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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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hat gegenüber den Gefahren dieses Weges kein großes Gewicht. Wann hat
die östreichische Politik sich um Präcedenzfälle gekümmert? sie arbeitet in grö-
ßrer Unbefangenheit als die eines anderen Staates mit Inconsequenzen. welche
ihr gerade nützlich scheinen, heute für das Recht der Nationalitäten, morgen
dagegen, hier in sorgfältiger Beobachtung der Verfassung, dort in rücksichts¬
loser Nichtachtung. Diese Politik hatte sich im Herbst vorigen Jahres resignirt.
den Preußen in den Herzogthümern Viel einzuräumen, aber jede Woche, die
seitdem vergangen, hat wieder Sicherheit und Selbstvertrauen verstärkt, die
Mahnungen der eigenen Presse, die stille Arbeit der Parteigänger für die Mmel-
staaten haben den guten Willen vermindert, es ist vorauszusetzen, daß man
von Wien aus, je länger die Einmischung verstattet ist, um so entschiedener
hindern wird. Was der preußischen Regierung von Kiel aus schüchtern, zuletzt etwa
durch Herrn von Alefeld, entgegengetragen wurde, das wird mit Oestreichs
Einwilligung, wie zu befürchten steht, nicht erreicht werden.

Auch in den Herzogthümern selbst hat die Furcht vor unsicheren Ansprüchen
Preußens die nachtheilige Folge gehabt, einen zähen Particularismus wachzu¬
rufen, gegen den Eifer einzelner Annexionsmänner erhebt sich der Widerstand
im Volke. Bereits wird die Weise, in welcher die Abneigung gegen Preußen
sich äußert, sehr unerfreulich. Auch das ist eine nachtheilige Folge der Ver¬
zögerung und der zweideutigen Haltung des Siegers. Ob man die Gesinnung
eines Volksstammes hoch oder gering achte, man kann sie in unserer Zeit nicht
mehr unberücksichtigt lassen. Wäre es auch nur deshalb, weil die Nichtbeach¬
tung dem Ausland erwünschte Gelegenheit gäbe, sich einzumischen.

So sehr haben sich die Gesichtspunkte verschoben, daß Preußen, dessen
Interesse gebietet, die Erbfolgefrage schnell zu erledigen, dieselbe hinausschiebt,
und daß Oestreich, welches bei anderer Handlungsweise Preußens durchaus kein
Interesse hätte, dem Herzoge Friedrich geneigt zu sein, die schnelle Entscheidung
über dessen Ansprüche begünstigt. Allerdings nur aus Opposition gegen Preu¬
ßen, denn von dem Tage, wo man sich in Berlin herabläßt, mit dem Herzog
selbst zu verhandeln, wird Oestreich sofort das Interesse für ihn verlieren.

Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, was Herrn von Bismarck ge¬
hindert hat. zu seiner Zeit den kürzesten Weg einer directen Verbindung mit
Kiel einzuschlagen. Durch Mißtrauen und vorgefaßte Meinung ist in der besten
Stunde auf beiden Seiten versäumt worden, die Annäherung durchzusetzen. Das
droht auch für Preußen nachtheilig zu werden, denn es hat auf weite und pfad-
lose Umwege geführt. Und um kurz das Sachverhältniß zu wiederholen, man
hat die Zeit der Annexion vorübergehn lassen, ohne einen Gewaltstreich zu
Wagen, man ist jetzt in Gefahr, auch den Anschluß der Herzogthümer nicht in
der für Preußen wünschenswerthen Weise durchzusetzen.

In Einem aber, vertrauen wir, wird der Leiter der auswärtigen Angelegen-


hat gegenüber den Gefahren dieses Weges kein großes Gewicht. Wann hat
die östreichische Politik sich um Präcedenzfälle gekümmert? sie arbeitet in grö-
ßrer Unbefangenheit als die eines anderen Staates mit Inconsequenzen. welche
ihr gerade nützlich scheinen, heute für das Recht der Nationalitäten, morgen
dagegen, hier in sorgfältiger Beobachtung der Verfassung, dort in rücksichts¬
loser Nichtachtung. Diese Politik hatte sich im Herbst vorigen Jahres resignirt.
den Preußen in den Herzogthümern Viel einzuräumen, aber jede Woche, die
seitdem vergangen, hat wieder Sicherheit und Selbstvertrauen verstärkt, die
Mahnungen der eigenen Presse, die stille Arbeit der Parteigänger für die Mmel-
staaten haben den guten Willen vermindert, es ist vorauszusetzen, daß man
von Wien aus, je länger die Einmischung verstattet ist, um so entschiedener
hindern wird. Was der preußischen Regierung von Kiel aus schüchtern, zuletzt etwa
durch Herrn von Alefeld, entgegengetragen wurde, das wird mit Oestreichs
Einwilligung, wie zu befürchten steht, nicht erreicht werden.

Auch in den Herzogthümern selbst hat die Furcht vor unsicheren Ansprüchen
Preußens die nachtheilige Folge gehabt, einen zähen Particularismus wachzu¬
rufen, gegen den Eifer einzelner Annexionsmänner erhebt sich der Widerstand
im Volke. Bereits wird die Weise, in welcher die Abneigung gegen Preußen
sich äußert, sehr unerfreulich. Auch das ist eine nachtheilige Folge der Ver¬
zögerung und der zweideutigen Haltung des Siegers. Ob man die Gesinnung
eines Volksstammes hoch oder gering achte, man kann sie in unserer Zeit nicht
mehr unberücksichtigt lassen. Wäre es auch nur deshalb, weil die Nichtbeach¬
tung dem Ausland erwünschte Gelegenheit gäbe, sich einzumischen.

So sehr haben sich die Gesichtspunkte verschoben, daß Preußen, dessen
Interesse gebietet, die Erbfolgefrage schnell zu erledigen, dieselbe hinausschiebt,
und daß Oestreich, welches bei anderer Handlungsweise Preußens durchaus kein
Interesse hätte, dem Herzoge Friedrich geneigt zu sein, die schnelle Entscheidung
über dessen Ansprüche begünstigt. Allerdings nur aus Opposition gegen Preu¬
ßen, denn von dem Tage, wo man sich in Berlin herabläßt, mit dem Herzog
selbst zu verhandeln, wird Oestreich sofort das Interesse für ihn verlieren.

Es ist hier nicht der Ort zu untersuchen, was Herrn von Bismarck ge¬
hindert hat. zu seiner Zeit den kürzesten Weg einer directen Verbindung mit
Kiel einzuschlagen. Durch Mißtrauen und vorgefaßte Meinung ist in der besten
Stunde auf beiden Seiten versäumt worden, die Annäherung durchzusetzen. Das
droht auch für Preußen nachtheilig zu werden, denn es hat auf weite und pfad-
lose Umwege geführt. Und um kurz das Sachverhältniß zu wiederholen, man
hat die Zeit der Annexion vorübergehn lassen, ohne einen Gewaltstreich zu
Wagen, man ist jetzt in Gefahr, auch den Anschluß der Herzogthümer nicht in
der für Preußen wünschenswerthen Weise durchzusetzen.

In Einem aber, vertrauen wir, wird der Leiter der auswärtigen Angelegen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/211>, abgerufen am 05.06.2024.