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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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liberalen Parteien so heftig wie der Kampf gegen den gemeinsamen Gegner.
Forderten die Einen strenge Anwendung der organischen Artikel vom Jahr 1801,
so sahen die Andern die beste Antwort in der sofortigen Räumung Roms. "Rück¬
kehr zur gallikanischen Staatskirche" war von der einen Seite, "freie Kirche im
freien Staat" das Losungswort von der andern Seite. Aber es war der Re¬
gierung weder zuzumuthen, daß sie zu jenen drastischen Maßregeln griff, noch
daß sie Principien proclamirte, von welchen das eine nur noch historischen Werth
hat und zwar noch als Waffe gegen den Ultramontanismus, aber nicht als
Basis für eine Neuschöpfung zu gebrauchen ist, das andere aber wohl die ideale
Formel der Zukunft, aber, wie sich in Italien gezeigt hat, noch keineswegs
das Zauberwort ist, um die verwickelten kirchenrechtlichen Verhältnisse der alten
Welt mit einem Mal zu lösen.

Dennoch ist die Discussion, die sich bei diesem Anlaß so lebhaft entspann,
von hoher Wichtigkeit. Die Bulle und die Renitenz der Geistlichkeit haben
ein großes Verdienst. Sie haben die öffentliche Meinung angeregt, sich das
Verhältniß von Staat und Kirche klarer zu machen und sich auf die in Rom
bevorstehenden Eventualitäten vorzubereiten. Sie haben schon jetzt manche
Illusion zerstört. Zum Schweigen gebracht ist jener katholische Halbliberalismus,
dessen Traum die Versöhnung der Kirche mit dem modernen Fortschritt war.
Eben dieser Fraction hat der Papst den Boden unter den Füßen weggezogen,
für sie ist die Bulle im Grund der härteste Schlag. Montalembert findet alle
Punkte seines Programms von 1852, alle Freiheiten, zu deren beredtem Apostel
er sich gemacht, ausdrücklich verdammt: Gewissensfreiheit, Cultusfreiheit, Pre߬
freiheit; wird er sie auch in Zukunft noch verlangen können? Aber auch über
die wahre Bedeutung des Gallikanismus beginnt man nüchterner zu denken.
Man findet es doch wenig verlockend, zu theokratischen Idealen des Alterthums
zurückzukehren und, nachdem der Staat die Gemeinden und die Universitäten,
das politische und das wissenschaftliche Leben zu seiner Domäne gemacht hat,
auch noch die Kirche in seine allmächtige Hand zu liefern. Wer dem Gange der
Discussion in Frankreich gefolgt ist, hat sich überzeugen müssen, daß die Zu¬
kunft nicht dem Gallikanismus, nickt der Vermischung von Staat und Kirche,
sondern im Gegentheil der Trennung von Staat und Kirche gehört.
Diese Richtung zeigt sich jetzt schon als überlegen und vorwiegend. Daß die
öffentliche Meinung sich in dieser Richtung befestige, daß die Geister sich daran
gewöhnen. Gleichstellung aller Culte. Autonomie des religiösen Lebens, aber
auch vollständige Autonomie des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft unter ihre
Forderungen aufzunehmen, dies ist die Hauptsache. Nicht auf einmal lassen sich diese
Principien verwirklichen. Aber wenn nur aus Projecten eine feste überwältigende
Meinung sich gebildet hat, vermag leicht die nächste Papstwahl einen Proceß zu be¬
schleunigen und abzukürzen, der sonst erst in vielen Stufen und Etappen sich vollzöge,


liberalen Parteien so heftig wie der Kampf gegen den gemeinsamen Gegner.
Forderten die Einen strenge Anwendung der organischen Artikel vom Jahr 1801,
so sahen die Andern die beste Antwort in der sofortigen Räumung Roms. „Rück¬
kehr zur gallikanischen Staatskirche" war von der einen Seite, „freie Kirche im
freien Staat" das Losungswort von der andern Seite. Aber es war der Re¬
gierung weder zuzumuthen, daß sie zu jenen drastischen Maßregeln griff, noch
daß sie Principien proclamirte, von welchen das eine nur noch historischen Werth
hat und zwar noch als Waffe gegen den Ultramontanismus, aber nicht als
Basis für eine Neuschöpfung zu gebrauchen ist, das andere aber wohl die ideale
Formel der Zukunft, aber, wie sich in Italien gezeigt hat, noch keineswegs
das Zauberwort ist, um die verwickelten kirchenrechtlichen Verhältnisse der alten
Welt mit einem Mal zu lösen.

Dennoch ist die Discussion, die sich bei diesem Anlaß so lebhaft entspann,
von hoher Wichtigkeit. Die Bulle und die Renitenz der Geistlichkeit haben
ein großes Verdienst. Sie haben die öffentliche Meinung angeregt, sich das
Verhältniß von Staat und Kirche klarer zu machen und sich auf die in Rom
bevorstehenden Eventualitäten vorzubereiten. Sie haben schon jetzt manche
Illusion zerstört. Zum Schweigen gebracht ist jener katholische Halbliberalismus,
dessen Traum die Versöhnung der Kirche mit dem modernen Fortschritt war.
Eben dieser Fraction hat der Papst den Boden unter den Füßen weggezogen,
für sie ist die Bulle im Grund der härteste Schlag. Montalembert findet alle
Punkte seines Programms von 1852, alle Freiheiten, zu deren beredtem Apostel
er sich gemacht, ausdrücklich verdammt: Gewissensfreiheit, Cultusfreiheit, Pre߬
freiheit; wird er sie auch in Zukunft noch verlangen können? Aber auch über
die wahre Bedeutung des Gallikanismus beginnt man nüchterner zu denken.
Man findet es doch wenig verlockend, zu theokratischen Idealen des Alterthums
zurückzukehren und, nachdem der Staat die Gemeinden und die Universitäten,
das politische und das wissenschaftliche Leben zu seiner Domäne gemacht hat,
auch noch die Kirche in seine allmächtige Hand zu liefern. Wer dem Gange der
Discussion in Frankreich gefolgt ist, hat sich überzeugen müssen, daß die Zu¬
kunft nicht dem Gallikanismus, nickt der Vermischung von Staat und Kirche,
sondern im Gegentheil der Trennung von Staat und Kirche gehört.
Diese Richtung zeigt sich jetzt schon als überlegen und vorwiegend. Daß die
öffentliche Meinung sich in dieser Richtung befestige, daß die Geister sich daran
gewöhnen. Gleichstellung aller Culte. Autonomie des religiösen Lebens, aber
auch vollständige Autonomie des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft unter ihre
Forderungen aufzunehmen, dies ist die Hauptsache. Nicht auf einmal lassen sich diese
Principien verwirklichen. Aber wenn nur aus Projecten eine feste überwältigende
Meinung sich gebildet hat, vermag leicht die nächste Papstwahl einen Proceß zu be¬
schleunigen und abzukürzen, der sonst erst in vielen Stufen und Etappen sich vollzöge,


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[0208] liberalen Parteien so heftig wie der Kampf gegen den gemeinsamen Gegner. Forderten die Einen strenge Anwendung der organischen Artikel vom Jahr 1801, so sahen die Andern die beste Antwort in der sofortigen Räumung Roms. „Rück¬ kehr zur gallikanischen Staatskirche" war von der einen Seite, „freie Kirche im freien Staat" das Losungswort von der andern Seite. Aber es war der Re¬ gierung weder zuzumuthen, daß sie zu jenen drastischen Maßregeln griff, noch daß sie Principien proclamirte, von welchen das eine nur noch historischen Werth hat und zwar noch als Waffe gegen den Ultramontanismus, aber nicht als Basis für eine Neuschöpfung zu gebrauchen ist, das andere aber wohl die ideale Formel der Zukunft, aber, wie sich in Italien gezeigt hat, noch keineswegs das Zauberwort ist, um die verwickelten kirchenrechtlichen Verhältnisse der alten Welt mit einem Mal zu lösen. Dennoch ist die Discussion, die sich bei diesem Anlaß so lebhaft entspann, von hoher Wichtigkeit. Die Bulle und die Renitenz der Geistlichkeit haben ein großes Verdienst. Sie haben die öffentliche Meinung angeregt, sich das Verhältniß von Staat und Kirche klarer zu machen und sich auf die in Rom bevorstehenden Eventualitäten vorzubereiten. Sie haben schon jetzt manche Illusion zerstört. Zum Schweigen gebracht ist jener katholische Halbliberalismus, dessen Traum die Versöhnung der Kirche mit dem modernen Fortschritt war. Eben dieser Fraction hat der Papst den Boden unter den Füßen weggezogen, für sie ist die Bulle im Grund der härteste Schlag. Montalembert findet alle Punkte seines Programms von 1852, alle Freiheiten, zu deren beredtem Apostel er sich gemacht, ausdrücklich verdammt: Gewissensfreiheit, Cultusfreiheit, Pre߬ freiheit; wird er sie auch in Zukunft noch verlangen können? Aber auch über die wahre Bedeutung des Gallikanismus beginnt man nüchterner zu denken. Man findet es doch wenig verlockend, zu theokratischen Idealen des Alterthums zurückzukehren und, nachdem der Staat die Gemeinden und die Universitäten, das politische und das wissenschaftliche Leben zu seiner Domäne gemacht hat, auch noch die Kirche in seine allmächtige Hand zu liefern. Wer dem Gange der Discussion in Frankreich gefolgt ist, hat sich überzeugen müssen, daß die Zu¬ kunft nicht dem Gallikanismus, nickt der Vermischung von Staat und Kirche, sondern im Gegentheil der Trennung von Staat und Kirche gehört. Diese Richtung zeigt sich jetzt schon als überlegen und vorwiegend. Daß die öffentliche Meinung sich in dieser Richtung befestige, daß die Geister sich daran gewöhnen. Gleichstellung aller Culte. Autonomie des religiösen Lebens, aber auch vollständige Autonomie des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft unter ihre Forderungen aufzunehmen, dies ist die Hauptsache. Nicht auf einmal lassen sich diese Principien verwirklichen. Aber wenn nur aus Projecten eine feste überwältigende Meinung sich gebildet hat, vermag leicht die nächste Papstwahl einen Proceß zu be¬ schleunigen und abzukürzen, der sonst erst in vielen Stufen und Etappen sich vollzöge,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/208>, abgerufen am 16.05.2024.