Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach dem Verlesen des Urtheils durch den Auditeur wurden ihm die Decora-
tionen und Abzeichen seines Ranges, entweder vom Adjutanten oder dem Pro-
fosen herabgerissen. Dem Offizier wurde der Degen abgenommen, durch einen
Tritt zerbrochen und ihm vor die Füße geworfen. Dann wurden Epaulettes,
Schärpe abgerissen, ja zuweilen auch die Tressen abgetrennt, vom Hut wurden
.Federbusch, Kokarde und Agraffe ebenfalls abgerissen und zu Boden geworfen.
Nach diesem Act wurde der ehrlos Gemachte zu seiner weiteren Bestimmung
entweder in einer Chaise oder durch eine bereitstehende Escorte abgeführt. War
er zum Tode verurtheilt, so wurde er gewöhnlich gleich dem Henker übergeben.

Konnte man des Inculpaten nicht habhaft werden, so wurde trotzdem über
ihn der Proceß verhängt. Traf ihn eine entehrende Strafe, die mit dem Ver¬
lust des Lebens verbunden war. so wurde sie insofern scheinbar an ihm vollzogen,
als man statt seiner seinen Namen, oder gar selbst sein Porträt, groß auf eine
Tafel gemalt, an den Galgen hing. Dies geschah mit demselben Ceremoniell,
das man bei einer wirklichen Hinrichtung beobachtete. Erwischte man den Ver-
urtheilten, wenn auch nach längerer Zeit, so wurde dann gewöhnlich die Execu-
tion an ihm ohne Weiteres vollzogen ; meldete er sich freiwillig wieder bei seiner
Truppe, was namentlich bei Deserteuren der Fall war, oder trafen mildernde
Umstände, auch wohl Begünstigungen ein, so konnte der ehrlos oder scheinbar
todt Gemachte auch wieder ehrlich resp, bürgerlich lebendig gemacht werden.

Das Nähere wird man aus dem Nachfolgenden ersehen.

Nach der zweiten Einnahme und Verheerung Heidelbergs durch die Fran¬
zosen im Mai 1693, wobei die unglückliche Stadt abermals auf vandalische
Weise geplündert und dann niedergebrannt, und das reizende Bergschloß großen-
theils durch Sprengung zerstört wurde, erhob sich ein Schrei der Entrüstung
nicht nur durch ganz Deutschland, sondern durch die halbe civilisirte Welt. Das
Ereigniß und der allgemeine. Unwille waren zu wichtig, als daß man von
Seiten der unterlegenen Partei leicht darüber hingehen konnte, und so wurden
denn von den betreffenden Gouvernements über die Motive der Uebergabe
Untersuchungen eingeleitet.

Die öffentliche Meinung klagte den Commandanten des Platzes, den östrei¬
chischen Gcncralfeldmarschalllieutenant Georg Eberhard von Hcdersdorf ganz offen
des Verrathes und der Feigheit an. So gern man auch die Sache vertuscht
hätte, um eine so hohe Stellung in der kaiserlichen Armee, sowie den Namen
einer angesehenen Familie nicht zu compromittiren, so war doch der Drang der
Umstände mächtiger als der Wille, und der General wurde vor ein Kriegs¬
gericht gestellt. Dasselbe erkannte ihn für schuldig und infolge dessen sollte er
seiner Würden und Stellen öffentlich und schimpflich entsetzt werden.

Da Hedersdorf dem damals noch ziemlich in Ansehen stehenden Dcutsch-
hcrrnorden angehörte, so ließ es sich dieser nicht nehmen, ihn mit allem Cere-


Nach dem Verlesen des Urtheils durch den Auditeur wurden ihm die Decora-
tionen und Abzeichen seines Ranges, entweder vom Adjutanten oder dem Pro-
fosen herabgerissen. Dem Offizier wurde der Degen abgenommen, durch einen
Tritt zerbrochen und ihm vor die Füße geworfen. Dann wurden Epaulettes,
Schärpe abgerissen, ja zuweilen auch die Tressen abgetrennt, vom Hut wurden
.Federbusch, Kokarde und Agraffe ebenfalls abgerissen und zu Boden geworfen.
Nach diesem Act wurde der ehrlos Gemachte zu seiner weiteren Bestimmung
entweder in einer Chaise oder durch eine bereitstehende Escorte abgeführt. War
er zum Tode verurtheilt, so wurde er gewöhnlich gleich dem Henker übergeben.

Konnte man des Inculpaten nicht habhaft werden, so wurde trotzdem über
ihn der Proceß verhängt. Traf ihn eine entehrende Strafe, die mit dem Ver¬
lust des Lebens verbunden war. so wurde sie insofern scheinbar an ihm vollzogen,
als man statt seiner seinen Namen, oder gar selbst sein Porträt, groß auf eine
Tafel gemalt, an den Galgen hing. Dies geschah mit demselben Ceremoniell,
das man bei einer wirklichen Hinrichtung beobachtete. Erwischte man den Ver-
urtheilten, wenn auch nach längerer Zeit, so wurde dann gewöhnlich die Execu-
tion an ihm ohne Weiteres vollzogen ; meldete er sich freiwillig wieder bei seiner
Truppe, was namentlich bei Deserteuren der Fall war, oder trafen mildernde
Umstände, auch wohl Begünstigungen ein, so konnte der ehrlos oder scheinbar
todt Gemachte auch wieder ehrlich resp, bürgerlich lebendig gemacht werden.

Das Nähere wird man aus dem Nachfolgenden ersehen.

Nach der zweiten Einnahme und Verheerung Heidelbergs durch die Fran¬
zosen im Mai 1693, wobei die unglückliche Stadt abermals auf vandalische
Weise geplündert und dann niedergebrannt, und das reizende Bergschloß großen-
theils durch Sprengung zerstört wurde, erhob sich ein Schrei der Entrüstung
nicht nur durch ganz Deutschland, sondern durch die halbe civilisirte Welt. Das
Ereigniß und der allgemeine. Unwille waren zu wichtig, als daß man von
Seiten der unterlegenen Partei leicht darüber hingehen konnte, und so wurden
denn von den betreffenden Gouvernements über die Motive der Uebergabe
Untersuchungen eingeleitet.

Die öffentliche Meinung klagte den Commandanten des Platzes, den östrei¬
chischen Gcncralfeldmarschalllieutenant Georg Eberhard von Hcdersdorf ganz offen
des Verrathes und der Feigheit an. So gern man auch die Sache vertuscht
hätte, um eine so hohe Stellung in der kaiserlichen Armee, sowie den Namen
einer angesehenen Familie nicht zu compromittiren, so war doch der Drang der
Umstände mächtiger als der Wille, und der General wurde vor ein Kriegs¬
gericht gestellt. Dasselbe erkannte ihn für schuldig und infolge dessen sollte er
seiner Würden und Stellen öffentlich und schimpflich entsetzt werden.

Da Hedersdorf dem damals noch ziemlich in Ansehen stehenden Dcutsch-
hcrrnorden angehörte, so ließ es sich dieser nicht nehmen, ihn mit allem Cere-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282593"/>
            <p xml:id="ID_974" prev="#ID_973"> Nach dem Verlesen des Urtheils durch den Auditeur wurden ihm die Decora-<lb/>
tionen und Abzeichen seines Ranges, entweder vom Adjutanten oder dem Pro-<lb/>
fosen herabgerissen. Dem Offizier wurde der Degen abgenommen, durch einen<lb/>
Tritt zerbrochen und ihm vor die Füße geworfen. Dann wurden Epaulettes,<lb/>
Schärpe abgerissen, ja zuweilen auch die Tressen abgetrennt, vom Hut wurden<lb/>
.Federbusch, Kokarde und Agraffe ebenfalls abgerissen und zu Boden geworfen.<lb/>
Nach diesem Act wurde der ehrlos Gemachte zu seiner weiteren Bestimmung<lb/>
entweder in einer Chaise oder durch eine bereitstehende Escorte abgeführt. War<lb/>
er zum Tode verurtheilt, so wurde er gewöhnlich gleich dem Henker übergeben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_975"> Konnte man des Inculpaten nicht habhaft werden, so wurde trotzdem über<lb/>
ihn der Proceß verhängt. Traf ihn eine entehrende Strafe, die mit dem Ver¬<lb/>
lust des Lebens verbunden war. so wurde sie insofern scheinbar an ihm vollzogen,<lb/>
als man statt seiner seinen Namen, oder gar selbst sein Porträt, groß auf eine<lb/>
Tafel gemalt, an den Galgen hing. Dies geschah mit demselben Ceremoniell,<lb/>
das man bei einer wirklichen Hinrichtung beobachtete. Erwischte man den Ver-<lb/>
urtheilten, wenn auch nach längerer Zeit, so wurde dann gewöhnlich die Execu-<lb/>
tion an ihm ohne Weiteres vollzogen ; meldete er sich freiwillig wieder bei seiner<lb/>
Truppe, was namentlich bei Deserteuren der Fall war, oder trafen mildernde<lb/>
Umstände, auch wohl Begünstigungen ein, so konnte der ehrlos oder scheinbar<lb/>
todt Gemachte auch wieder ehrlich resp, bürgerlich lebendig gemacht werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_976"> Das Nähere wird man aus dem Nachfolgenden ersehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_977"> Nach der zweiten Einnahme und Verheerung Heidelbergs durch die Fran¬<lb/>
zosen im Mai 1693, wobei die unglückliche Stadt abermals auf vandalische<lb/>
Weise geplündert und dann niedergebrannt, und das reizende Bergschloß großen-<lb/>
theils durch Sprengung zerstört wurde, erhob sich ein Schrei der Entrüstung<lb/>
nicht nur durch ganz Deutschland, sondern durch die halbe civilisirte Welt. Das<lb/>
Ereigniß und der allgemeine. Unwille waren zu wichtig, als daß man von<lb/>
Seiten der unterlegenen Partei leicht darüber hingehen konnte, und so wurden<lb/>
denn von den betreffenden Gouvernements über die Motive der Uebergabe<lb/>
Untersuchungen eingeleitet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_978"> Die öffentliche Meinung klagte den Commandanten des Platzes, den östrei¬<lb/>
chischen Gcncralfeldmarschalllieutenant Georg Eberhard von Hcdersdorf ganz offen<lb/>
des Verrathes und der Feigheit an. So gern man auch die Sache vertuscht<lb/>
hätte, um eine so hohe Stellung in der kaiserlichen Armee, sowie den Namen<lb/>
einer angesehenen Familie nicht zu compromittiren, so war doch der Drang der<lb/>
Umstände mächtiger als der Wille, und der General wurde vor ein Kriegs¬<lb/>
gericht gestellt. Dasselbe erkannte ihn für schuldig und infolge dessen sollte er<lb/>
seiner Würden und Stellen öffentlich und schimpflich entsetzt werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_979" next="#ID_980"> Da Hedersdorf dem damals noch ziemlich in Ansehen stehenden Dcutsch-<lb/>
hcrrnorden angehörte, so ließ es sich dieser nicht nehmen, ihn mit allem Cere-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0352] Nach dem Verlesen des Urtheils durch den Auditeur wurden ihm die Decora- tionen und Abzeichen seines Ranges, entweder vom Adjutanten oder dem Pro- fosen herabgerissen. Dem Offizier wurde der Degen abgenommen, durch einen Tritt zerbrochen und ihm vor die Füße geworfen. Dann wurden Epaulettes, Schärpe abgerissen, ja zuweilen auch die Tressen abgetrennt, vom Hut wurden .Federbusch, Kokarde und Agraffe ebenfalls abgerissen und zu Boden geworfen. Nach diesem Act wurde der ehrlos Gemachte zu seiner weiteren Bestimmung entweder in einer Chaise oder durch eine bereitstehende Escorte abgeführt. War er zum Tode verurtheilt, so wurde er gewöhnlich gleich dem Henker übergeben. Konnte man des Inculpaten nicht habhaft werden, so wurde trotzdem über ihn der Proceß verhängt. Traf ihn eine entehrende Strafe, die mit dem Ver¬ lust des Lebens verbunden war. so wurde sie insofern scheinbar an ihm vollzogen, als man statt seiner seinen Namen, oder gar selbst sein Porträt, groß auf eine Tafel gemalt, an den Galgen hing. Dies geschah mit demselben Ceremoniell, das man bei einer wirklichen Hinrichtung beobachtete. Erwischte man den Ver- urtheilten, wenn auch nach längerer Zeit, so wurde dann gewöhnlich die Execu- tion an ihm ohne Weiteres vollzogen ; meldete er sich freiwillig wieder bei seiner Truppe, was namentlich bei Deserteuren der Fall war, oder trafen mildernde Umstände, auch wohl Begünstigungen ein, so konnte der ehrlos oder scheinbar todt Gemachte auch wieder ehrlich resp, bürgerlich lebendig gemacht werden. Das Nähere wird man aus dem Nachfolgenden ersehen. Nach der zweiten Einnahme und Verheerung Heidelbergs durch die Fran¬ zosen im Mai 1693, wobei die unglückliche Stadt abermals auf vandalische Weise geplündert und dann niedergebrannt, und das reizende Bergschloß großen- theils durch Sprengung zerstört wurde, erhob sich ein Schrei der Entrüstung nicht nur durch ganz Deutschland, sondern durch die halbe civilisirte Welt. Das Ereigniß und der allgemeine. Unwille waren zu wichtig, als daß man von Seiten der unterlegenen Partei leicht darüber hingehen konnte, und so wurden denn von den betreffenden Gouvernements über die Motive der Uebergabe Untersuchungen eingeleitet. Die öffentliche Meinung klagte den Commandanten des Platzes, den östrei¬ chischen Gcncralfeldmarschalllieutenant Georg Eberhard von Hcdersdorf ganz offen des Verrathes und der Feigheit an. So gern man auch die Sache vertuscht hätte, um eine so hohe Stellung in der kaiserlichen Armee, sowie den Namen einer angesehenen Familie nicht zu compromittiren, so war doch der Drang der Umstände mächtiger als der Wille, und der General wurde vor ein Kriegs¬ gericht gestellt. Dasselbe erkannte ihn für schuldig und infolge dessen sollte er seiner Würden und Stellen öffentlich und schimpflich entsetzt werden. Da Hedersdorf dem damals noch ziemlich in Ansehen stehenden Dcutsch- hcrrnorden angehörte, so ließ es sich dieser nicht nehmen, ihn mit allem Cere-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/352
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/352>, abgerufen am 20.05.2024.