenn sie nicht geradezu den offenen Bruch provociren wollte; sie konnte wohl einzelne Bischöfe, die sich zu weit vorgewagt, wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt vor den Staatsrath belangen, aber es war dies eine bloße Formalität, durch welche das Ansehen der Re¬ gierung nichts gewann, das der Bischöfe nichts verlor. S.tritt sie zu wirk¬ lichen Strafen fort, die ihr das Gesetz allerdings an die Hand gab, so ver¬ wickelte sie sich immer mehr in eine Sache, aus der es für sie schwieriger herauszukommen war, als für die Bischöfe, die stets im Vortheil einer klaren Position blieben und noch unterliegend das Prestige unterdrückter Dulder für sich hatten. Der Episkopat selbst rettete die Regierung aus dieser Verlegenheit. Er bewies ebenso wenig Lust, den Conflict auf die Spitze zu treiben. Es zeigte sich, daß doch nur eine Minderzahl mit öffentlichen Protesten hervortrat, und daß auch diese nur eine Demonstration, nicht einen entschiedenen Bruch beab¬ sichtigten. Gingen auch Einzelne bis zu offner Renitenz fort, so begnügten sie sich doch damit, ihr geistliches Gewissen salvirt zu haben. Das Bezeichnendste war, daß wohl einige Bischöfe die ganze Encyklika verlasen, daß aber keiner der niederen Geistlichkeit aufgab, ein Gleiches zu thun. Diese blieb somit gänz¬ lich aus dem Spiel, der Conflict beschränkte sich auf die Spitzen der Hierarchie. Möglich daß der Episkopat des niederen Klerus nicht sicher war. aber gewiß ist, daß seine diplomatische Handlungsweise zugleich von dem Wunsche dictirt wurde, es jetzt nicht aufs Aeußerste zu treiben. Wirklich konnte es auch nicht im Interesse des Klerus liegen, einen Kampf voreilig herauszufordern, der doch ein¬ mal unausbleiblich ist, und in welchen er schwerlich mit Siegeszuversicht ein¬ treten wird. So haben sich denn die aufgeregten Wogen bald wieder beruhigt. Die Episode darf als beendigt angesehen werden, sie verlief in einen Federstrcit ohne Resultat; der Vatikan hat wenigstens die Genugthuung, mit seiner Bulle ein paar Wochen lang die Federn der Bischöfe und der gestimmten französischen Presse in Bewegung gesetzt zu haben. Daß jede principielle Lösung im jetzigen Augenblick verfrüht und künstlich gewesen wäre, zeigten übrigens auch die Aeußerungen der öffentlichen Meinung in Frankreich. Auch diese war sichtlich unvorbereitet für die Entscheidung eines großen Problems, und die Schlagwörter, welche als Mittel zur Lösung auftauch¬ ten, bewiesen nur, wie unklar noch immer die letzten Ziele sind. Das Interesse war aufs Lebhafteste erregt, wie es sich in einer Gesellschaft nicht anders denken läßt, welche eben durch Renans Leben Jesu für die religiösen Fragen wieder empfänglich geworden war und durch die Convention zum Nachdenken über das Verhältniß des Staats zur katholischen Kirche sich aufgefordert sah. Aber die Vorschläge liefen bunt durcheinander und fast wurde der Streit innerhalb der Grenzboten I. 1865. ?6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/207>, abgerufen am 05.06.2024.